
Hintergrund
Es ist bekannt, dass Vorhofflimmern das Risiko für Tod, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, kognitive Dysfunktion und Demenz erheblich erhöht. Doch die dahinter liegenden Mechanismen stellen zumindest in Teilen noch ein Rätsel das. Die gegenwärtige Lehrmeinung, dass die Erhöhung des Schlaganfallrisikos auf die Bildung Thromben durch das Vorhofflimmern zurückzuführen sei, kann beispielsweise nicht zufriedenstellend erklären, warum eine präventive Antikoagulation das Risiko für Schlaganfälle bei den Patienten nicht so stark senkt, wie zu erwarten wäre [1].
Stumme Infarkte unterschätzt
Ein weiteres Manko der Forschung bis dato ist, dass meist nur klinisch manifeste Schlaganfälle und/oder transiente ischämische Attacken als primäre Endpunkte zur Beurteilung der pathologischen Zusammenhänge von Vorhofflimmern und Gehirngesundheit gewählt wurden. T. Jared Bunch und Benjamin A. Steinberg vom Department of Medicine der University of Utah in Salt Lake City schreiben in einem Editorial im European Heart Journal, dass diese Ereignisse jedoch nur die Spitze des Eisbergs pathologischer Folgen des Vorhofflimmerns für Hirnstruktur und Hirnfunktion seien. Sie weisen außerdem daraufhin, dass die Folgen sogenannter stummen Hirninfarkte systematisch unterschätzt würden, wie die Ergebnisse des laufenden, interdisziplinären Langzeit-Projekts Swiss Atrial Fibrillation Cohort (Swiss AF-Cohort) zeigen würden [2].
Langzeitprojekt Swiss AF-Cohort
Die Swiss AF-Cohort untersucht die verschiedenen Zusammenhänge zwischen Vorhofflimmern und der Gehirnleistung und -struktur an 14 Zentren in der Schweiz. Die Kohorte umfasst derzeit 2.415 Patienten im Alter von ≥ 65 Jahren. Bei den Patienten werden Phäno- und Genotypisierung durchgeführt. Sie absolvieren jährlich ein validiertes Testprogramm zur Bewertung ihres kognitiven Leistungsvermögens (Gesamtergebnis als Cognitive Construct Score [CoCo]). Darüber hinaus werden Lebensqualität und Behinderungsgrad erhoben und zerebrale MRT-Untersuchungen durchgeführt.
Stumme Infarkte beeinträchtigen Kognition
Im Rahmen von Swiss AF-Cohort veröffentlichten Forscher vor zwei Jahren im European Heart Journal die Ergebnisse von Baseline Untersuchungen bei 1737 Patienten. Bei 22 % der Patienten wurden damals große kortikale und nicht-kortikale Infarkte (large cortical and non-cortical infarcts [LNCCIs]), bei 21 % kleine nicht-kortikale Infarkte (Small non-cortical infarcts [SNCI]), bei 22 % Mikroblutungen (microbleeds [Mb]) und bei 99 % Läsionen der weißen Substanz (white matter lesions [WML]). Die Präsenz der Infarkte war bei Patienten mit einer geringeren kognitiven Leistung verbunden – gleichgültig, ob es sich dabei um klinisch manifeste oder sogenannte stumme Infarkte handelte. In einer aktuellen Ausgabe des European Heart Journal erschienen nun die Ergebnisse des Follow ups nach zwei Jahren von 1.227 Patienten aus der ersten Studie [3].
Zielsetzung
Die Forscher untersuchten die Zusammenhänge klinisch manifesten stummen Hirninfarkten mit den kognitiven Funktionen bei Patienten mit Vorhofflimmern (Atrial Fibrillation [AF]).
Methoden
In der aktuellen Studie nutzten die Wissenschaftler die Daten aus der vorangegangenen Studie und der zweijährigen klinischen Nachbeobachtung als Baseline-Werte. In der aktuellen Studie wurden MRT-Untersuchungen wiederholt, um festzustellen, ob in der Zwischenzeit neue Läsionen entstanden waren und die Teilnehmer wurden erneut dem Testprogramm zur Bewertung der kognitiven Funktonen unterzogen.
Kategorisierung der MRT-Läsionen
Die Läsionen wurden wie folgt kategorisiert: Nicht im Kortex lokalisierte hyperintense Läsionen wurden bei einem Durchmesser von ≤20 mm als Small non-cortical infarcts (SNCI) und bei einem Durchmesser von >20mm als large non-cortical infarcts definiert. Alle hyperintense Läsionen, die den Kortex betrafen, wurden als Cortical infarct definiert. Large non-cortical infarcts (LNCI) und Cortical infarcts (CI) wurde gemeinsam der Kategorie der LNCCIs zugeordnet. Läsionen der weißen Substanz (White matter lesions [WML]) und Mikroblutungen (Microbleeds [Mb]) waren ebenfalls dokumentiert worden. Als stumme Hirninfarkte wurden alle neuen SNCIs und LNCCIs klassifiziert, wenn die Patienten, bei denen sie detektiert wurden, im zweijährigen Follow up nach den Baseline-Untersuchungen weder einen klinisch manifesten Schlaganfall noch eine transiente ischämische Attacke (TIA) erlitten hatten.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 1.227 Patienten aus der Vorgänger-Studie in die aktuelle Untersuchung aufgenommen. Die Patienten waren im Durchschnitt 71 Jahre alt, nur 26,1 % waren Frauen und 89,9 % wurden antikoagulativ behandelt. Einen Schlaganfall oder eine TIA während des zweijährigen Follow ups nach den Baseline-Untersuchungen trat bei 28 (2,3%) der Patienten auf. Bei 68 (5,5 %) der Patienten wurden ≥ 1 SNCI/LNCCI gefunden. Von diesen hatten 58 (85,3%) einen stummen Infarkt, und 60 (88,2 %) waren unter Antikoagulation. Patienten mit Hirninfarkten wiesen mit einer medianen Veränderung im Cognitive Construct Score -0,12 (Interquartilsabstand [IQA] -0,22; -0,07) einen stärkeren kognitiven Abbau auf als Patienten ohne neue Läsionen (Median 0,07 [IQA -0,09; 0,25). Neue WML oder Mbs waren nicht mit einem kognitiven Abbau verbunden.
Fazit
In der Kohorte hatten fast doppelt so viele Patienten einen stummen Hirninfarkt erlitten und zeigten ähnliche kognitive Defizite wie die Patienten, bei denen ein klinisch manifester Schlaganfall aufgetreten war. Auch diese Studie zeigte, dass die präventive Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern keinen ausreichenden Schutz vor klinisch manifesten oder stummen Hirninfarkten bietet.