Angststörungen sind psychische Erkrankungen, die mit einer unverhältnismäßigen, übertriebenen Angstreaktion einhergehen. Dazu gehören die Panikstörung, Agoraphobie, generalisierte Angststörung und soziale Phobie sowie spezifische Phobien.
Unter dem Begriff Angststörung werden psychische Erkrankungen zusammengefasst, die mit Ängsten einhergehen, deren Ausmaß, Gefahrenattribution und/oder Persistenz unverhältnismäßig stark sind, im subjektiven Urteil als unrealistisch eingestuft werden, einen hohen Leidensdruck verursachen und mit einer bedeutsamen psychosozialen Behinderung assoziiert sind. Ursache und Entstehung sind multifaktoriell. Therapeutisch gibt es differenzierte störungsbezogene Ansätze von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie, die einzeln oder kombiniert angewendet werden können.
Zur Gruppe der Angststörungen gehören die Panikstörung, die generalisierte Angststörung und Phobien (Agoraphobie, soziale Phobie, spezifische Phobien) [1,2].
Panikstörung
Eine Panikstörung ist durch wiederkehrende Panikattacken in Form von plötzlichen, nicht vorhersehbaren, anfallsartig auftretenden Angstzuständen in unspezifischen Situationen gekennzeichnet.
Generalisierte Angststörung
Bei der generalisierten Angststörung besteht ein erhöhtes Angstniveau ohne beherrschende Paniksymptome mit zentralen unrealistischen Besorgnissen oder übertriebenen Katastrophenerwartungen.
Phobien
Phobien sind durch Ängste vor spezifischen Situationen, Orten oder Objekten charakterisiert.
Menschen mit sozialer Phobie haben eine unangemessene, häufig dauerhafte Furcht vor sozialen Situationen, in denen sie im Mittelpunkt stehen und einer interpersonalen Bewertung ausgesetzt sind. Typisch ist die Angst vor leistungsbezogenem Versagen, sozialer Beschämung oder Demütigung
Agoraphobie beschreibt die Angst vor bestimmten Orten und Situationen wie beispielsweise öffentlichen Plätzen oder Menschenansammlungen
Bei anderen spezifischen Phobien haben die Betroffene beispielsweise eine irrationale Angst vor Tieren (oft Spinnen, Vögel oder Hunde), Flugzeugen, Prüfungen, Gewittern, Spritzen, großer Höhe, tiefen Gewässern, dem Anblick von Erbrochenen oder davor, bestimmten Krankheiten ausgesetzt zu sein [1,2]
Epidemiologie
Angststörungen sind die in der Allgemeinbevölkerung am weitest verbreiteten psychischen Erkrankungen. Die Auswertung der Daten der Modulstudie zur psychischen Gesundheit (DEGS1-MH) des Robert Koch-Instituts (RKI) ergab für Deutschland eine errechnete 12-Monatsprävalenz von 15,3 Prozent (für alle Angsterkrankungen). Mit einer Prävalenz von 21,3 Prozent erkranken Frauen deutlich öfter an Angststörungen als Männer (9,3 Prozent). Bei 10,3 Prozent der Angsterkrankungen handelt es sich um spezifische Phobien. Bei 4 Prozent der Bevölkerung liegt eine Agoraphobie vor, bei 2,7 Prozent eine soziale Phobie, bei 2,2 Prozent eine generalisierte Angststörung und bei 2 Prozent eine Panikstörung. Häufig treten Angststörungen zusammen mit Depressionen und Substanzabhängigkeiten auf. Vergleichbare Prävalenzraten finden sich im europäischen Ausland. Eine belastbare Evidenz für eine Zunahme von Angststörungen gibt es nicht [1,3–6].
Nach den eng gefassten Kriterien der fünften Edition der Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) wird die weltweite Lebenszeitprävalenz auf 7,3 Prozent (4,8–10,9%) geschätzt – mit großen globalen Unterschieden (zum Beispiel 0,1% in Nigeria und 6,2% in Neuseeland) [7].
