DGPPN 2022: Krebsdiagnose und Krebstherapie – ein Trauma?

Im ICD-10 werden traumatische Ereignisse durch eine außergewöhnliche Belastung mit katastrophalem Ausmaß charakterisiert, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würden. Der DSM-IV zählt auch die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung dazu.

Krebspatientin

Krebserkrankungen konfrontieren die Betroffenen mit vielfältigen Herausforderungen und Belastungen, die häufig als Trauma beschrieben werden. Nicht nur die Diagnose, auch die Behandlung kann ein traumatisches Potenzial haben. Studien belegen allerdings bislang nur eine niedrige Prävalenz für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei Krebspatienten, berichtete Professor Dr. Heike Glaesmer von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig [1]. Das bestätigte sich auch in einer multizentrischen psychoonkologischen Studie, an der sie beteiligt war [2].

Breites Spektrum von Patienten mit Krebs zu Traumatisierung befragt

Wie Glaesmer anlässlich des DGPPN-Kongresses 2022 in Berlin berichtete, wurden im Rahmen einer allgemeinen psychoonkologischen Studie in 84 Institutionen in den Jahren 2007 bis 2010 insgesamt 2.141 krebskranke Patienten auch auf traumatische Ereignisse und eine mögliche PTBS hin untersucht. Die Querschnittstudie erfasste sowohl stationär als auch ambulant behandelte Patienten sowie Patienten in Rehabilitationseinrichtungen. Geachtet wurde besonders auf eine proportionale Schichtung der Stichprobe gemäß der Prävalenz verschiedener Krebserkrankungen in Deutschland – in früheren Studien zum Zusammenhang von Krebs und Traumatisierung waren häufig nur Brustkrebspatientinnen befragt worden. Psychische Störungen wurden mit Hilfe des Instruments CIDI-O, einem diagnostischen klinischen Interview speziell für Krebspatienten, erfasst.

Trauma-Erfahrung ist häufig

Die Lebenszeitprävalenz für traumatische Erfahrungen lag in der Kohorte bei 77%, berichtete Glaesmer und erklärte, in der SHIP-Studie wurde bei einer Bevölkerungsstichprobe für ältere Menschen ebenfalls ein solch hoher Anteil von Personen mit Erfahrungen mit traumatischem Potenzial beschrieben [3]. Von den Krebspatienten wurden als traumatische Erfahrungen besonders häufig die Konfrontation mit dem Tod einer anderen Person oder dem Leiden oder einer schweren Erkrankung eines nahen Angehörigen genannt. Als wahrscheinlich traumatisierend wurden Ereignisse bei 232 Teilnehmern qualifiziert. Hier spielten Traumata durch Krieg, körperliche Gewalt, Missbrauch oder Vergewaltigung eine größere Rolle.

Krebsbezogene Traumata seltener

257 Befragungsteilnehmer (16%) berichteten von einem potenziell traumatischen Ereignis im Zusammenhang mit ihrer Krebserkrankung. Für 75 von ihnen war dieses Trauma auch das Schlimmste, was ihnen bis dahin zugestoßen war. Der Anteil der Patienten mit PTBS war mit einer 4-Wochen-Prävalenz von 2% aber sehr gering und nur selten mit krebsassoziierten Traumatisierungen verbunden, betonte Glaesmer. Das galt auch für die 1-Jahres-Prävalenz (2,6%) und die Lebenszeitprävalenz (4,9%) einer PTBS.

Andere psychische Belastungen bei Krebs häufiger

Psychische Störungen allgemein wurden dagegen bei Patienten mit Krebserkrankungen häufig beobachtet. In der Studie erfüllten nach einer früheren Auswertung 37,5% die Kriterien für mindestens eine psychische Störung [4]. Sehr häufig waren Depressionen, Anpassungsstörungen und Angststörungen. Für den psychoonkologischen Kontext besonders relevant seien die Symptome Schmerzen, Fatigue und Progredienzangst, sagte Glaesmer.

Fazit

Patienten bräuchten eine psychoonkologische Unterstützung, aber weniger wegen einer PTBS als wegen Depression, Anpassungsstörung oder Angststörung, resümierte Glaesmer. Das Thema medizinische Traumatisierung sei sicher ein wichtiges, aber bei Krebspatienten seien andere Probleme vorherrschend.

Autor:
Stand:
02.12.2022
Quelle:
  1. Prof. Dr. Heide Glaesmer: „Posttraumatische Belastungsstörungen bei Patienten mit Krebserkrankungen – Ergebnisse einer großen repräsentativen Befragung in Deutschland“, DGPPN Kongress 2022, Berlin, 23. November 2022.
  2. Esser P, Glaesmer H, Faller H et al. (2019): Posttraumatic stress disorder among cancer patients-Findings from a large and representative interview-based study in Germany. Psychooncology. DOI: 10.1002/pon.5079
  3. Spitzer C, Barnow S, Völzke H et al. (2008) Trauma and Posttraumatic Stress Disorder in the Elderly. The Journal of Clinical Psychiatry. DOI:10.4088/JCP.v69n0501
  4. Mehnert A, Brähler E, Faller H et al. (2014): Four-week prevalence of mental disorders in patients with cancer across major tumor entities. Journal of Clinical Oncology. DOI: 10.1200/JCO.2014.56.0086

 

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