Leitlinie Neurologische Manifestationen bei COVID-19

Die Behandlung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen ist in Pandemiezeiten erschwert. Darüber hinaus kann COVID-19 selbst zu neurologischen Manifestationen führen. Die neuen Leitlinien geben praktische Empfehlungen zur Versorgung dieser Patienten mit und ohne SARS-CoV-2.

Neurologie-Coronavirus

Hintergrund

Zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie galt COVID-19 als vorwiegend respiratorische Erkrankung, sodass die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) e.V. während des Lockdowns ihre Hauptaufgabe zunächst in der Organisation der Versorgung von Patienten mit chronischen neurologischen Erkrankungen sah. Im weiteren Verlauf der Pandemie zeigte sich aber rasch, dass SARS-CoV-2-Infektionen zu einem hohen Prozentsatz mit neurologischen Manifestationen verbunden sind. „Die Präsentationen und Verläufe sind oft sehr heterogen. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass COVID-19-Patienten neurologisch mitbetreut werden“, erklärt Professor Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN [1].

Große Bandbreite der Manifestationen

Die Bandbreite der neurologischen COVID-19-Manifestationen ist dabei groß: Sie reicht von Riech- und Geschmacksstörungen über neuromuskuläre Erkrankungen, Enzephalopathien und Enzephalomyelitiden hinzu ischämischen Schlaganfällen und intrazerebralen Blutungen. Die schweren neurologischen Erkrankungen, wie beispielsweise ischämische Schlaganfälle, treten dabei nicht nur bei Risikogruppen auf, sondern betreffen auch jüngere gesunde Menschen.

Verschiedene Patientengruppen

Die S1-Leitlinie „Neurologische Manifestationen bei COVID-19“, die von der DGN am 18. August 2020 veröffentlicht wurde, fasst den aktuellen Stand des Wissens zusammen und gibt konkrete Handlungsempfehlungen für folgende Patientengruppen:

  • Patienten mit neurologischer Erkrankung während der SARS-CoV-2-Pandemie
  • Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion und neurologischen Manifestationen
  • Intensivmedizinisch versorgte COVID-19-Patienten

Die Leitlinie bietet darüber hinaus Empfehlungen zum Schutz des versorgenden Personals [2].

Versorgung von Neurologie-Patienten

Die besondere Inanspruchnahme der Gesundheitssysteme durch die Pandemie soll Berichten zufolge zu einer Verschlechterung der Versorgung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen geführt haben. Umverteilung von Ressourcen zugunsten von SARS-CoV-2-Patienten sowie Schutzmaßnahmen für die Patienten und das versorgende Personal hatten tatsächlich spürbare Auswirkungen auf die Versorgung von neurologischen Patienten mit und ohne SARS-CoV-2-Infektion.

Optimale Versorgung ohne Abstriche beim Infektionsschutz

Als Maßnahmen zur Gewährleistung einer optimalen Versorgung für Patienten und Personal -ohne Abstriche beim Infektionsschutz- empfehlen die Leitlinien u.a.:

  • Anpassung des Pflegende-zu-Patient-Verhältnisses
  • Einbindung telemedizinischer Verfahren
  • Begrenzung von Besuchsmöglichkeiten
  • Bereitstellung ausreichenden Schutzmaterials und angemessener Schutzkleidung
  • Generelles Screening aller Patienten auf SARS-CoV-2
  • Zeitnahe Befundung des SARS-CoV-2-Screenings priorisieren
  • Fluktuation des Personals durch Einrichtung fester Teams limitieren
  • Mund-Nase-Bedeckung für Patienten mit COVID-19 (falls möglich und toleriert)
  • Isolierung von COVID-19 Patienten: Ausweisung und Reservierung von Stationsbereichen für Patienten mit zerebrovaskulärer Erkrankung und COVID-19

Neurologische Manifestationen von COVID-19

Die Leitlinie empfiehlt alle Patienten mit neurologischen Symptomen, die über den Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns hinausgehen, in eine neurologische Klinik - vorzugsweise mit neurologischer Intensivstation - zu überweisen. Hierdurch soll eine rasche stationäre Diagnostik und Therapie gewährleistet werden. Das Leitlinien-Gremium erläutert hierzu: „COVID-19-Patienten mit neurologischen Beschwerden sind Notfallpatienten; werden sie nicht rechtzeitig versorgt, drohen schlechte Behandlungsergebnisse und Spätfolgen“. Nach der Akuterkrankung können rehabilitative und sozialmedizinische Maßnahmen sowie ambulante neurologische Verlaufskontrollen erforderlich werden.

Patienten mit Störung des Geruchsinns

Wenn eine Riechstörung bei freier Nasenatmung während der Pandemie auftritt, ist diese laut Leitlinie, wahrscheinlich Ausdruck einer Infektion mit SARS-CoV-2. Die Leitlinie empfiehlt in diesen Fällen die Selbstisolation und Quarantäne der Betroffenen sowie die Testung auf SARS-CoV-2. Falls sich der Geruchssinn nicht binnen 3 bis 4 Wochen wieder normalisiert, sollte der Patient neurologisch und HNO-ärztlich untersucht werden.

Intensivmedizinisch versorgte COVID-19-Patienten

Eine retrospektive Studie in China zeigte, dass 65% der kritisch kranken COVID-19-Patienten mindestens ein neurologisches Problem, darunter auch Schlaganfälle, aufwiesen [3]. In der pulmonal orientierten Intensivsituation fallen neu auftretende neurologische Probleme häufig nicht auf. Unter Analgosedierung können die beatmeten Patienten auch nicht darüber berichten. „Ohne ein routinemäßiges neurologisches Screening können dann schwere neurologische Begleiterkrankungen vom Hirninfarkt bis zur Enzephalomyelitis völlig unerkannt bleiben“, warnt Berlit.

Forderung der DGN

Berlit hält es für denkbar, dass die mit 50% hohe Sterblichkeit von beatmeten COVID-19 Patienten unter anderem auch auf nicht rechtzeitig diagnostizierte, neurologische Komplikationen zurückzuführen ist. Er fordert deshalb im Namen des Leitlinien-Gremiums, dass eine neurologische Mitbetreuung von intensivpflichtigen COVID-19-Patienten essentiell sei.

Autor:
Stand:
25.08.2020
Quelle:
  1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (2020): S1-Leitlinie zu „Neurologischen Manifestationen bei COVID-19“ veröffentlicht. Pressemitteilung 18.08.2020 
  2. Berlit et al. (2020): Neurologische Manifestationen bei COVID-19, S1-Leitlinie, 2020, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie
  3. Fan , Xiao , Han et al.(2020): Neurological Manifestations in Critically Ill Patients With COVID-19: A Retrospective Study. Front. Neurol. DOI:10.3389/fneur.2020.00806
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