Die unterschiedlichen Angstformen manifestieren sich altersdifferenziert. Panikstörungen und Agoraphobie werden üblicherweise zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr erstdiagnostiziert, eine generalisierte Angststörung in der späten Adoleszenz bzw. im jungen Erwachsenenalter sowie um das 40. Lebensjahr. Spezifische Phobien sind meist schon in der Kindheit und frühen Jugend zu beobachten, soziale Phobien in der Adoleszenz. Die Prävalenz von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen wird mit 6 bis 20 Prozent angegeben. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Nach dem vierten Lebensjahrzehnt sinkt das Risiko, erstmalig an einer Angsterkrankung zu leiden. Lediglich die generalisierte Angststörung weist im Alter eine erhöhte Prävalenz auf. Allgemein nehmen Angstsymptome aber nach dem 65. Lebensjahr deutlich ab [1,2,7,8].
Ursachen
Angst gehört zu den elementaren Emotionen des Menschen. Sie trägt als natürliche Schutzreaktion zur sicheren zwischenmenschlichen Bindung und einer risikobewussten Auseinandersetzung mit der Umwelt bei. Psychopathologisch relevant wird es, wenn die Angst als unrealistische bzw. übersensitive Reaktion auftritt. Dies ist auf eine multifaktorielle Ätiologie zurückzuführen, in der sozioökonomische, psychologische, psychodynamische, psychosoziale, neurobiologische und genetische Einflüsse eine Rolle spielen [1,2].
Angst als natürliches Phänomen
Gemeinhin basiert eine übertriebene Furcht auf natürlichen Mechanismen. Furcht vor realen Gefahren – zum Beispiel vor Verletzungen oder ein Kind zu verlieren – ist rational und sinnvoll. Bei einer generalisierten Angststörung ist die Realangst übermäßig stark ausgebildet. Vor dem Hintergrund, dass die Angst vor Schlangen, Spinnen, Raubkatzen etc. entwicklungsgeschichtlich einen Überlebensvorteil darstellte, sind auch spezifische Phobien als übertriebene Ausprägungen der angeborenen Urängste interpretierbar. Soziale Phobien können als ein überhöhtes Ausmaß der natürlichen sozialen Zurückhaltung gedeutet werden, Panikstörungen mit/ohne Agoraphobie als gesteigerte Reaktion auf körperliche Warnsignale.
Warum sich die natürlichen Warnmechanismen bei manchen Menschen in pathologischer Angst manifestieren, ist noch nicht bis ins letzte Detail geklärt. Im Laufe der Zeit wurden unterschiedliche Erklärungsansätze postuliert. Ein Modell ist die Triple-Vulnerabilitäts-Theorie von Barlow (2002). Ihm zufolge sind die Ursprünge übermäßiger Angst zurückzuführen auf eine:
allgemeine biologische Vulnerabilität mit genetischer Veranlagung
allgemeine psychologische Vulnerabilität, basierend auf frühen Beziehungserfahrungen
spezifische psychologische Vulnerabilität, die erlernte Angstreaktionen umfasst [9,10]
Weiterhin sind folgende – mit den unterschiedlichen Angststörungen assoziierte – Auslöser und Risikofaktoren bekannt:
Psychosoziale Faktoren
Von einer Panikstörung betroffene Personen haben häufiger Kindheitstraumata – etwa den Tod des Vaters, die Trennung der Eltern, eine Krankheit in der Kindheit, Alkoholmissbrauch in der Familie, sexuellen Missbrauch – erlitten als Menschen ohne Angsterkrankung. Außerdem sind aktuelle Belastungen mit einem erhöhten Auftreten von Angsterkrankungen assoziiert. So werden Angststörungen bei getrennten, geschiedenen und verwitweten Personen öfter diagnostiziert als bei Verheirateten. Patienten mit einer Panikstörung durchlebten in den letzten zwölf Monaten vor der ersten Panikattacke signifikant mehr belastende Lebensereignisse als Kontrollpersonen [1].
Erziehungsstile
Retrospektiven Untersuchungen zufolge sind ungünstige Erziehungsstile wie Abweisung oder Überprotektion mit dem Auftreten von Angststörungen verbunden. Ob es sich hierbei tatsächlich um verursachende Einflüsse oder um eine erhöhte Sensitivität von Angstpatienten auf Interaktionsmuster wie Zurückweisung oder Alleinlassen handelt, ist aufgrund der Rückschau-Studien nicht feststellbar [1].
