
Hintergrund
Geriatrische Patienten sind in klinischen Studien zu Krebstherapien unterrepräsentiert. Daher ist über die Wirksamkeit von Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) bei geriatrischen Patienten wenig bekannt. Es gibt theoretische Bedenken, dass die Immunoseneszenz (altersbedingte Veränderungen der Immunfunktion) die Wirksamkeit von ICI beeinträchtigen könnte.
Außerdem können diese Wirkstoffe immunbedingte unerwünschte Ereignissen (immune-related adverse events [irAE]) auslösen, die bei geriatrischen multimorbiden Patienten besonders ausgeprägt sein könnten.
Zielsetzung
Dr. Caroline Nebhan vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville, USA, ging mit Kollegen aus den USA, Italien und China der Frage nach, welche klinischen Ergebnisse durch eine Behandlung mit einem einzelnen ICI bei geriatrischen Patienten im Alter von ≥80 Jahren mit Krebs erreicht werden können und welches Spektrum an irAE auftritt. Die Ergebnisse publizierten die Wissenschaftler im Fachblatt JAMA Oncology [1].
Methodik
Die Wissenschaftler sammelten an 18 medizinischen Zentren in den Vereinigten Staaten und Europa retrospektive Daten von Krebspatienten, die zwischen 2010 und 2019 behandelt worden waren.
Klinische Endpunkte waren die objektive Ansprechrate (objective response rate [ORR]), das progressionsfreie Überleben (progression-free survival [PFS]) und das Gesamtüberleben (overall survival [OS]) sowie das Muster von irAE. irAE wurden auf der Grundlage der allgemeinen Terminologiekriterien für unerwünschte Ereignisse (CTCAE Version 5.0) klassifiziert.
Ergebnisse
Das mediane Alter (Bereich) der 928 Patienten betrug bei Therapiebeginn 83,0 (75,8 - 97,0) Jahre. 19 Patienten waren jünger als 80 Jahre, 909 Patienten waren 80 Jahre und älter. Die drei häufigsten Tumoren waren nicht-kleinzelliger Lungenkrebs (non small cell lung cancer [NSCLC]) (bei 345 [37,2%] Patienten), Melanom (bei 329 [35,5%] Patienten) und Urogenitaltumoren (genitourinary [GU] tumors) (bei 153 [16,5%] Patienten).
Die Patienten wurden mit Wirkstoffen gegen folgende Zielmoleküle behandelt: PD-1 (programmed cell death 1 protein [programmierter Zelltod 1-Protein]) (n = 806), PD-L1 (programmed cell death ligand 1 protein [Ligand 1 des programmierter Zelltod-Proteins]) (n = 79) und CTLA-4 (cytotoxic T-lymphocyte associated protein 4 [zytotoxische T-Lymphozyten-assoziiertes Protein]) (n = 43).
Die ORR für Patienten mit NSCLC, Melanom und GU-Tumoren betrugen 32,2%, 39,3% und 26,2%. Das mediane PFS und das OS betrugen 6,7 und 10,9 Monate (NSCLC), 11,1 und 30,0 Monate (Melanom) sowie 6,0 und 15,0 Monate (GU-Tumoren). Innerhalb der histologisch spezifischen Untergruppen (NSCLC, Melanom und GU-Tumoren) waren die klinischen Ergebnisse in allen Altersuntergruppen (Alter <85 Jahre vs. ≥85 Jahre) vergleichbar.
383 (41,3%) Patienten erlitten mindestens ein irAE. Bei 113 (12,2%) Patienten wurden irAE dritten oder vierten Grades beobachtet. Die mediane Zeit bis zum Einsetzen der irAE betrug 9,8 Wochen. 219 (57%) Ereignisse traten innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der ICI-Behandlung auf. Bei 137 (16,1%) Patienten wurde die Behandlung mit ICI aufgrund von irAE abgesetzt.
Die Wissenschaftler fanden keinen signifikanten Unterschied in der Rate der irAE bei Patienten im Alter unter 85 Jahren, zwischen 85 und 89 Jahren und im Alter ab 90 Jahren. Trotz der ähnlichen Rate von irAE mindestens dritten Grades wurden ICI bei Patienten im Alter von 90 Jahren oder älter im Vergleich zu Patienten unter 90 Jahren mehr als doppelt so häufig aufgrund von irAE abgesetzt (30,9% vs. 15,1%, P = 0,008).
Fazit
In der Kohortenstudie wurden Daten von 928 Patienten ausgewertet. Die meisten Patienten waren mindestens 80 Jahre alt und mit einem Anti-PD1-ICI behandelt worden. Die Anwendung eines einzelnen ICI zeigte vielversprechende Antitumor-Ergebnisse bei NSCLC, Melanom und Urogenitaltumoren.
Obwohl die Rate an irAE in den verschiedenen Altersgruppen nicht signifikant unterschiedlich waren, beobachteten die Wissenschaftler bei Patienten im Alter von 90 Jahren oder älter ein häufigeres Absetzen des ICI beim Auftreten von irAE, selbst bei niedriggradigen irAE.
Die Autoren der Studie vermuten, dies könnte auf eine geringere Toleranz für toxische Wirkungen bei dieser besonderen geriatrischen Patientenpopulation hindeuten, die möglicherweise auf der Präferenz der Patienten, einem abnehmenden Leistungsstatus oder einer geringeren Risikoakzeptanz des Behandlers beruht. Die Wissenschaftler schließen aus ihren Studienergebnissen, dass ein fortgeschrittenes Alter kein Ausschlusskriterium für eine ICI-Therapie sein sollte.
Sie meinen, die Ergebnisse der Studie sollten mithilfe randomisierter klinischer Studien bei geriatrischen Patienten mit ICI-Therapien weiter untersucht und die histologiespezifischen Ergebnisse mit geeigneten Kontrollen identifiziert werden.