Neuro-COVID durch fehlgerichtete Antikörper

COVID-19 kann neben den klassischen respiratorischen Symptomen auch zu diversen neurologischen Symptomen führen, dies haben zahlreiche Studien gezeigt und auch eine jüngst publizierte Arbeit unterstreicht dies. Der Grund dafür könnten fehlgerichtete Antikörper sein.

Neurologie-Coronavirus

Neurologische Symptome sind keine Seltenheit bei Patienten mit COVID-19. Dies zeigt sich auch im Sprachgebrauch, wo man bereits von Neuro-COVID spricht. Zahlreiche Studien haben über neurologische Symptome bei Infektionen mit SARS-CoV-2 berichtet, etwa über Kopfschmerzen oder ein gesteigertes Risiko für Schlaganfälle.

Prävalenz von Neuro-COVID

Die Häufigkeit von neurologischen Beschwerden wie etwa Riech- und Geschmacksstörungen, Schlaganfällen, Epilepsien oder MS-ähnlichen Bildern wurde nun in einer Studie untersucht [1]. Forscher von der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago untersuchten die Prävalenz neurologischer Symptome bei COVID-19-Patienten.

Die Ergebnisse zeigen, dass neurologische Manifestationen bei COVID-19 in folgendem zeitlichem Verlauf auftraten:

  • Zu Beginn von COVID-19 bei 42,2% (215) der Patienten
  • Während der Hospitalisation bei 62,7% (319) der Patienten
  • Im gesamten Verlauf der Erkrankung bei 82,3% (419) der Patienten.

Myalgien und Enzephalopathien am häufigsten

Die häufigsten neurologischen Manifestationen waren Myalgien (44,8%), Enzephalopathien (31,8%), Schwindel (29,7%), Dyseugesie (15,9%) und Anosmie (11,4%). Das Auftreten von Enzephalopathien ging mit einer gesteigerten Morbidität und Mortalität einher, unabhängig vom Schweregrad der respiratorischen Symptome.

„Diese hohe Prävalenz zeigt, dass neurologische Expertise gefragt ist und COVID-19-Erkrankte grundsätzlich neurologisch mitbetreut werden müssen, weil gerade bei schwerer Betroffenen das Erkennen neurologischer Manifestationen nicht einfach ist“, erklärt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Professor Dr. Peter Berlit [2]. „Wir haben in den vergangenen Monaten gelernt, dass COVID-19 nicht nur eine pulmonale Erkrankung ist, sondern dass das Virus verschiedene Organe angreift, und dabei in einem besonderen Maße das Gehirn und Nervensystem.“

Eigenreaktive Antikörper als Ursache für Neuro-COVID?

Warum es bei COVID-19 zu neurologischen Manifestationen kommt, ist bisher noch nicht geklärt. Eine Antikörper-Studie am Tiermodell liefert hier eine mögliche Erklärung [3]. In der Studie, an der unter anderem die Berliner Charité beteiligt war, wurden monoklonale Antikörper gegen SARS-CoV-2 von COVID-19-Patienten isoliert, deren Struktur analysiert und deren Bindungsverhalten im Hamster-Modell untersucht.

Antikörper reagieren mit Eigenantigenen

Einige der isolierten Antikörper reagierten mit Eigenantigenen in verschiedenen Organen, etwa in Gehirn, Lunge, Herz, Leber, Nieren und Darm. Der Antikörper CV07-200 bindet im Gehirn beispielsweise an Zellen im Bulbus olfactorius, dem Großhirnkortex und den Basalganglien. Bei diesen Antikörpern handelt es sich um Keimbahn-nahe Antikörper, die an mehr als ein spezifisches Zielantigen binden können. Man spricht von einer sogenannten Off-Target-Bindung. Doch in der Studie konnten auch Virus-neutralisierende Antikörper detektiert werden – ein wichtiger Schritt in Richtung einer passiven Immunisierung.

Weitere Analysen der Antikörper notwendig

„Als nächstes müssen wir klären, gegen welche körpereigenen Eiweiße sich die SARS-CoV-2-Antikörper genau richten“, erklärt Studienautor Professor Dr. Harald Prüß, [2]. „Insbesondere in Bezug auf Neuro-COVID und das Post-COVID-Syndrom, aber auch im Hinblick auf vermeidbare Komplikationen zukünftiger Impfungen, ist eine mögliche Kreuzreaktivität mit körpereigenen Strukturen von großer Bedeutung und muss nun weiter untersucht werden – experimentell sowie an den Antikörpern aus dem Plasma und Liquor von großen Patientenkohorten.“

Autor:
Stand:
10.11.2020
Quelle:
  1. Liotta et al. (2020): Frequent neurologic manifestations and encephalopathy-associated morbidity in Covid-19 patients. Annals of Clinical and Translational Neurology, DOI: https://doi.org/10.1002/acn3.51210
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Pressemeldung, 08.10.2020
  3. Kreye et al. (2020): A Therapeutic Non-self-reactive SARS-CoV-2 Antibody Protects from Lung Pathology in a COVID-19 Hamster Model. Cell, DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.09.049
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