Sozioökonomische Faktoren
Ein höheres Bildungsniveau und eine Vollzeitberufstätigkeit korrelieren mit niedrigeren Raten an Angsterkrankungen. In den unteren sozialen Schichten finden sich höhere Prävalenzen für Angststörungen als in den oberen; ebenso bei Arbeitslosen im Vergleich zu Vollbeschäftigten. Frauen ohne außerhäusliche Berufstätigkeit haben ein 2,5-fach erhöhtes Risiko, eine generalisierte Angststörung zu entwickeln.
Agoraphobie, soziale Phobie, Panikstörungen und spezifische Phobien sind bei getrenntlebenden, geschiedenen und verwitweten Personen häufiger als bei verheirateten, alleinlebenden oder nie verheirateten Personen [1].
Pathogenese
Pathogenetisch werden Angststörungen auf ein komplexes Wechselspiel unterschiedlicher Faktoren zurückgeführt. Der genaue Mechanismus ist bis heute nicht entschlüsselt. Erklärungsansätze gibt es einige:
Kognitive und psychophysiologische Erklärungsversuche
In kognitiven und psychophysiologischen Störungsmodellen, in denen die übermäßige Furcht als Folge fehlerhafter Lernprozesse gedeutet wird, werden sowohl biologische als auch psychologische Vulnerabilitätsfaktoren diskutiert.
Panikstörung/Agoraphobie
Psychophysiologischen Theorien zufolge nehmen von einer Panikstörung Betroffene harmlose Änderungen physiologischer Funktionen (wie eine Herzfrequenzerhöhung) als bedrohliche körperliche Erkrankung (zum Beispiel einen Herzinfarkt) wahr. Nach dem als „Teufelskreis der Angst“ genannten Modell löst diese Fehlinterpretation weitere Angstsymptome aus, die wiederum als körperliche Fehlfunktion missdeutet werden, was letztlich in eine Panikattacke mündet.
Eine Agoraphobie soll eine Folge mehrerer spontaner Panikattacken sein. So werden Situationen vermieden, in denen das Herbeiholen ärztlicher Hilfe schwierig wäre, etwa in einer Menschenmenge [1].
Generalisierte Angststörung
Bei der Entwicklung einer generalisierten Angststörung werden auslösende Stimuli (innere und äußere Reize, aber auch körperliche Symptome) im Sinne einer bedrohlichen Situation fehlinterpretiert. Das Gefühl der Angst wird durch positive und negative Metakognitionen aufrechterhalten. Versuche, die sorgenvollen Gedanken zu unterdrücken und das Auftreten von Emotionen zu vermeiden, intensivieren das Angstempfinden zusätzlich [1].
Soziale Phobie
Gemäß dem lerntheoretischen Modell verursachen soziale Situationen negative Kognitionen, körperliche Reaktionen (zum Beispiel Erröten, Schwitzen, Herzrasen) und motorische Verhaltensweisen (Vermeidungsverhalten, Sicherheitsverhalten), was in einer Gefahrenbewertung der Situation resultiert. Kognitive Filter wie das negative Selbstbild (Betroffene stufen sich häufig als ungeschickt, minderwertig, unfähig, dumm etc. ein) und die Sicht auf umstehende Personen (andere sind kritisch, überlegen etc.) verstärken die Fehlinterpretation, ebenso die Aufmerksamkeitslenkung auf vermeintlich negative Attribute und bedrohliche Reize. Ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten ist die Folge. Sind die Situationen nicht vermeidbar, empfinden die Betroffenen eine starke Anspannung, wodurch sie ihre antizipierten Ängste bestätigt sehen, was wiederum die körperliche Symptomatik verstärkt. Sicherheitsverhaltensweisen nehmen zu oder die Situation wird verlassen (Fluchtverhalten).
Die Vulnerabilität für soziale Ängste wird dem psychophysiologischen Modell zufolge sowohl durch psychische Faktoren (ungünstige Lebens- und Lerngeschichte) als auch durch biologische Faktoren (genetische Faktoren) beeinflusst [1].
Psychodynamische/psychoanalytische Erklärungen
Psychoanalytische Erklärungsversuche deuten die Symptome einer Angsterkrankung als Folge früh entstandener Konflikte, die zu unangemessenen (neurotischen) Lösungsversuchen führen. Daraus resultieren pathologische Reaktionen, die besonders in belastenden Lebenskonstellationen dekompensieren können. Eine weitere Theorie sieht „strukturelle“ Störungen – etwa das Unvermögen der Selbst- und Objektwahrnehmung oder der Steuerungsfähigkeit von Impulsen – durch frühe deprivierende oder traumatisierende Lebensumstände als Ursache von Angststörungen [1].
