DGPPN 2022: Neues aus der aktuellen NVL Unipolare Depression

Die dritte Auflage der NVL Unipolare Depression berücksichtigt die neueste Evidenz und klinische Expertise zur Diagnostik und Behandlung depressiver Störungen. Neuerungen von besonderer klinischer Relevanz diskutierten Experten anlässlich des DGPPN-Kongresses 2022.

Depression Frau

Eine wichtige Neuerung der am 29. September 2022 publizierten Fassung der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) Unipolare Depression ist die Berücksichtigung von funktionalen Beeinträchtigungen, psychosozialen Folgen und Teilhabeeinschränkungen von Anfang an, erklärte Professor Dr. Dr. Martin Härter vom Institut für Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf [1].

Eingesetzt werden soll die ICF – Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Bei funktionellen oder psychosozialen Beeinträchtigungen sollten der Beratungsbedarf zu Rehabilitation und Teilhabe festgestellt und gegebenenfalls entsprechende Beratungen empfohlen werden.

Auf Augenhöhe mit dem Patienten mit Depression

Die Abschnitte zu Aufklärung, Information und Entscheidungsfindung der NVL wurden modifiziert. Die Aufklärung soll Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten der Depression mit Vor- und Nachteilen umfassen. Betont wird, dass in allen diagnostischen, therapeutischen und versorgungsbezogenen Entscheidungen das Konzept der partizipativen Entscheidungsfindung angewandt werden soll.

Neu ist die starke Empfehlung der gemeinsamen Festlegung und Priorisierung von individuellen Therapiezielen. Der Behandelnde sollte dem Patienten die Dokumentation dieser Therapieziele und ihrer Gründe anbieten, um sie bei Bedarf auch anderen Berufsgruppen zur Verfügung stellen zu können. Die gemeinsam mit dem Patienten festgelegten individuellen Therapieziele sollen regelmäßig und je nach Bedarf evaluiert und gegebenenfalls angepasst werden.

Zunächst erstmal wenig intensive Therapie

Neu ist die Empfehlung für die Therapie bei einer erstmaligen, leichtgradig-akuten Episode. Hier wird eine niedrigintensive Intervention vor Psychotherapie und antidepressiv wirkenden Medikamenten empfohlen. Das kann die angeleitete Selbsthilfe, die hausärztliche (psychosomatische) Grundversorgung oder eine psychiatrische, psychosomatische oder psychotherapeutische Basisbehandlung im Sinne einer Gesprächsleistung außerhalb der Richtlinienpsychotherapie sein. Gleichrangig werden auch Internet- oder mobilbasierte Interventionen (IMI) genannt. Sie sollten Patienten mit leichten depressiven Episoden immer mit therapeutischer Begleitung angeboten werden, betonte Härter.

Niedrigintensive Angebote und IMI für alle

Bei rezidivierenden leichtgradigen akuten Episoden werden neben niedrigintensiver Intervention und IMI auch Psychotherapie (mit dem stärksten Empfehlungsgrad) und Antidepressiva (mit mittlerem Empfehlungsgrad) empfohlen. Auch bei mittelgradiger und schwerer Depression können IMI angeboten werden und sind bei mittelgradiger Depression und Ablehnung von Psychotherapie und Antidepressiva explizit eine empfohlene Alternative.

Monitoring der Therapie bei Depression

Egal ob niedrigintensive Intervention, IMI, Psychotherapie oder medikamentöse Behandlung – Symptome inklusive Suizidalität, Nebenwirkungen, psychosozialer Status und Teilhabebedarf sowie die Adhärenz zur Therapie sollen regelmäßig kontrolliert werden. Um das Therapieansprechen beurteilen zu können, ist bereits zu Beginn der Ausgangsbefund möglichst mit validierten Instrumenten zu erheben. Empfohlen wird in den ersten vier Behandlungswochen eine wöchentliche Kontrolle, im zweiten bis vierten Monat eine Kontrolle alle zwei bis vier Wochen und anschließend ein Monitoring in längeren Intervallen.

Spezielle Therapieempfehlungen

Johanniskraut: nur zugelassene Präparate!

Modifiziert wurde die Empfehlung zum Einsatz von Johanniskraut, berichtete Prof. Dr. Thomas Frodl, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universitätsklinik Aachen. Der Einsatz kann bei leichtgradiger oder mittelgradiger Depression nach Aufklärung über spezifische Nebenwirkungen erfolgen, aber nur mit für den Indikationsbereich zugelassenen Präparaten.

Stark begrenztes Einsatzgebiet für Benzodiazepine und Z-Substanzen

Benzodiazepine und Z-Substanzen sollen bei leichten depressiven Episoden nicht eingesetzt werden. Auch bei mittelgradigen depressiven Episoden werden diese Wirkstoffe nicht empfohlen, außer im begründeten Einzelfall, begrenzt auf zwei bis vier Wochen und zusätzlich zu Psychotherapie und Therapie mit Antidepressiva. Als Voraussetzungen sind stark belastende Schlafstörungen oder starke Unruhe und keine Suchterkrankungen in der Vorgeschichte genannt. Entsprechendes gilt auch für den möglichen, aber nicht ausdrücklich empfohlenen Einsatz dieser Substanzen bei schweren depressiven Episoden.

Esketamin/Ketamin neu aufgenommen

Esketamin stellt eine Behandlungsoption bei Therapieresistenz und Suizidalität dar. Der Vorteil des als Nasenspray verfügbaren neuen Medikaments liegt im schnellen Wirkeintritt, doch besteht die Gefahr starker Nebenwirkungen und Toleranzentwicklung. Die Anwendung ist aufgrund der Sicherheitsvorgaben nur stationär umsetzbar. Ketamin i.v. ist für die Therapie der schweren Depression nicht zugelassen und soll nicht außerhalb eines stationären psychiatrischen Settings angewendet werden.

Erhaltungsphase

Empfohlen wird die Fortsetzung einer Antidepressiva-Therapie in gleicher Dosis über sechs bis zwölf Monate über die Remission der depressiven Episode hinaus. Neu ist die ausdrückliche Empfehlung, danach das Antidepressivum über acht bis zwölf Wochen auszuschleichen, wenn nicht eine Indikation zur Rezidivprophylaxe besteht. Die ist laut Leitlinie gegeben, wenn Patienten bereits zwei bis drei oder mehr Episoden mit relevanten funktionellen Einschränkungen in den letzten fünf Jahren hatten.

Die Langzeitprophylaxe sollte über zwei Jahre erfolgen, auch hier wieder in der Dosis, die in der Akuttherapie wirksam war. Die medikamentöse Erhaltungstherapie oder Rezidivprophylaxe kann mit einer Psychotherapie kombiniert werden.

Nächste Version bereits in Vorbereitung

Die NVL Unipolare Depression ist in ihrer 3. Auflage in Kooperation von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften und unter der Koordination des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) entstanden. Derzeit wird bereits die vierte Auflage vorbereitet. Dabei werden die Aspekte Komorbiditäten und besondere Situationen, beispielsweise zyklusassoziierte Störungen, bearbeitet.

Quelle:
  1. Prof. Dr. Dr. Martin Härter: „NVL Depression 3.0: Hintergrund und Empfehlungen zu Diagnostik, Therapieplanung, Monitoring und niedrigschwelligen Interventionen“, DGPPN Kongress 2022, Berlin, 25. November 2022.
  2. Prof. Dr. Thomas Frodl: „Behandlung akuter depressiver Störungen – NVL Depression“, DGPPN Kongress 2022, Berlin, 25. November 2022.
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