Bluttest für ICANS-Risiko bei CAR-T-Zelltherapie?

Forscher untersuchten die Plasmaspiegel des Proteins Neurofilament Light Chain bei Patienten vor der Lymphodepletion und nach der Infusion von CAR-T-Zellen, und deren Assoziation mit dem Immuneffektorzell-assoziierten Neurotoxizitätssyndrom.

CAR-T-Zell-Therapie

Hintergrund

Die Therapie mit T-Zellen mit chimärem Antigenrezeptor (CAR -T-Zelltherapie) hat die Behandlung mehrerer Krebsarten revolutioniert. Bei 40% bis 60% der Patienten tritt nach der Infusion der CAR-T-Zellen ein Immuneffektorzell-assoziiertes Neurotoxizitätssyndrom (immune effector cell–associated neurotoxicity syndrome [ICANS]) auf. Noch macht die Zahl der mit Zelltherapie behandelten Patienten (<10 000 jährlich) nur einen kleinen Bruchteil aller wegen Krebs behandelten Patienten aus, jedoch wächst die Zahl der Indikationen für die Zelltherapie rasant.

Typischerweise beginnen die Symptome einer Neurotoxizität drei bis neun Tage nach der Infusion. Das Spektrum reicht von Enzephalopathie über Aphasie bis zu Hirnödemen. Während die meisten Fälle von niedriggradigen ICANS (Grad 1-2) selbstlimitierend sind, können ICANS dritten Grades oder höher mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität verbunden sein. Die frühzeitige Identifizierung von Patienten mit einem Risiko für ein ICANS ist von entscheidender Bedeutung, um präventive Maßnahmen ergreifen zu können.

Neurofilament Light Chain (NfL) ist ein axonales Strukturprotein, dessen Spiegel bei vielen neurodegenerativen und neuroinflammatorischen Erkrankungen, wie Morbus Alzheimer und Multipler Sklerose, erhöht ist. Wissenschaftler berichteten von Erhöhungen der NfL-Spiegel nach der Infusion von CAR-T-Zellen bis zu fünf Tage vor dem Höhepunkt eines ICANS. Es ist jedoch unklar, ob es sich um eine akute Erhöhung nach der Infusion oder um eine chronische Veränderung vor der Zelltherapie handelt.

Ebenso ist die Assoziation von NfL mit etablierten ICANS-Risikofaktoren (Tumorlast vor Infusionsbeginn, CAR-T-Zelldosis, Vorgeschichte bereits bestehender neurologischer Begleiterkrankungen, Ferritinspiegel nach der Infusion, Thrombozytenzahl, Spiegel von Laktatdehydrogenase [LDH], Fibrinogen und C-reaktivem Protein [CRP]) unklar. Wissenschaftler hoffen, dass NfL als Biomarker bei ICANS nützlich sein könnte

Zielsetzung

Wissenschaftler um Dr. Omar Butt von der Washington University School of Medicine in St. Louis in den USA gingen in einer Studie der Frage nach, ob eine Erhöhung des NfL-Spiegels bei Patienten, die ein ICANS entwickeln, vor oder nach der Infusion des Zellprodukts auftrat. Das Wissen, ob ein erhöhter NfL-Spiegel ein Anzeichen für eine vor Therapiebeginn latent vorhandene neuroaxonale Schädigung oder aber die Folge der Behandlung war, könnte möglicherweise helfen, Hochrisikopatienten zu identifizieren [1, 2].

Methodik

Die retrospektive Studie wurde an zwei Zentren durchgeführt. Die Wissenschaftler bestimmten die NfL-Spiegel in Plasmaproben, die vor und nach der Behandlung von Patienten mit detaillierter medizinischer und Behandlungsanamnese, einschließlich aller wichtigen Risikofaktoren, archiviert worden waren. Zu den Ausschlusskriterien gehörten Demenz und eine schwere, symptomatische Beteiligung des zentralen Nervensystems (ZNS).

Alle Patienten mussten eine CD19-CAR-T-Zelltherapie erhalten haben. Die Wissenschaftler werteten die NfL-Spiegel zu den folgenden sieben Zeitpunkten aus: Ausgangswert vor der Lymphodepletion, während der Lymphodepletion, an mehreren Tagen nach der Infusion (D1, D3, D7, D14 und D30). Sie modellierten die Vorhersagegenauigkeit für die Entwicklung eines ICANS mithilfe der ROC-Klassifizierung (Receiver Operating Characteristic).