Panikstörung
Dem psychodynamischen Erklärungsansatz nach fördern kindliche Traumata und intrapsychische Konflikte in Verbindung mit einer dispositionellen Vulnerabilität eine verminderte Toleranz gegenüber negativen Affekten bzw. eine verstärkte Trennungs- und Verlustangst. Im Rahmen einer Panikattacke verstärken sich konflikthafte zwischenmenschliche Beziehungen, was wiederum zu Panikattacken führt, die neuerliche Verlustängste schüren und die Angsttoleranz senken [1].
Generalisierte Angststörung
Aus psychoanalytischer Sicht ist übermäßige Angst auf ich-strukturelle Defizite zurückzuführen. So sollen Betroffene darin beeinträchtigt sein, Sicherheit, Gewissheit und Ruhe herzustellen. Zudem finden sich interfamiliär widersprüchliche und verunsichernde Eltern-Kind-Beziehungen (beispielsweise, wenn Mutter oder Vater selbst an einer Angsterkrankung litt). Die Personen streben nach Sicherheit und suchen sich Bindungspersonen, die diese garantieren. Abweichungen wie Reisen, Umzüge und eine berufliche Versetzung oder kritische Lebensereignisse wie der Verlust des Arbeitsplatzes oder Partners bewirken Angstsymptome und klammerndes Verhalten [1].
Soziale Phobie
Sozialphobische Menschen suchen Akzeptanz und Bestätigung bei gleichzeitig antizipierter Demütigung bzw. Beschämung durch das Gegenüber. Dem soll mit möglichst „perfektem“ Auftreten entgegengewirkt werden, was die ohnehin schon bestehende Anspannung negativ verstärkt [1].
Neurobiologie
Zwischen Angstpatienten und gesunden Kontrollpersonen gibt es Unterschiede in einigen Neurotransmittersystemen. Untersucht wurden Serotonin, Noradrenalin, der Benzodiazepin-γ-Aminobuttersäure-Rezeptorkomplex, Cholezystokinin, das atriale natriuretische Peptid, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, CO2-Sensoren und weitere zerebrale Anteile. Ob neurobiologische Abweichungen tatsächlich als Ursache einer Angststörung fungieren, ist noch nicht schlüssig geklärt. Die Wirksamkeit zahlreicher Medikamente, die die Serotoninneurotransmission bessern, deuten jedoch auf eine Beteiligung dieses Systems hin.
Ebenso konnten neurobiologische Befunde in bildgebenden Verfahren ermittelt werden. Im Vergleich zu Normalpersonen zeigen viele Angstpatienten dysfunktionale Strukturen innerhalb eines komplexen Angstnetzwerks, welches das limbische System, den Hirnstamm, temporale Gebiete und präfrontale kortikale Gebiete umfasst [1].
Genetik
Familien- und Zwillingsuntersuchungen zeigen, dass Angsterkrankungen genetisch beeinflusst werden. Abhängig von der Art der Störung wurden folgende Erbfaktoren berechnet:
41–54 Prozent für Panikstörungen
67 Prozent für Agoraphobie
32 Prozent für die generalisierte Angststörung
51 Prozent für soziale Phobien
59 Prozent für eine Blut- und Verletzungsphobie
Nach aktuellem Wissensstand sind eine genetisch bedingte Vulnerabilität, die sich in neurobiologischen Gehirnveränderungen zu manifestieren scheint, plus hinzukommende psychosoziale Faktoren für die Entstehung einer Angsterkrankung verantwortlich [1,2].
Symptome
Patienten mit Angststörungen empfinden unverhältnismäßig starke Ängste in Situationen, in denen keine reale Gefahr besteht. Dies verursacht einen hohen Leidensdruck und führt nicht selten zu psychosozialen Beeinträchtigungen.
Abhängig von der Art der Angsterkrankung variiert das Beschwerdebild.
