COVID-19: Durchbruchinfektionen bei Krebspatienten

Daten einer großen populationsbasierten Kohortenstudie zeigten, dass nach einer COVID-19-Impfung bei Patienten mit Krebs ein höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion und für ungünstigere Verläufe vorlag als bei Menschen ohne Krebserkrankung.

Corona-Impfung ältere Dame

Hintergrund

In früheren Studien zur SARS-CoV-2-Pandemie berichteten Wissenschaftler, dass Patienten mit Krebs, insbesondere Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen, ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe und zu versterben hatten als Patienten ohne Krebs.

Studien zu Antikörperreaktionen nach der Impfung zeigten, dass SARS-CoV-2-Durchbruchinfektionen mit niedrigeren Konzentrationen von Anti-Spike-IgG und neutralisierenden Antikörpern korrelierten. Bei Krebspatienten wurde eine verminderte Seroreaktion nach der Impfung beobachtet.

Kanadische Wissenschaftler stellten daher die Hypothese auf, dass Patienten mit Krebserkrankung schlechtere Ergebnisse nach einer COVID-19-Impfung zeigen, wie zum Beispiel mehr Durchbruchinfektionen und schwerere COVID-19-Verläufe. Insbesondere erwarteten sie dies für Patienten mit hämatologischer Krebserkrankung.

Zielsetzung

Die Wissenschaftler überprüften ihre Hypothese mit einer Kohortenstudie, in der sie den Zusammenhang zwischen der COVID-19-Impfung mit Durchbruchinfektionen und Komplikationen bei Patienten mit Krebs im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne Krebserkrankung bestimmten. Dr. Inna Gong vom Department of Medicine der University of Toronto in Kanada und Kollegen publizierten die Ergebnisse im Fachmagazin JAMA Oncology.

Methodik

Für die retrospektive, bevölkerungsbasierte Kohortenstudie verwendeten die Wissenschaftler verknüpfte administrative Datenbanken, in der Daten aller 14 Millionen Einwohner von Ontario, Kanada, erfasst sind. Für die Analyse wurden Daten von Personen ab 18 Jahren, die zwischen dem 09. und dem 17. Dezember 2020 eine COVID-19-Impfung erhalten hatten, herangezogen.

Die Wissenschaftler bildeten drei bezüglich Alter, Geschlecht, Art des Impfstoffs und Datum der Impfung übereinstimmende Gruppen: Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen oder mit soliden Tumoren und Kontrollpersonen ohne Krebserkrankung im Verhältnis 1:4, Daten von Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen oder mit soliden Tumoren wurden getrennt analysiert; Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen und mit soliden Tumoren im Verhältnis 1:1.

Als Endpunkte wurden folgende Ereignisse angesehen, wenn sie 14 Tage nach Erhalt der zweiten COVID-19-Impfdosis auftraten: Der primäre Endpunkt war eine SARS-CoV-2-Durchbruchinfektion. Sekundäre Endpunkte waren eine Vorstellung in der Notaufnahme, ein Krankenhausaufenthalt oder der Tod innerhalb von vier Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion.

Die Wissenschaftler verwendeten multivariable, kumulative Inzidenzfunktionsmodelle, um eine adjustierte Hazard Ratio (aHR) und 95%-Konfidenzintervalle (KI) zu ermitteln.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 289.400 geimpfte Patienten mit Krebs (39.880 Patienten mit hämatologischen Tumoren, 249.520 Patienten mit soliden Tumoren) und 1.157.600 übereinstimmende Kontrollpersonen ohne Krebserkrankung identifiziert. 65,4% aller Personen waren Frauen. Das mittlere Alter (SD) betrug 66 (14,0) Jahre.

Während der Nachbeobachtungsphase bis zum 31. Dezember 2021 fanden die Wissenschaftler 3.118 Durchbruchinfektionen in der Patientengruppe mit Krebserkrankung und 12.150 Infektionen in der Kontrollgruppe ohne Krebserkrankung. Bei allen Patienten mit Krebs war die Rate an SARS-CoV-2-Durchbruchinfektionenar signifikant höher als bei Personen ohne Krebserkrankung (aHR 1,05; 95%-KI: 1,01 bis 1,09; P = 0,02).

Die Wissenschaftler ermittelten bei Patienten mit hämatologischem Krebs mehr SARS-CoV-2-Durchbruchinfektionen als bei den Kontrollpersonen (aHR, 1,33; 95%-KI: 1,20 bis 1,46; P < 0,001), jedoch nicht bei Patienten mit soliden Tumoren (aHR, 1,00; 95%-KI: 0,96 bis 1,05; P = 0,87).