Außerdem untersuchten die Forscher mit einer univariaten und einer multivariaten Modellierung den Zusammenhang zwischen den NfL-Spiegeln und einem aufgetretenen ICANS sowie potenziellen Risikofaktoren, einschließlich demografischer (Alter, Geschlecht), onkologischer (Tumorbelastung, ZNS-Beteiligung in der Anamnese), und neurologischer (Vorgeschichte von nichtonkologischen ZNS-Erkrankungen oder Neuropathie) Anamnesen sowie der Anamnese zur Exposition gegenüber neurotoxischen Therapien (Vincristin, Cytarabin, Methotrexat oder Strahlentherapie des ZNS).

Ergebnisse

Insgesamt wurden die Daten von 30 Patienten im mittleren (Bereich) Alter von 64 (22-80) Jahren, die eine CD-19-CAR-T-Zelltherapie (63% mit Axicabtagen ciloleucel) erhalten hatten, ausgewertet. 12 Personen (40%) waren Frauen und 18 (60%) Männer.

Bei Personen, die ein ICANS entwickelt hatten, lag vor der Lymphodepletion und der CAR-T-Zellinfusion im Vergleich zu Personen, die kein ICANS entwickelt hatten, ein höherer NfL-Spiegel vor (kein ICANS: 29,4 pg/ml, vs ICANS: 87,6 pg/ml; P < 0,001).

Die Ausgangs-NfL-Werte sagten die Entwicklung eines ICANS mit hoher Genauigkeit voraus (Bereich unter der ROC-Kurve: 0,96; Sensitivität: 0,91; Spezifität: 0,95). Der NfL-Spiegel blieb bis zu 30 Tage nach der Infusion erhöht.

Die NfL-Ausgangswerte korrelierten mit dem Schweregrad der ICANS, jedoch nicht mit demografischen Faktoren, der onkologischen Anamnese, der nichtonkologischen neurologischen Vorgeschichte oder der Exposition gegenüber neurotoxischen Therapien.

Fazit

In dieser Querschnittsstudie war in einer Untergruppe von Patienten das Risiko, ICANS zu entwickeln, mit einer bereits bestehenden neuroaxonalen Schädigung verbunden, die mit dem Plasmaspiegel von NfL quantifizierbar war. Diese latente neuroaxonale Schädigung war vor der Verabreichung der CAR-T-Zelltherapie vorhanden, aber nicht mit historischen neurotoxischen Therapien oder nichtonkologischen neurologischen Erkrankungen verbunden, fassten die Forscher ihre Studienergebnisse zusammen.

"Unsere Studie legt nahe, dass einige Patienten, die eine CAR-T-Zelltherapie erhalten, zuvor unentdeckte Schäden an Neuronen haben, die zu Studienbeginn vorhanden sind, bevor wir überhaupt mit der Vorbereitung auf diese Behandlung beginnen", sagte Hauptautor Dr. Omar Butt, Medizindozent, der Patienten im Siteman Cancer Center am Barnes-Jewish Hospital und an der Washington University School of Medicine behandelt.

Zukünftig könnte mittels eines einfachen Bluttests der NfL-Spiegel, der vor Beginn der CAR-T-Zellbehandlung durchgeführt wird, festgestellt werden, welche Patienten für die Entwicklung neurotoxischer Nebenwirkungen nach der CAR-T-Zelltherapie prädisponiert sind. So könnten frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um diese Nebenwirkungen zu verhindern oder den Schweregrad zu reduzieren.

Zu den Einschränkungen der Studie gehörten eine Kohorte, die überwiegend mit Axicabtagen ciloleucel behandelt wurde, eine unzureichende Power für vergleichende Analysen von Untergruppen mit ICANS verschiedener Schweregrade sowie ein Mangel an verfügbaren Proben der Zerebrospinalflüssigkeit und an Bildgebungsdaten, um zusätzliche Informationen über die Pathophysiologie zu liefern.

Die Autoren halten zusätzliche Studien für erforderlich, um den Nutzen von NfL als prädiktivem Biomarker für eine frühzeitige (präemptive oder prophylaktische) Intervention zu bestimmen und den Ursprung der zugrunde liegenden neuronalen Schädigungen zu beschreiben.

Die Arbeit wurde durch Fördergelder von universitären Einrichtungen, Stiftungen, Fachgesellschaften und den National Institutes of Health ermöglicht.

Quelle:
  1. Butt et al. (2022): Assessment of pretreatment and posttreatment evolution of neurofilament light chain levels in patients who develop immune effector cell–associated neurotoxicity syndrome. JAMA Oncology, DOI: 10.1001/jamaoncol.2022.3738
  2. Washington University in St. Louis, Pressemeldung, 01.09.2022
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