Panikstörung
Eine Panikstörung ist durch wiederkehrende, anfallsartig auftretende Panikattacken in unspezifischen Situationen gekennzeichnet. Während des Panikgeschehens verspüren die Betroffenen häufig somatische Beschwerden wie:
Schwitzen, Zittern, Beben
Palpitationen
Mundtrockenheit
Atemnot
Erstickungsgefühl
Hitzewallungen oder Kälteschauer
Taubheits- oder Kribbelgefühle
Enge im Hals
Schmerzen, Druck oder Beklemmungen in der Brust
Übelkeit oder Bauchbeschwerden
Harn- und Defäkationsdrang
Unsicherheit
Ohnmachtsgefühle
Hyperventilieren die Patienten, kommen weitere Symptome wie Parästhesien, Schwindel und Benommenheitsgefühle hinzu. Die Symptomatik eskaliert – meist innerhalb von zehn Minuten – und flacht in den nächsten 10–20 Minuten langsam wieder ab. Auf dem Höhepunkt der Attacke haben Patienten oft Angst, die Kontrolle zu verlieren, „wahnsinnig“ oder ohnmächtig zu werden, einen Herzinfarkt zu erleiden oder gar zu sterben. Derealisations- und/oder Depersonalisationsphänomene sind ebenfalls beschrieben.
Die Panikattacken können ohne Anlass oder auslösende Situation auftreten (wie „aus heiterem Himmel“ kommen); oft sind sie mit einer Agoraphobie verbunden. Einige Patienten können physiologische oder emotionale Triggerfaktoren benennen, darunter körperliche Anstrengung, Ärger, emotionale Erregung sowie der Konsum von Drogen, Koffein oder Alkohol.
Je öfter eine Panikattacke erlebt wurde, umso stärker entwickeln sich antizipatorische Ängste bzw. die Angst vor der Angst (Phobophobie) [1,2].
Agoraphobie (mit/ohne Panikstörung)
Bei der Agoraphobie mit Panikstörung verspüren die Betroffenen neben den bereits beschriebenen Panikattacken eine Angst vor Orten, aus denen sie im Fall eines Panikgeschehens nur schwer und/oder nicht ohne Peinlichkeit auf sich zu ziehen, entkommen können. Am häufigsten treten Angstanfälle in Menschenmengen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder in räumlich begrenzten Orten (zum Beispiel in Aufzügen, im Theater, in Kinos, Restaurants und Kaufhäusern) auf. Darüber hinaus haben Menschen mit Agoraphobie oft Angst vor dem Alleinsein. Zum Schutz vor einem Angstanfall vermeiden sie die angstauslösenden Orte. Dies kann den Aktivitätsradius stark einschränken und den Alltag erheblich belasten.
Begleitpersonen wirken sicherheitsstiftend, sodass viele allein nicht zu bewältigende Situationen für die Patienten gut aushaltbar sind [1,2].
Generalisierte Angststörung
Patienten mit einer generalisierten Angststörung leiden unter somatoformen Beschwerden wie Schwindel, Übelkeit, Mundtrockenheit, Obstipation oder Diarrhoe und Muskelverspannungen (speziell der Schulter-, Nacken- und Rückenpartie); außerdem an Konzentrationsstörungen, Nervosität, Schlafstörungen und anderen psychischen Symptomen. Im Gegensatz zur Panikstörung sind die Beschwerden nicht anfallsgebunden, die Patienten befinden sich vielmehr in einem dauerhaften ängstlich angespannten Zustand. Die Umgebung wird hypervigilant nach möglichen und künftig drohenden Gefahrenquellen sondiert.
Vielfach können Betroffene nicht angeben, wovor sie eigentlich Angst haben. Neben der Angstsymptomatik besteht ein quälendes Gefühl sich ständigen Sorgens, zum Beispiel vor existenzieller/finanzieller Bedrohung oder dass nahestehende Personen verunfallen/erkranken können. Eine Unruhe wegen der ständigen Besorgtheit (Meta-Sorgen) verstärkt die Angst zusätzlich.
Die Mehrzahl der Erkrankten ist sich der unrealistischen Angst zwar bewusst, aber unfähig, das eingeengte Denken zu ändern. Typischerweise bestehen erhebliche Mängel der sozialen Kompetenz und interpersonalen Selbstbehauptung [1,2].