Der Erhalt einer dritten Impfstoffdosis war durchweg mit einem geringeren Risiko einer Durchbruchinfektion verbunden. Für alle Patienten mit Krebs errechneten die Wissenschaftler eine aHR von 0,58 (95%-KI: 0,54 bis 0,61; P < 0,001), für Patienten mit hämatologischer Krebserkrankung von 0,61 (95%-KI: 0,54 bis 0,69; P < 0,001), für Patienten mit soliden Tumoren von 0,56 (95%-KI: 0,53 bis 0,60; P < 0,001) und für Patienten mit hämatologischer Krebserkrankung vs. Patienten mit soliden Tumoren von 0,59 (95%-KI: 0,50 bis 0,70; P < 0,001).

Für die Nachbeobachtung bis zum 31. März 2022 registrierten die Wissenschaftler 711 Vorstellungen in der Notaufnahme und 1.399 schwere Verläufe bei Patienten mit Krebserkrankung. In der Kontrollgruppe waren dies 1.918 und 3.078.

Schwere COVID-19-Verläufe (zusammengesetzter Endpunkt aus Krankenhausaufenthalt und Tod) waren bei Patienten mit Krebs signifikant öfter zu verzeichnen als bei Patienten ohne Krebs (aHR 1,52; 95%-KI: 1,42 bis 1,63; P < 0,001). Das Risiko für schwere Verläufe war bei Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen höher (aHR 2,51; 95%-KI: 2,21 bis 2,85; P < 0,001) als bei Patienten mit soliden Tumoren (aHR 1,43; 95%-KI: 1,24 bis 1,64; P < 0,001).

Der Erhalt der dritten Impfstoffdosis schützte durchweg besser vor allen untersuchten COVID-19-bezogenen Endpunkten. Für alle Patienten mit Krebserkrankung im Vergleich zu Kontrollpersonen betrug die aHR für Vorstellungen in der Notaufnahme 0,41 (95%-KI: 0,37 bis 0,45; P < 0,001), für schwere Verläufe 0,44 (95%-KI: 0,41 bis 0,48; P < 0,001) und für den Tod 0,39 (95%-KI: 0,35 bis 0,45; P < 0,001).

Patienten, die eine aktive Behandlung erhielten, hatten ein weiter erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Erkrankungen, insbesondere diejenigen, die eine Anti-CD20-Therapie erhielten. Die dritte Impfdosis war mit einer geringeren Infektionsrate und weniger COVID-19-Komplikationen verbunden. Auch hier stellten Patienten, die eine Anti-CD20-Therapie erhalten hatten, die Ausnahme dar.

Fazit

Daten einer großen populationsbasierten Kohortenstudie zeigten, dass bei Patienten mit Krebserkrankung, insbesondere mit einer hämatologischen Form und bei aktiver Behandlung, ein höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Durchbruchinfektion und für ungünstigere COVID-19-Verläufe vorlag als bei Menschen ohne Krebserkrankung.

Die Studienautoren wiesen speziell auf ihre neue Erkenntnis zur Wirkung einer dritten Impfstoffdosis hin. Sie fanden, dass außer bei Patienten, die eine Anti-CD20-Therapie erhalten hatten, die Auffrischimpfungen Patienten mit Krebserkrankung vor Durchbruchinfektionen und schweren COVID-19-Verläufen schützte.

In der Studie kann es zu Verzerrungen bei der Identifizierung von Durchbruchinfektionen gekommen sein. Durchbruchinfektionen, die mittels durch Betroffene selbst vorgenommene Antigen-Schnelltests identifiziert wurden, wurden nicht erfasst und Patienten mit Krebs hatten wahrscheinlich mehr Kontakt zur Gesundheitsversorgung, eine größere Wachsamkeit gegenüber COVID-19 und einen besseren Zugang zu COVID-19-Tests als die Allgemeinbevölkerung.

Die Autoren beschrieben eine Reihe weiterer möglicher Einschränkungen. Zum Beispiel konnten sie den Erhalt von COVID-19-gerichteten Therapien (Kortikosteroide, Remdesivir, Sotrovimab, Tocilizumab, Nirmatrelvir/ Ritonavir) nicht feststellen und deren Zusammenhang mit COVID-19-Ergebnissen nicht untersuchen.

Quelle:

Gong et al. (2022): Association of COVID-19 vaccination with breakthrough infections and complications in patients with cancer. JAMA Oncology, DOI: 10.1001/jamaoncol.2022.6815

  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige