
Im aktuellen Epidemiologischen Bulletin des RKI wird ein neuer Höchststand an FSME-Infektionen für das Jahr 2020 gemeldet [1]. Seit Beginn der Datenerfassung wurde mit 704 FSME-Erkrankungen der höchste Wert seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2001 gemessen. Bei der Hälfte der 2020 gemeldeten FSME-Erkrankungen zeigten sich neurologische Manifestationen einer Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis. Die Zahlen aus dem Jahr 2020 übertreffen den jährlichen Medianwert von 301 Erkrankungen deutlich und übersteigen auch das bislang fallstärkste Jahr 2018. Sowohl im Jahr 2018 als auch im Jahr 2020 war dies von Wissenschaftlern anhand von Beobachtungen der Zeckenaktivität prognostiziert worden.
Als Gründe für die starke Zunahme der gemeldeten FSME-Fälle im Jahr 2020 sehen Experten von der Universität Hohenheim die Auswirkungen des Klimawandels und ein verändertes Freizeitverhalten der Bevölkerung im Zuge der Corona-Pandemie. „Insgesamt beobachten wir überwiegend eine Wanderung der FSME von Ost nach West, aber wie man sieht, ist der Krankheitserreger ebenfalls in den nördlicheren Bundesländern auf dem Vormarsch. Eine Rolle spielt dabei sicherlich auch der Klimawandel. So ist der gemeine Holzbock, Ixodes ricinus, jetzt nicht nur in den wärmeren Jahreszeiten, sondern auch im Winter aktiv“, erklärt Professor Dr. Ute Mackenstedt, Zeckenexpertin an der Universität Hohenheim [2].
Neue FSME-Risikogebiete
Aufgrund der Beobachtung des Infektionsgeschehens wurden fünf neue Risikogebiete ausgewiesen:
- Landkreis Dillingen a. d. Donau (Bayern)
- Landkreis Fulda (Hessen)
- Landkreis Mittelsachsen (Sachsen)
- Stadtkreis Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt)
- Landkreis Weimarer Land (Thüringen).
Mit Ausnahme des Stadtkreises Dessau-Roßlau grenzen alle neu ausgewiesenen Risikogebiete an bereits bestehende. Damit ist der Stadtkreis in Sachsen-Anhalt neben dem Landkreis Emsland in Niedersachsen das zweite Risikogebiet, das nicht an ein bereits bestehendes angrenzt und weiter nördlich gelegen ist als bisher üblich.
Schwerpunkt der Risikogebiete im Süden Deutschlands
Die Risikogebiete in Deutschland liegen vor allem im Süden der Republik. Dies betrifft Bayern, Baden-Württemberg, Südhessen, den südöstlichen Teil von Thüringen und Sachsen. Einzelne Risikogebiete befinden sich darüber hinaus in Mittelhessen (Landkreis Marburg-Biedenkopf), im Saarland (Landkreis Saarpfalz-Kreis), in Rheinland-Pfalz (Landkreis Birkenfeld) und in Niedersachsen (Landkreis Emsland). Damit sind aktuell 169 Kreise als Risikogebiet ausgewiesen.
Eine Karte der verschiedenen FSME-Risikogebiete kann auf der Webseite des RKI in verschiedenen Formaten heruntergeladen werden.
Festlegung von Risikogebieten und Präventionsmaßnahmen
Ein Landkreis gilt dann als Risikogebiet, wenn ein Erkrankungsrisiko für Personen mit Zeckenexposition besteht und dadurch nach der Übereinkunft von Experten präventive Maßnahmen begründet sind. Die Grundlage für die Einschätzung des FSME-Risikos bilden kreisbezogene Inzidenzen der nach Infektionsschutzgesetzt gemeldeten und dem RKI übermittelten FSME-Erkrankungen.
Als präventive Maßnahmen gelten die verfügbare FSME-Impfung sowie die Vermeidung von Zeckenstichen. Letzteres ist auch im Hinblick auf die Übertragung der Borreliose von Bedeutung, da hierfür keine Impfung zur Verfügung steht. Experten empfehlen beim Aufenthalt in der Natur die festen Wege nicht zu verlassen sowie feste Schuhe und helle Kleidung zu tragen, welche den Körper weitestgehend bedeckt. Dadurch sind die Zecken leichter auffindbar. Nach dem Aufenthalt im Freien sollte man den Körper gründlich nach Zecken absuchen. Bevorzugte Saugstellen der Zecken sind am Kopf, Haaransatz und Hals, weiterhin unter den Armen, zwischen den Beinen und in den Kniekehlen.
FSME-Risiko schwankt innerhalb von Risikogebieten und ist außerhalb nicht auszuschließen
Die Experten des RKI weisen darauf hin, dass das FSME-Risiko auch innerhalb der Risikogebiete schwanken kann. Aufgrund der kreisbezogenen Meldepflicht ist eine kleinräumigere Abbildung als auf Kreisebene aber nicht möglich. Detailliertere Informationen liegen häufig den örtlichen Gesundheitsämtern vor und können dort erfragt werden, was insbesondere für Personengruppen mit einem erhöhten Expositionsrisiko, beispielsweise Forstarbeiter oder Landwirte, von Bedeutung ist.
Auch in Bundesländern ohne FSME-Risikogebieten können vereinzelt FSME-Fälle beobachtet werden. Demnach sollte gerade während der Zeckensaison bei entsprechenden Symptomen die FSME als Differentialdiagnose mit einbezogen werden. Die meisten Erkrankungsfälle werden in den Monaten Mai bis Oktober gemeldet, dies ist auch im Jahr 2020 unverändert geblieben. Die höchste Fallzahl tritt üblicherweise im Juni auf, im Jahr 2020 traten die meisten Erkrankungen im Juli auf.
FSME-Übertragung - nicht nur durch Zecken
Die klassische Übertragung der FSME-Viren erfolgt durch die Zecke Ixodes ricinus, den Gemeinen Holzbock. Ein möglicher neuer Vektor könnte Dermacentor reticulatus, die Auwaldzecke, sein. Diese Zecke dürfte dem einen oder anderen Hundehalter ein Begriff sein, da sie – mittlerweile auch in einigen Teilen Deutschlands – Babesia canis überträgt. Diese zu den Piroplasmen zählenden Erreger führen bei Hunden zu teils schweren hämolytischen Anämien [3]. „Uns ist letztes Jahr zum ersten Mal eine Auwaldzecke aus Sachsen eingeschickt worden, in der wir FSME-Viren nachweisen konnten“, berichtet die Zeckenexpertin der Universität Hohenheim [2].
Daneben ist auch über Infektionen nach dem Verzehr von Rohmilch oder Rohmilchprodukten berichtet worden. Diese Fälle sind jedoch selten, was sich auch 2020 nicht geändert hat: 6 Fälle (1 %) nach Rohmilchverzehr und 12 Fälle (2 %), bei denen sowohl ein Zeckenstich als auch Rohmilchverzehr bekannt waren, wurden dem RKI gemeldet.
Wachsam bleiben und Forscher unterstützen
In Anbetracht der aktuellen Zahlen und der verstärkten Zeckenaktivität gilt es, wachsam zu bleiben und Präventionsmaßnahmen zu nutzen. Da sich möglicherweise auch neue Vektoren für FSME-Viren etablieren, ist das Monitoring der aktuellen Zeckenpopulation von Bedeutung. Wie und wohin genau man Zecken zu den Forschern an der Universität Hohenheim senden kann, ist der zitierten Pressemeldung zu entnehmen. Die Forscher der Universität profitieren hier von der Unterstützung aus der Bevölkerung.