Soziale Phobie
Menschen mit sozialer Phobie fürchten umschriebene soziale Situationen, in denen sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Typisch sind Ängste vor dem Sprechen in der Öffentlichkeit, aber auch vor Vorgesetzten, Behördengängen, geschlechtlichen Kontakten und anderen (ungewohnten) zwischenmenschlichen Interaktionen. Die Betroffenen befürchten, durch peinliches oder ungeschicktes Verhalten aufzufallen oder negativ beurteilt/bewertet, gedemütigt und lächerlich gemacht zu werden.
Im Vorfeld einer solchen sozialen Situation erlebt der Sozialphobiker Ängste mit ausgeprägten somatischen Beschwerden, vor allem Schwitzen, Erröten und Zittern. Dies führt nicht selten zu starkem Vermeidungsverhalten – mit der Folge von Selbstzweifeln, Selbstwertminderung, einem Gefühl des Versagens und Demoralisierung [1,2].
Spezifische Phobie
Bei der spezifischen (isolierten) Phobie ist die Angst situativ oder objektbezogen. Das klinische Bild ist sehr variabel und kann von ängstlicher Irritiertheit bis zur immobilisierenden Panik reichen.
Angstauslösend wirken zum Beispiel:
Tiere – oft Spinnen (Arachnophobie), Schlangen (Ophidiophobie), Vögel (Ornithophobie) oder Hunde (Canophobie)
Flugzeuge bzw. dem Fliegen (Aviophobie)
Unwetter, Blitze und/oder Donner (Astraphobie)
Höhe (Akrophobie)
Abgründe (Cremnophobie)
Dunkelheit (Achluophobie)
Feuer (Arsonphobie)
Clowns (Coulrophobie)
Puppen (Automatonophobie)
Spiegel (Eisoptrophobie)
Erbrochenes (Emetophobie)
Zahnärzte (Dentophobie) und Zahnbehandlungen (Dentalphobie)
Mit Ausnahme von krankheitsbezogenen Phobien ist durch Vermeidung der angstauslösenden Situation in den meisten Fällen eine ausreichende Angstkontrolle zu erreichen [1,2].
Komorbiditäten
Von Angststörungen betroffene Patienten leiden häufig an psychischen Komorbiditäten. Hierzu zählen insbesondere Depressionen, andere Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Substanzabusus und somatoforme Störungen.
Darüber hinaus sind Angsterkrankungen überzufällig häufig mit organischen Pathologien wie Schilddrüsenerkrankungen, Arthritis, Migräne, Allergien oder Atemwegserkrankungen assoziiert.
Weiterhin ist zu beachten, dass Angsterkrankungen mit einem erhöhten Suizidrisiko einhergehen [1,2].
Diagnostik
Die Diagnostik von Angststörungen sollte nach einem Stufenplan erfolgen. Die Leitlinie empfiehlt folgendes Schema:
offenes Interview mit Angaben des Patienten (CaseFinding)
Screeningfragen
strukturierte Befunderhebung
Anamnese, Fremdanamnese
Differenzialdiagnostik
Diagnosestellung und Schweregradbeurteilung
CaseFinding/Screening
Angststörungen werden in der Primärversorgung häufig nicht als solche erkannt, da viele Patienten organbezogene Symptome angeben und nicht primär über ihre Ängste sprechen. Bei Verdacht auf eine Angststörung helfen kurze Fragen, um eine mögliche Assoziation zu eruieren.
Vorschläge der Leitlinienexperten:
Panikstörung/Agoraphobie
Haben Sie plötzliche Anfälle, bei denen Sie in Angst und Schrecken versetzt werden, und bei denen Sie unter Symptomen wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Luftnot und Todesangst leiden?
Haben Sie in den folgenden Situationen Angst oder Beklemmungsgefühle: Menschenmengen, enge Räume, öffentliche Verkehrsmittel?
Vermeiden Sie solche Situationen aus Angst [1] ?
Generalisierte Angststörung
Fühlen Sie sich nervös oder angespannt?
Machen Sie sich häufig über Dinge mehr Sorgen als andere Menschen?
Haben Sie das Gefühl, ständig besorgt zu sein und dies nicht unter Kontrolle zu haben?
Befürchten Sie oft, dass ein Unglück passieren könnte [1] ?
Soziale Phobie
Haben Sie Angst in Situationen, in denen Sie befürchten, dass andere Leute negativ über Sie urteilen, Ihr Aussehen kritisieren oder Ihr Verhalten als dumm, peinlich oder ungeschickt ansehen könnten[1] ?
