Riechtraining als Therapieoption bei Migräne

Auf einer Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Kopfschmerztages stellte PD Dr. Gudrun Goßrau neue Studienergebnisse zur Osmophobie bei Migräne vor und präsentierte ein Riechtraining als Behandlungsoption für Patienten mit Migräne und Geruchsüberempfindlichkeit.

Geruchstraining

Hintergrund

Nur etwa ein Drittel der Kopfschmerzbetroffenen lässt sich ärztlich untersuchen. Davon wird etwa ein Drittel falsch diagnostiziert und infolgedessen nicht leitliniengerecht behandelt.

Clusterkopfschmerzen, beispielsweise, würden in manchen Fällen erst Jahre bis Jahrzehnte nach ihrem Auftreten diagnostiziert, wie Dr. Katharina Kamm von der Neurologischen Klinik und Poliklinik der LMU München auf einer Pressekonferenz der Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“ der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) am Deutschen Kopfschmerztag erklärte.

Die Initiative soll dem Thema Kopfschmerzen Aufmerksamkeit verschaffen und sowohl Ärzte als auch Patienten über eine fachgerechte Behandlung von Kopfschmerzen aufklären. Auf der digitalen Pressekonferenz mit dem Titel „Wenn Gerüche zur Belastung für Menschen mit Migräne werden“ wurden aktuelle Entwicklungen in Kopfschmerzforschung und Behandlung präsentiert. [1]

Geruchsüberempfindlichkeit bei Migräne

Geruchsüberempfindlichkeit (Osmophobie) ist neben anderen Sensitivitätsstörungen, wie Photo- und Phonophobie, ein häufiges Begleitsymptom von Migräne-Attacken. Es ist auch bekannt, dass bestimmte Gerüche bei einigen Patienten Migräne-Attacken auslösen. Bislang wurden die Zusammenhänge zwischen Migräne und Osmophobie jedoch kaum wissenschaftlich untersucht.

Das hat nun ein Team von Wissenschaftlern des UniversitätsSchmerzCentrums (USC) und des Interdisziplinären Riechzentrums des Universitätsklinikums Dresden nachgeholt. Die Studie wurde vor kurzem im Journal of Headache and Pain publiziert. Die Vizepräsidentin der DMKG und Erstautorin der Studie PD Dr. Gudrun Goßrau präsentierte die Studie auf der Pressekonferenz. [2]

Häufigkeit von Osmophobie

Im Rahmen der Querschnittstudie wurden 113 Personen (99 weiblich, 14 männlich) im Alter von 19 bis 78 Jahren mit episodischer oder chronischer Migräne befragt. Von den Befragten berichteten 38% von einer erhöhten Geruchsempfindlichkeit vor einer Attacke. Während der Attacke waren 62% empfindlicher gegenüber Gerüchen als sonst. Bei 30% war die Attacke geruchsgetriggert. Bislang unbekannt war, dass einige Betroffenen auch zwischen den Attacken unter einer Geruchsempfindlichkeit leiden. Von dieser permanenten Osmophobie berichteten 32% der Befragten. Die Osmophobie nimmt darüber hinaus mit dem Anstieg der Migränelast zu.

Schlechteres Riechvermögen bei Migräne

Könnte es sein, dass Migräne-Patienten einfach ein feineres Näschen haben als Gesunde? Das Team ging dieser Frage nach, indem es die Migräne-Patienten und eine gesunde Vergleichsgruppe Geruchstests unterzog. Da Alter und Geschlecht das Riechvermögen beeinflussen, wurden die Teilnehmer in entsprechende Gruppen eingeteilt.

Bei den Tests stellte sich in jeder Gruppe heraus, dass die Migräne-Patienten ein signifikant schlechteres Riechvermögen hatten als die Gesunden. Die Migräne-Patienten mit Aura schnitten dabei noch schlechter ab als die Patienten ohne Aura. Dieses Ergebnis ist kohärent mit MRT-Untersuchungen aus anderen Studien, die bei Migräne-Patienten kleinere Riechkolben feststellten.

Reizung des Trigeminusnerv

Für die Schmerzwahrnehmung im Kopfbereich ist der Trigeminusnerv zuständig. Histologische Untersuchung der Riechschleimhaut in der Nase zeigen eine räumliche Nähe zwischen trigeminalen Fasern und Riechepithelien.

In Versuchen konnte man nachweisen, dass eine Reizung des Trigeminus mit geruchslosem CO2 olfaktorische Hirnareale aktiviert. Diese morphologische und funktionelle Vernetzung des trigeminalen und olfaktorischen Systems kann erklären, warum Düfte Kopfschmerzen auslösen können.

Duft-Desensibilisierung als Therapieansatz

Patienten, deren Migräne-Attacken von spezifischen Düften getriggert werden, sollten diese spezifischen Gerüche meiden. Im Alltag ist diese Empfehlung angesichts der häufigsten olfaktorischen Migräne-Trigger, wie süßes Parfüm (36%), Essensgerüche (22%) und Zigarettenrauch (12%) jedoch kaum umzusetzen. Als weitaus praktischer und vor allem nachhaltiger könnte sich eine Duft-Desensibilisierung in Form eines Riechtrainings bei den Betroffenen erweisen.

Riechtraining reduziert die Schmerzempfindlichkeit

In der von Goßrau geleiteten Kopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Dresden fanden therapeutische Studien mit Kindern und Erwachsenen mit dem Riechtraining statt. Die Versuchspersonen trainieren ihren Geruchssinn regelmäßig mit z.B. Rosen- und Zitronendüften. Nach dem Riechtraining waren die Betroffenen weniger empfindlich für Schmerzreize. Derzeit untersucht man die zugrundeliegenden Gehirnmechanismen per MRT.

Weitere Forschung ist noch nötig, doch Goßrau sieht in dem Riechtraining therapeutisches Potential: Möglicherweise könnte es bei den entsprechenden Patienten als begleitende Maßnahme den Medikamentengebrauch verringern und einer Chronifizierung der Migräne vorbeugen.

Kopfschmerztherapie in der Praxis verbessern

Der Präsident der DMKG PD Dr. Tim Jürgens bestätigt diese Ansicht. Allerdings nützt die beste Therapie nichts, wenn sie nicht beim Patienten ankommt. Es gibt mittlerweile viele gute Behandlungsoptionen, aber „wir bekommen sie nicht auf die Straße,“ wie Jürgens erklärt. Die Awareness sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten müsse erst noch geweckt werden.

Darüber hinaus bestehen zu viele Hemmnisse erfolgreiche Präparate, wie insbesondere die monoklonalen Antikörper zur Migräne-Prophylaxe und mit Eptinezumab mittlerweile auch zur akuten Therapie der Migräne, einzusetzen.

Autor:
Stand:
02.10.2022
Quelle:
  1. Digitale Pressekonferenz der Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“ der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) (2022): „Wenn Gerüche zur Belastung für Menschen mit Migräne werden“
  2. Gossrau, Frost, Klimova et al. (2022):  Interictal osmophobia ist associated with longer migraine disease duration. The Journal of Headache and Pain 23:81 (Publiziert 15.juli 2022)
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