Positionspapier zur neuropalliativen Versorgung

Angesichts unheilbarer neurologischer Erkrankungen, die die physischen und mentalen Funktionen sowie die Lebensqualität stark beeinträchtigen, wurde ein überarbeitetes Positionspapier veröffentlicht, das Empfehlungen zur neuropalliativen Versorgung der Betroffenen gibt.

Palliativmedizinische Betreuung

Hintergrund

Palliation wird häufig nur mit der medizinischen Versorgung kurz vor dem Tod des Patienten in Verbindung gebracht. In der Praxis beginnt die Palliativmedizin aber bereits viel früher, nämlich bei der Versorgung von Patienten mit unheilbaren Erkrankungen, die das Leben der Betroffenen tiefgreifend ändern. Eine palliative Versorgung, die die Modifikation der Erkrankung, eine Kontrolle der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität zum Ziel hat, sollte bei diesen Patienten bereits lange vor dem Ende des Lebens einsetzen [1].

Positionspapier zur Neuropalliation

In der Neurologie gibt es besonders viele Erkrankungen, die das Leben des Patienten irreversibel und tiefgreifend verändern können, wie z. B.  schwere Schlaganfälle, Parkinson, Multiple Sklerose oder amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Patienten mit diesen schweren Erkrankungen bedürfen häufig einer neuropalliativen Behandlung. Um Ärzte und medizinisches Personal bei der palliativen Versorgung dieser neurologischen Patienten zu unterstützen, hat die American Academy of Neurology (AAN) ein Positionspapier zur Neuropalliation im Fachjournal Neurology veröffentlicht. Das aktuelle Positionspapier ist ein Update vorangegangener Positionspapiere und wurde von dem gemeinsamen Ethics, Law and Humanities Committee der AAN, der American Neurological Association und der Child Neurology Society verfasst  [2].

Definition der neuropalliativen Versorgung

Mit neuropalliativer Versorgung wird eine Palliativ-Versorgung bezeichnet, die sich auf die spezifischen Bedürfnisse von Patienten mit neurologischer Erkrankung und ihre Angehörigen fokussiert. Die Neuropalliativmedizin repräsentiert sowohl ein immer größer werdendes Fachgebiet innerhalb der Neurologie und der Palliativmedizin als auch eine ganzheitliche Herangehensweise an Menschen, die an einer neurologischen Krankheit leiden und an deren Angehörige.  

Früher Einsatz der Palliation

Bei Krankheiten, die das Leben verändern und die Lebenszeit limitieren, sollte die palliative Versorgung frühzeitig und parallel zu krankheitsmodifizierenden und lebensverlängernden Therapien beginnen. Bei Patienten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien wurde beobachtet, dass eine frühe palliative Versorgung mit einem Trend zu einem längeren Überleben verbunden ist. Insbesondere Patienten mit schweren neurologischen Erkrankungen haben Vorteile von einer frühen palliativen Versorgung, weil sie häufig unter einer hohen Symptomlast, zunehmendem Funktionsverlust und prognostischer Unsicherheit leiden und einen hohen Pflegebedarf haben.  

Bedeutung der Kommunikation

Über den gesamten Krankheitsverlauf stehen bei einer schweren neurologischen Erkrankung immer wieder komplexe Entscheidungen an. Gerade bei neurologischen Erkrankungen kann es aber auch sein, dass der Patient in fortgeschrittenen Stadien diese Entscheidungen nicht mehr selbst treffen kann, sondern ein Stellvertreter das für ihn übernehmen muss. Falls diese Situation in Zukunft wahrscheinlich ist, muss sie mit dem Patienten frühzeitig besprochen werden, um ihm Zeit zu geben, alles in seinem Sinne zu regeln. Tatsächlich ist eine gute Kommunikation mit dem Patienten und ggf. seinen Angehörigen die Voraussetzung für eine gute und damit patientenzentrierte Palliation.

Kommunikationstrainings

Das Positionspapier empfiehlt daher jedem Neurologen sich im Bereich der Patienten-Kommunikation von schweren neurologischen Krankheiten fortzubilden. Entsprechende Kommunikationstrainings sollten in folgenden Aspekten schulen:

  • Überbringen schlechter Nachrichten
  • Einschätzung der Erkrankung
  • Erklären der Prognose
  • Unterstützung des Patienten und seiner Angehörigen bei der Entscheidungsfindung
  • Das Setzen von Grenzen, wenn Behandlungen objektiv zwecklos sind.

Einzelne Krankheitsbilder

Neben allgemeinen Empfehlungen geht das Positionspapier außerdem auf die neuropalliative Versorgung von Kindern und auf folgende einzelne Krankheitsbilder ein:

  • Bewusstseinsstörungen
  • Locked-in Syndrom
  • Schlaganfall
  • Wachkoma und minimaler Bewusstseinszustand
  • Neuroonkologie
  • Demenz
  • ALS und Frontotemporale Degeneration
  • Parkinson-Krankheit und verwandte Störungen.

Patienten im Endstadium

Wenn sich das Leben eines Patienten dem Ende nähert, sollten krankheitsmodifizierende Therapien zugunsten von Behandlungen zum Erhalt der Lebensqualität und des Wohlbefindens des Patienten in den Hintergrund treten. Bei einer Lebenserwartung von voraussichtlich < 6 Monaten sollten die Menschen, ihre oder die Einwilligung ihrer Angehörigen vorausgesetzt, in ein Hospiz überwiesen werden. Die Schätzung der verbleibenden Lebenszeit kann gerade bei Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder Multipler Sklerose sehr schwierig sein, so dass Irrtümer diesbezüglich häufig sind. In Zweifelsfällen empfiehlt das Positionspapier dem behandelnden Arzt sich im Sinne des Patientenwohls für die Einweisung in das Hospiz zu entscheiden.

Fazit

Eine palliative Versorgung findet bei Bedarf heute lange vor dem Lebensende des Patienten statt und ist zu einem essenziellen Teil der medizinischen Praxis geworden. Neben dem Lindern von Leiden ist das körperliche und psychische Wohlbefinden des Patienten ein Hauptziel der Palliation nicht nur gegen Ende des Lebens, sondern bereits während des gesamten Verlaufs einer schweren unheilbaren Krankheit. Dazu gehört auch, den Patienten auf mögliche, zukünftige Entwicklungen seiner Erkrankung vorzubereiten und ihn über eventuell in der Zukunft anstehende Entscheidungen aufzuklären, so dass sie in Ruhe bedacht werden können und nicht im Notfall übereilt getroffen werden müssen.

Autor:
Stand:
21.03.2022
Quelle:
  1. American Academy of Neurology (2022): AAN issues Position Statement on Neuropalliative Care. Pressemitteilung.
  2. Taylor, Besbris, Graf (2022): Clinical Guidance in Neuropalliative Care-An AAN Position Statement. Neurology 98 (10) 409-416; DOI: 10.1212/WNL.0000000000200063
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