Spezifische Phobie
Haben Sie starke Angst vor bestimmten Dingen oder Situationen, wie Insekten, Spinnen, Hunden, Katzen, Naturgewalten (Gewitter, tiefes Wasser), Blut, Verletzungen, Spritzen oder Höhen [1] ?
Screeningfragen
Wissenschaftlich validierte Fragebögen zum „CaseFinding“ sind unter anderem:
Mini-International Neuropsychiatric Interview (MINI), getrennt für alle Angststörungen
Patient Health Questionnaire for Depression and Anxiety (PHQ-4), für alle Arten von Angsterkrankungen und Depressionen
Generalised Anxiety Disorder Assessment (GAD-2/GAD-7), für die generalisierte Angststörung [1]
Strukturierte Befunderhebung
Um Symptome einer Angststörung genau zu erfassen, können strukturierte bzw. halbstrukturierte Interviews wie das Structured Clinical Interview for DSM-IV (SCID) oder das Mini-International Neuropsychiatric Interview (MINI; DSM-IV; ICD-10) verwendet werden [1].
Anamnese, Fremdanamnese
Die Anamnese sollte mindestens eine Entwicklungsanamnese der Symptomatik, eine Aktualanamnese zur Eruierung von Lebensumständen, seelischen Belastungsfaktoren, angstauslösenden Situationen, Angstverstärkern und komorbiden Störungen sowie eine Fremdanamnese umfassen.
Die Fremdanamnese kann wichtige Zusatzinformationen liefern, beispielsweise wie die Angststörung begonnen hat sowie über eventuelle frühere Episoden, Begleitsymptome oder auch Erkrankungen weiterer Familienangehöriger. Informationen zu unangenehmen und schambesetzten Aspekten wie Vermeidungsverhalten, Erwartungsängsten, gefürchtete Situationen oder Suchtmittelgebrauch werden oft erst fremdanamnestisch in Erfahrung gebracht [1].
Differenzialdiagnostik
Angststörungen müssen gegenüber anderen psychischen Erkrankungen abgegrenzt werden, insbesondere einer:
weitere Krankheitsbilder (zum Beispiel periphere Vestibularisstörung, benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel)
Um eine organische Ursache der Beschwerden auszuschließen, sollten wenigstens folgende Untersuchungen erfolgen:
ausführliche Anamnese
körperliche Untersuchung
Blutbild, Blutzucker, Elektrolyte
Schilddrüsenstatus (TSH)
Elektrokardiogramm (EKG) mit Rhythmusstreifen
ggf. Lungenfunktion
ggf. kranielle Magnetresonanztomografie (cMRT) und Computertomografie (cCT)
ggf. Elektroenzephalogramm (EEG)
Die differenzialdiagnostischen Methoden sind je nach Klinik zu erweitern [1].
Diagnosestellung und Schweregradbeurteilung
Das Ausmaß der Angststörung zu Beginn und die Kontrolle des Behandlungserfolgs während der Therapie können mit symptomspezifischen Selbst- und Fremdbeurteilungs-Skalen bestimmt werden. Dazu gehören die PAS (Panik und Agoraphobie-Skala) für eine Panikstörung/Agoraphobie, die LSAS (Liebowitz Social Anxiety Scale) für soziale Phobien sowie die HAMA (Hamilton-Angst-Skala) und BAI (Beck Anxiety Inventory) für generalisierte Angststörungen.
Ist die Anwendung der Skalen zu zeitaufwendig, können auch globale Maße wie die Clinical Global Impression (CGI) ausreichend sein. Bei dieser Skala wird eine einfache Einteilung in Kategorien wie „sehr schwer krank“ oder „leicht krank“ vorgenommen [1].
Therapie
Gemäß der Leitlinie ist eine Therapie indiziert, wenn ein mittlerer bis hoher Leidensdruck, psychosoziale Einschränkungen oder mögliche Komplikationen wie Suchterkrankungen vorliegen. Psychische Komorbidität wie beispielsweise Depressionen sollten leitlinienkonform mitbehandelt werden. Eine Einbindung von Angehörigen – das Einverständnis des Patienten vorausgesetzt – kann die Behandlung unterstützen. Bei suizidaler Gefährdung muss eine fachärztliche Vorstellung bzw. eine Klinikeinweisung erfolgen [1].
