In einem Rote-Hand-Brief zu Tetrazepam ordnete die Europäische Kommission zum 1. August 2013 das Ruhen der Zulassung tetrazepamhaltiger Arzneimittel an. Grund war das Auftreten schwerer Hautreaktionen, weshalb das Nutzen-Risiko-Verhältnis als ungünstig eingestuft wurde. Das Ruhen der Zulassung wurde mehrfach verlängert, zuletzt am 12. Juli 2019 bis zum 31. Juli 2021. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gab nun den Widerruf der Zulassung tetrazepamhaltiger Arzneimittel bekannt.
Neue schwere Hautreaktionen
Tetrazepam ist ein Benzodiazepin, das als Muskelrelaxans bei schmerzhaften rheumatisch-bedingten Kontrakturen oder bei Spastiken angewendet wurde. Nachdem Berichte von neuen schweren Hautreaktionen in Verbindung mit Tetrazepam auftraten, überprüfte die französische nationale Behörde 2012 anhand einer Pharmakovigilanz-Studie das Hautrisiko des Wirkstoffs mittels einer seit 1967 geführten Datenbank. Es konnte ein erhöhtes Hautrisiko im Zusammenhang mit Tetrazepam neben den pharmakologisch zu erwartenden Benzodiazepin-Nebenwirkungen festgestellt werden. Rund die Hälfte der gemeldeten Nebenwirkungen waren Hautreaktionen wie Stevens-Johnson-Syndrom, Lyell-Syndrom (toxische epidermale Nekrolyse, TEN), Erythema multiforme sowie Medikamentenausschlag mit Eosinophilie und systemischen Symptomen (DRESS-Syndrom), die zum Teil tödlich verliefen.
PRAC untersucht Hautrisiko
Daraufhin nahm der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz der EMA (PRAC) eine Untersuchung vor, die auch Daten aus anderen Mitgliedsstaaten und der Zulassungsinhaber einschlossen. Es wurden Hinweise darauf gefunden, dass die schweren Hautreaktionen wahrscheinlich in Zusammenhang mit einer Allergie vom verzögerten Typ (Typ-IV-Allergie) stehen. Tetrazepam unterscheidet sich durch einen substituierten Cyclohexenylring von anderen Benzodiazepinen. Dieser könnte ebenso wie die Affinität des Wirkstoffs zur Haut, die unerwünschten Wirkungen im Vergleich zu anderen Arzneistoffen der Gruppe erklären.
Begrenzte Wirksamkeit in klinischen Studien
Die Zulassung tetrazepamhaltiger Arzneimittel basiert laut PRAC insbesondere auf zwei kleinen, doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studien (Arbus 1987 und Salzmann 1993), an denen 50 bzw. 20 Patienten teilnahmen. Diese Studien zeigten eine begrenzte Wirksamkeit von Tetrazepam. Auch in Vergleichsstudien mit anderen Wirkstoffen konnte kein signifikanter Unterschied in der Wirksamkeit festgestellt werden.
Ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis
Aufgrund der unvorhersehbaren schweren unerwünschten Hautreaktionen sowie der begrenzten Wirksamkeit, beurteilte der PRAC das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Tetrazepam als ungünstig. Eine Risikominimierung durch Reduzierung der Behandlungsdauer oder Beschränkung der Anwendungsgebiete sei nicht ausreichend. Stattdessen wurde eine Aussetzung der Genehmigung für das Inverkehrbringen empfohlen.
Zulassungen werden widerrufen
Um das Ruhen der Zulassungen aufzuheben, ist von den Inhabern der Genehmigung für das Inverkehrbringen der Nachweis einer Patientenpopulation nötig, in der das Nutzen-Risiko-Verhältnis tetrazepamhaltiger Arzneimittel auf Grundlage wissenschaftlich relevanter unterstützender Daten positiv ist. Solche Daten wurden seit 2013 nicht eingereicht. Das BfArM stellte den nationalen Zulassungsinhabern Ende Mai 2021 eine vierwöchige Frist, innerhalb derer ein aktueller Stand sowie ein Zeitpunkt der Einreichung entsprechender Daten kommuniziert werden sollte. Da der Aufforderung nicht nachgekommen wurde, wurden die Zulassungen für tetrazepamhaltige Arzneimittel zum 15. Juli 2021 aufgehoben. Die betroffenen Präparate sind in Anlage I des Durchführungsbeschlusses der EU-Kommission vom 29. März 2013 aufgeführt.