Neue Leitlinie zu myasthenen Syndromen

Neue Entwicklungen in der Therapielandschaft, gerade bei generalisierter Myasthenia gravis, und die differenzialdiagnostische Abgrenzung zwischen kongenitalen und autoimmunen myasthenen Syndromen sind Themen der neuen Leitlinie.

Abbildung Synapse

Unter dem Begriff myasthene Syndrome werden Myasthenia gravis (MG) und das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) als autoimmunvermittelte Erkrankungen und die kongenitalen myasthenen Syndrome (CMS) zusammengefasst. Leitsymptom ist meist eine belastungsabhängige Muskelschwäche.

Die neue S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome“ fasst den aktuellen Stand zu den myasthenen Syndromen zusammen. Sie ist die Fortführung der Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Myasthenia gravis und des Lambert-Eaton-Syndroms“. Die neue S2k-Leitlinie entstand unter Federführung von Univ.-Prof. Prof. h.c. Dr. med. Dr. h.c. Heinz Wiendl, Münster, und Prof. Dr. med. Andreas Meisel, Berlin. Herausgeber ist die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Beteiligt waren zahlreiche weitere Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Leitlinie richtet sich an Mediziner und Betroffene

Die aktuelle S2k-Leitlinie möchte zum Wissenstransfer neuer Erkenntnisse zur Pathogenese, Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome beitragen. Zielgruppe der Leitlinie sind unter anderem Neurologen, Neuropädiater und Pathologen, aber auch Betroffene und deren Angehörige.

Die Neuerungen der Leitlinie werden im Folgenden aufgeführt.

Beurteilung des Therapieerfolges

Krankheitsaktivität und Erkrankungsverlauf

Das Therapieziel ist die bestmögliche Krankheitskontrolle, welche mit einer verbesserten Lebensqualität der Patienten einhergeht. Dabei wird die Krankheitskontrolle in der Leitlinie in vier Stufen eingeteilt. In der ersten Stufe ist keine Krankheitsaktivität mehr vorhanden und in der vierten Stufe ist die Erkrankungsaktivität sehr hoch.

Zur Therapie wird die Beurteilung des Erkrankungsverlaufes zunehmend bedeutender. Zur Beurteilung stehen die Myasthenia Gravis Foundation of America (MGFA)-Klassifikation und die Bestimmung der aktuellen Erkrankungsschwere zur Verfügung. Bei Letzterer wird zwischen einer milden/moderaten versus einer (hoch-)aktiven Erkrankung unterschieden. Zur (hoch-)aktiven Erkrankung zählt auch der Begriff der „therapierefraktären generalisierten MG (gMG)“. Der Schweregrad der klinischen Symptomatik, deren Dauer und Rückbildungstendenzen sowie der klinischen Residuen und das Vorhandensein bzw. die Anzahl von Krisen können zur Bestimmung der Krankheitsaktivität herangezogen werden.

Therapie und Antikörperstatus

Neben der Krankheitsaktivität wird der Antikörperstatus in der Therapie der MG zur Orientierung genutzt. Demnach werden drei Formen der MG unterschieden, je nach seropositivem bzw. seronegativem Antikörperstatus:

  • Acetylcholin-Rezeptor (AChR)-Antikörper
  • muskelspezifische Kinase (MuSK)-Antikörper
  • Lipoprotein-related protein (LRP) 4-Antikörper.

Das Wissen über den Antikörperstatus beeinflusst die Wahl des Therapeutikums. Komplementinhibitoren können bei positvem AChR-Antikörper der komplementbindenden Immunglobulin (Ig) G1-Subklasse angewendet werden, da es hier zur komplementabhängigen Zerstörung der neuromuskulären Endplatte kommt. Die MuSK-Antikörper gehören nicht zur komplementbindenden IgG4-Subklasse, so dass Komplementinhibitoren hier wirkungslos sind.

Therapie der Myasthenia gravis

Eculizumab und Ravulizumab bei gMG

Seit 2017 steht mit dem monoklonalen Antikörper Eculizumab, der sich gegen IgG richtet, der erste C5-Komplementinhibitor in der MG-Therapie zur Verfügung. Ein weiterer C5-Komplementinhibitor ist Ravulizumab. Beide können bei gMG eingesetzt werden, Eculizumab beim therapierefraktären Status und Nachweis von AChR-Antikörpern und Ravulizumab bei gMG und positivem AChR-Antikörperstatus als Add-On zur Standardtherapie.

Thyroidektomie

Die Ergebnisse der Phase-III-Studie MGTX zeigten eine langfristige Verbesserung des klinischen Verlaufs durch die Thyroidektomie bei gMG-Patienten mit positivem AChR-Antikörper-Status und einem Alter zwischen 18 und 65 Jahren. Dies gilt bis zu fünf Jahre nach Sicherung der Diagnose.

Efgartigimod alfa

Seit September 2022 ist das Antikörper-Fragment Efgartigimod alfa (Handelsname Vyvgart) zur Therapie der AChR-Antikörper positiven gMG bei erwachsenen Patienten als Add-on zur Standardtherapie zugelassen. Das Medikament richtet sich gegen den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn), der ein neues Therapieziel bei MG darstellt.

Weitere Komplementinhibitoren und FcRn-Modulatoren in der Entwicklung

Weitere Substanzen, die eine Komplementinhibition bzw. FcRn-Modulation bewirken, sind in der Pipeline. In Studien der Phase II bzw. III wurden beispielsweise Zilucoplan und Rozanolixizumab getestet. Hier sind demnach weitere Therapeutika zur Behandlung von MG für die nächsten Jahre zu erwarten.

Abgrenzung kongenitaler myasthener Syndrome

Neu in der Leitlinie ist auch die Aufführung therapeutischer Optionen, um kongenitale myasthene Syndrome von den autoimmunen abzugrenzen. Denn kongenitale myasthene Syndrome sind eine seltene, aber dennoch wichtige Differenzialdiagnose autoimmuner myasthener Syndrome. Dies gilt nicht nur im Kindesalter, sondern auch im Erwachsenenalter, wie die Autoren der Leitlinie betonen.

Quelle:

Wiendl H., Meisel A. et al., Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome, S2k-Leitlinie, 2022, DGN, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 08.02.2023)

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