Fehldiagnose Autoimmunenzephalitis

In einer US-amerikanischen Studie analysierten Forscher, wie häufig es zur Fehldiagnose einer Autoimmunenzephalitis kam und was die eigentliche Diagnose war. Faktoren, die zur Fehldiagnose beitrugen und die Folgen für die Patienten wurden ebenfalls untersucht.

MRT Gehirn

Hintergrund

Das subakute Auftreten von Gedächtnisausfällen, Wesensveränderungen und/oder psychiatrischen Symptomen gehört zu den Hauptsymptomen einer Autoimmunenzephalitis. Diese Untergruppe von Enzepahlitiden wird durch Autoantikörper gegen neuronale oder gliale Strukturen ausgelöst. Dabei unterscheidet man zwei Gruppen von Antikörpern. Eine Gruppe von Antikörpern bindet an Oberflächenstrukturen von Neuronen, während die andere Gruppe gegen intrazelluläre Strukturen der Neurone gerichtet ist. Diese gegen intrazelluläre Strukturen gerichteten Antikörper treten in > 90% der Fälle begleitend zu neoplastischen Erkrankungen außerhalb des Nervensystems auf, etwa bei Lungenkrebs, Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, Prostatakarzinom und Thymom.

Durch die Messung der Autoantikörper als Biomarker für eine Autoimmunenzephalitis wird die Erkrankung zunehmend häufiger diagnostiziert. Die diagnostische Sensitivität hat sich durch die Etablierung der Biomarker verbessert, allerdings variiert die Spezifität stark – abhängig vom jeweiligen Antikörper, der Nachweismethode und der Vortestwahrscheinlichkeit. Somit können falsch-positive Antikörperspiegel auftreten und zur Fehldiagnose beitragen. Wie häufig eine Fehldiagnose gestellt wird, wurde bisher kaum untersucht. Vielmehr widmete man sich bislang vor allem dem gegenteiligen Szenario, bei dem eine vorliegende Autoimmunenzephalitis nicht diagnostiziert wurde.

Insgesamt ist eine Autoimmunenzephalitis weiterhin selten. Andere in Frage kommenden Differentialdiagnosen sind weitaus häufiger, dazu gehören toxische/metabolische Enzephalopathien, primäre psychische Erkrankungen, neurodegenerative Erkrankungen, Neoplasien und Epilepsie.

Zielsetzung

Ein Team um Dr. Eoin Flanagan vom Mayo Clinic College of Medicine, Rochester, USA, ging der Frage nach, welche Erkrankungen als Autoimmunenzephalitis fehldiagnostiziert wurden und was die Gründe für eine solche Fehldiagnose waren.

Methodik

Diese retrospektive Studie wurde im Zeitraum von Januar 2014 bis Dezember 2020 an verschiedenen spezialisierten Kliniken in den USA durchgeführt. In die Studie wurden erwachsene Patienten (≥ 18 Jahre) aufgenommen, bei denen an einem der teilnehmenden Kliniken oder einer anderen medizinischen Einrichtung die Diagnose einer Autoimmunenzephalitis gestellt worden war. Zusätzlich stellte sich bei den Teilnehmern die Diagnose Autoimmunenzephalitis an einer der teilnehmenden Kliniken als Fehldiagnose heraus. Insgesamt wurden 393 Patienten mit einer Autoimmunenzephalitis überwiesen, wovon 286 Patienten die korrekte Diagnose erhalten hatten. Diese Patienten wurden von der Studie ausgeschlossen.

Bei den Patienten mit der Fehldiagnose Autoimmunenzephalitis wurden klinische Daten, Diagnostik, die Erfüllung der Kriterien einer Autoimmunenzephalitis, alternative Diagnosen, mögliche Ursachen der Fehldiagnose und adverse Reaktionen auf eine Immuntherapie analysiert.

Ergebnisse

Insgesamt erhielten 107 Patienten die Fehldiagnose Autoimmunenzephalitis. 77 Patienten (72%) erfüllten nicht die diagnostischen Kriterien für eine Autoimmunenzephalitis. Das mediane Alter der Teilnehmer lag bei 48 Jahren (35,5-60,5 Jahre) und 65 (61%) waren weiblichen Geschlechts. Im Median dauerte es 16 Monate, bis die korrekte Diagnose gestellt wurde.

Die korrekten Diagnosen umfassten:

  • Funktionelle neurologische Störungen (27 Teilnehmer; 25%)
  • Neurodegenerative Erkrankungen (22 Teilnehmer; 20,5%)
  • Primäre psychische Erkrankungen (19 Teilnehmer; 18%)
  • Kognitive Defizite aufgrund einer Komorbidität (11 Teilnehmer; 10%)
  • Zerebrale Neoplasien (10 Teilnehmer; 9,5%)
  • Andere Erkrankungen (18 Teilnehmer; 17%).

Bei 19 von 104 Patienten (18%) deuteten die MRT-Bilder auf eine Enzephalitis hin, eine Pleozytose im Liquor trat bei 16 von 84 Patienten auf (19%).

Bei 24 von 62 Patienten (39%) waren die Thyroidperoxidase-Antikörper erhöht. Positive neuronale Autoantikörper traten häufiger im Serum als im Liquor auf (48 von 105 [46%] vs. 7 von 91 [8%]). Die positiven neuronalen Autoantikörper verteilten sich wie folgt:

  • GAD65-Antikörper (n = 14)
  • Antikörper gegen spannungsabhängige Kaliumkanäle, LGI1 und CASPR2 negativ (n= 10)
  • Anti-NMDA-Antikörper (n = 10; n = 6 negativ im Liquor)
  • Andere Antikörper (n = 18).

Nebenwirkungen im Zuge der Immuntherapie traten bei 17 von 84 Patienten (20%) auf. Die Fehldiagnosen waren hauptsächlich durch die Überinterpretation positiver Serumantikörper (50 Teilnehmer; 53%) und die Fehlinterpretation von funktionellen/psychischen oder nicht-spezifischen kognitiven Dysfunktionen als Anzeichen für eine Enzephalopathie (41 Teilnehmer; 38%) bedingt.

Fazit

Bei der Aufarbeitung des Verdachtes einer Autoimmunenzephalitis sollte das breite Spektrum an Differentialdiagnosen berücksichtigt werden. In dieser Studie kam es in verschiedenen Einrichtungen zu Fehldiagnosen, auch in spezialisierten Zentren.

Autoimmunenzephalitis unwahrscheinlich – Red Flags beachten

Als Hinweise auf eine mögliche Fehldiagnose zeigten sich in dieser Studie vor allem ein schleichender Symptombeginn, positive nicht-spezifische Serumantikörper und das Fehlen diagnostischer Kriterien für eine Autoimmunenzephalitis. Bei den Antikörpern ist vor allem Vorsicht geboten, bei positiven TPO-Antikörpern, niedrigen GAD65-Antikörper-Spiegeln im Serum und NMADR-Antikörpern im Serum, aber nicht im Liquor. Weitere Hinweise, bei denen eine Alternativdiagnose als wahrscheinlicher erachtet werden sollte, sind ein unauffälliges zerebrales MRT und ein Liquorbefund ohne Entzündungsanzeichen.

„Fehldiagnosen einer Autoimmunenzephalitis führen zu Morbiditäten aufgrund einer nicht notwendigen Immuntherapie und zur verzögerten Therapie der korrekten Diagnose“, so das Fazit der Autoren.

Quelle:

Flanagan et al. (2022): Autoimmune Encephalitis Misdiagnosis in Adults. JAMA Neurology, DOI : 10.1001/jamaneurol.2022.4251

  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige