
Die Infektion mit SARS-CoV-2 kann neben den typischen respiratorischen Erkrankungen auch zu neurologischen Symptomen und Krankheitsbildern führen. So werden beispielsweise Kopfschmerzen und ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle bei COVID-19 beschrieben. Die Ursachen dafür sind noch nicht abschließend geklärt. Fehlgerichtete Antikörper sowie eine reduzierte Immunantwort im Liquor werden diskutiert.
App bereits aus Demenzforschung bekannt
Neben der Erforschung von Neuro-COVID widmen sich Forschende nun auch der Fragestellung, wie sich eine SARS-CoV-2-Infektion und Kontaktbeschränkungen im Zuge der Pandemie auf unsere Gedächtnisleistung auswirken [1]. Hierzu wird eine App mit Namen neotiv genutzt, die bereits zur Forschung bei Demenz eingesetzt wird.
In einer gemeinsamen Initiative des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung (IKND) an der Universitätsmedizin Magdeburg werden mithilfe der App in einem Bürgerforschungsprojekt Daten erhoben.
neotiv: Bürgerforschungsprojekt gratis und anonymisiert
Die App ist kostenlos erhältlich und die Daten werden anonymisiert erfasst. Die Teilnehmenden absolvieren verschiedenen Gedächtnistests – zunächst in wöchentlichem Abstand, im Verlauf seltener.
„Der Testablauf umfasst verschiedene, spielerische Aufgaben. Insgesamt braucht man dafür vielleicht eine Viertelstunde“, erläutert Professor Emrah Düzel, Sprecher des DZNE-Standorts Magdeburg und Direktor des IKND an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. „Die unterschiedlichen Aufgaben beanspruchen gezielt bestimmte Hirnbereiche und kognitive Fähigkeiten. Sie mögen banal erscheinen, doch dahinter steckt wissenschaftliches Know-how. Die App wird daher auch in klinischen Studien über Demenz eingesetzt.“
Neben den Gedächtnistests, welche anhand von Fotos und simulierten Szenarien erfolgen, werden Fragen zu möglichen Vorerkrankungen, zum aktuellen Gesundheitsstatus, zu sozialer Distanzierung durch die Kontaktbeschränkungen und zur Stimmungslage gestellt.
App als Forschungsinstrument
„Die App ist ein Forschungsinstrument, gewissermaßen ein Messgerät. Sie gibt den Nutzenden kein Feedback darüber, ob sie beim Gedächtnistest gut oder schlecht abschneiden“, erklärt Studienleiter Düzel. Denn ethisch ist es nicht vertretbar, wenn selbst eine vermeintlich unverbindliche Rückmeldung zu Sorgen über die eigene Gesundheit bei den Teilnehmenden führt. „Wer sich an unserer Studie beteiligt, stellt sich ganz in den Dienst der Wissenschaft. Die Teilnehmenden können mit ihrem Engagement helfen, dass wir die Folgen von COVID-19 besser verstehen und lernen, besser damit umzugehen“, so Düzel weiter.
Langfristig angelegtes Projekt
Ziel der Studie ist es, deutschlandweit möglichst viele Erwachsene einzubeziehen, nicht nur COVID-19-Patienten, sondern auch nicht Erkrankte. „Die psychische Belastung durch die Pandemie, insbesondere die sozialen Beschränkungen, können der geistigen Fitness zusetzen. Wir möchten deshalb einen möglichst umfassenden Eindruck davon gewinnen, wie es um die Gedächtnisleistung und die psychosoziale Situation der Menschen hierzulande bestellt ist. Uns interessiert auch, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickelt“, so Düzel.
Um auch langfristigere Entwicklungen und den Einfluss der Impfung beurteilen zu können, soll die Studie zwei Jahre laufen. Aktuell gibt es zahlreiche Studien zu Fragestellungen, die sich im Zuge der COVID-19-Pandemie ergeben. Unter dem Stichwort „Citizen Science“ setzen viele Studien auf die Beteiligung der Bürger. Informationen zu aktuellen Studien finden sich auf der Citizien Science Plattform.