ERS 2020: Aktuelle Entwicklungen rund um Lungenkrebs

Themen auf dem ERS Kongress 2020: Interagieren Lungenmikrobiom und Krebs? Welche Rolle kann das Mikrobiom bei zukünftigen Lungenkrebs-Therapien spielen. Über den Erfolg von Therapien entscheidet auch die Testwahl. Ernüchterung beim kleinzelligen Lungenkrebs.

Lungenkrebs, Bronchialkarzinom

Hintergrund

In der Session „New Developmens in Lung Cancer“ im Rahmen des virtuellen ERS Kongress 2020 gab Professor Dr. Hortense Slevogt, Internistin und Infektiologin in der Klinik für Innere Medizin I, FB Pneumologie & Allergologie / Immunologie der Universität Jena einen Einblick in den Wissenstand rund um Lungenmikrobiom und Lungenkrebs. [1] Angesichts der Fülle von Testoptionen und der raschen Fortentwicklung der Tumordiagnostik betonte Professor Dr. Joanna Chorostowska-Wynimko vom Department of Genetics and Clinical Immunology, National Institute of Tuberculosis and Lung Diseases in Warschau die Bedeutung einer engen multidisziplinären Zusammenarbeit bei der Diagnostik von Lungenkrebs.[2]  Professor Dr. Sebahat Ocak von der katholischen Universität Louvain überbrachte ernüchternde Nachrichten vom kleinzelligen Lungenkrebs (small cell lung cancer [SCLC]).[3]

Die Rolle des Lungenmikrobioms bei Lungenkrebs

Zusammenhänge zwischen der Entstehung von Neoplasien und dem Darmmikrobiom sind bereits seit längerem bekannt. „Da liegt es nahe solche Zusammenhänge auch für das Lungenmikrobiom und die Entstehung von Lungenkrebs zu vermuten,“ erklärte Slevogt. Die Forschung zum Lungenmikrobiom ist vergleichsweise jung. Doch lassen sich aus der onkologischen Erforschung des Darmmikrobioms folgende cancerogene Mechanismen auf das Lungenmikrobiom übertragen:

  • Die Unterbrechung der Zellzyklus durch Bakterientoxine ruft Änderungen des Zellwachstums hervor, die Auswirkungen auf die Kontrolle der DNA-Reparatur, die Zellteilung und die Apoptose haben.
  • Die Veränderung der Immunantwort des Wirtes auf maligne Zellen.
  • Die Modulation der Sensitivität solider Krebsarten auf Checkpoint-Inhibitoren (CTLA4 und PD-1/L1).
  • Ein metabolisches Ungleichgewicht durch die Mikrobiota führt zur Bildung toxischer Metaboliten in den Lungen, die für die sekundäre Entstehung von  Procarcinogenen im Zigarettenrauch verantwortlich sein könnten.
  • Die Zusammensetzung der spezifischen Mikrobiome beider Lungen als auch des Darms könnten immunologische Effekte auf Lungenkrebs haben.

Erkenntnisse aus dem Mausmodell und Ausblick

In einem Mausmodell konnte gezeigt werden, dass die lokale Lungenmikrobiota Entzündungsprozesse hervorrufen kann, die mit Adenokarzinomen der Lunge assoziert sind. Bei keimfreien Mäusen bzw. antibiotisch behandelte Mäusen bestand ein signifikanter Schutz vor spezifische Lungentumoren (KRAS-Mutation und p53 Funktionsverlust). Möglicherweise kann das wachsende Wissen um das Lungenmikrobiom in der Zukunft in der personlisierten Immunotherapie eingesetzt werden, meint Slevogt. Vielleicht könnte man die Modulation des Mikrobioms in Kombinationen einsetzen, die auf das Microenvironment des Tumors abzielen.

Passgenaue Profile für die personalisierte Therapie

Der Erfolg einer zielgerichteten, personalisierten Therapie bei Krebserkrankungen ist abhängig davon, dass das passgenaue molekularbiologische Profil des Patienten ermittelt wird. Bei Lungenkrebserkrankungen können heutzutage eine Vielzahl verschiedener Parameter per Test abgefragt werden. Angesichts der großen Bandbreite der Möglichkeiten stellt sich die Frage, was diagnostisch und für die spätere Therapieentscheidung sinnvoll ist.

Test ist nicht gleich Test

Dabei spielt auch die gewählte Testmethode eine entscheidende Rolle. „Allein beim Next-Generation-Sequencing stehen sechs verschiedene Herangehensweisen, die zu jeweils anderen Ergebnissen führen zur Verfügung. Man muss die verschiedenen Methoden verstehen und ihre Stärken und Limitationen kennen, um die im Einzelfall optimale Methode zu wählen,“ sagte Chorostowska-Wynimko. Vor der Testwahl muss die Fragestellung im Einzelfall erarbeitet werden, denn diese kann sich je nach klinischen Bild und individuellen Faktoren (z. B. Raucher oder Nicht-Raucher) erheblich unterscheiden. Auch die Frage nach dem zeitlichen Ablauf der Testung beispielsweise parallel oder sequenziell muss von Fall zu Fall unterschiedlich beantwortet werden. So ist eine sequenzielle Testung ressourcenschonend, weil das Testergebnis des ersten Tests häufig den zweiten Test unnötig macht, aber eben auch langwieriger.

Neue Entwicklungen

Ohne die auf Gewebeproben basierenden Techniken zu verdrängen, gewinnt die Liquid Biopsy in der onkologischen Diagnostik zunehmend an Bedeutung. Immer neue Test erlauben Antworten auf Fragestellungen wie Arzneimittelresistenzen (z. B. EGFR mutations in ctDNA ) oder die wahrscheinliche weitere Entwicklung des Krankheitsverlaufs (z. B. ctDNA clearance). „Eine sinnvolle Entscheidung für die Testung von Lungenkrebspatienten kann angesichts der Fülle der zur Verfügung stehenden Test und der fortlaufenden Neuentwicklungen nur in enger Zusammenarbeit von Pneumologen, Onkologen, Pathologen und anderen Fachbereichen in multidisziplinären Teams getroffen werden,“ schloss Chorostowska-Wynimko ihren Vortrag.

Ernüchterung bei kleinzelligen Lungenkrebs

Sebahat Ocak berichtete, dass nach den ermutigenden Veröffentlichungen 2019 zur Immuntherapie beim kleinzelligen Lungenkrebs (small cell lung cancer [SCLC]) nun etwas Ernüchterung eingekehrt sei. Die Effekte einer Kombination von Immuntherapie (Atezolizumab oder Durvalumab) mit Chemotherapie seien zwar ausreichend positiv, um sie zu einer Standardtherapie zu erklären, erfüllen aber die hohen Erwartungen hinsichtlich des Gesamtüberlebens nicht. Möglicherweise können die Ergebnisse verbessert werden, wenn die Therapie zielgerichteter eingesetzt werde. Dazu müssten aber zuerst die entsprechenden Biomarker identifiziert werden.

Autor:
Stand:
10.09.2020
Quelle:
  1. Slevogt (2020): The lung cancer microenvironment and the lung microbioma: cross or cease fire? Session Exciting new developments in lung cancer screening, diagnostics and treatment. ERS Congress 08.09.2020
  2. Chorostowska-Wynimko (2020): Pathologist and pulmonologist at crossroads Session Exciting new developments in lung cancer screening, diagnostics and treatment. ERS Congress 08.09.2020
  3. Ocak (2020): Immunotherapy in SCLC: small step or leap? Session Exciting new developments in lung cancer screening, diagnostics and treatment. ERS Congress 08.09.2020
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