Behandlungsplan
In die Behandlungsplanung sollten folgende Punkte einfließen:
Präferenz des Patienten
vorangegangene Behandlungen bzw. Behandlungsversuche sowie deren Resultate
Schweregrad der Erkrankung
komorbide Störungen
Substanzgebrauch (Nikotin, Alkohol, Koffein, Medikamente und Drogen)
Suizidrisiko
Funktionseinschränkung im Alltag
soziale Einbindung
andauernde chronische Stressoren
Vermeidungsverhalten
Verfügbarkeit von Therapeuten und Behandlungsmöglichkeiten in der Region
Wartezeiten auf einen Therapieplatz
ökonomische Faktoren (Kosten der Behandlung)
verfügbare Zeit des Patienten (Behandlungstermine und Anfahrtswege) [1]
Therapieziele
Die Therapie von Angststörungen zielt darauf ab:
Angstsymptome und ein mögliches Vermeidungsverhalten zu reduzieren
Rückfallwahrscheinlichkeit zu verringern
Einschränkungen des Alltagslebens zu verbessern
soziale Integration zu steigern
berufliche Leistungsfähigkeit wiederherzustellen
Lebensqualität zu verbessern [1]
Behandlungsmethoden
Angststörungen werden hauptsächlich mit Medikamenten und/oder psychotherapeutischen Verfahren behandelt.
Pharmakotherapie
Bei der Auswahl des geeigneten Arzneimittels sind individuelle Empfehlungen/Gegenanzeigen/Warnhinweise/Nebenwirkungen/Wechselwirkungen etc. zu beachten. Hierfür ist die aktuelle Fachinformation heranzuziehen. Die Leitlinie empfiehlt die Fortführung der Pharmakotherapie für sechs bis zwölf Monate nach Eintreten einer Remission [1].
Psychotherapie
Patienten mit Angststörungen sprechen meist gut auf eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) an. Diese basiert auf der Annahme, dass Menschen eine Situation individuell interpretieren und mit einer emotionalen Reaktion beantworten. Diese Gefühle werden durch Kognitionen beeinflusst. In der kognitiven Verhaltenstherapie wird erlernt, zwischen Gedanken und Emotionen zu unterscheiden.
Ferner wird das Verständnis vermittelt, dass sich Emotionen und situationsunangemessenes Verhalten ungünstig beeinflussen können. Angstpatienten sollen Gedanken kritisch bewerten, hinterfragen und beurteilen, ob diese korrekt und/oder hilfreich sind. Zudem sollen sie lernen, dysfunktionale Gedanken zu erkennen, zu unterbrechen und zu korrigieren. Eine Konfrontation mit angstauslösenden Stimuli ist ein wichtiger Bestandteil der kognitiven Verhaltenstherapie.
Eine psychodynamische Therapie hat sich speziell bei der Panikstörung, der generalisierten Angststörung und der sozialen Phobie bewährt. Sie wird von der Leitlinie empfohlen, wenn sich eine kognitive Verhaltenstherapie nicht als wirksam erwiesen hat, nicht verfügbar ist oder der informierte Patient diese präferiert. Beispiele für psychodynamische Therapiemethoden sind die analytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Fokaltherapie oder auch die psychodynamische Gruppentherapie [1].
Entspannungsverfahren
Entspannungsverfahren sind als eigenständige Therapieform oder Bestandteil einer Verhaltenstherapie möglich. Zu beachten ist, dass sie ihrerseits Angstsymptome wie Panikattacken auslösen können. Beispiele für Entspannungsverfahren sind die progressive Muskelrelaxation (PMR) oder auch die Angewandte Entspannung (Applied Relaxation) [1].
Je nach Angststörung gibt die Leitlinie spezielle Behandlungsempfehlungen.
Panikstörung mit und ohne Agoraphobie
Kognitive Verhaltenstherapie
Jedem Patienten mit behandlungsbedürftigen Ängsten soll eine medikamentöse Behandlung und eine Psychotherapie in Form der kognitiven Verhaltenstherapie angeboten werden. Die Therapiedauer ist entsprechend der Krankheitsschwere, etwaigen Komorbiditäten und den psychosozialen Rahmenbedingungen individuell zu planen; bei agoraphobischem Vermeidungsverhalten sind Expositionselemente in Begleitung eines Therapeuten zu integrieren [1].
Nicht therapeutengestützte KVT
In Deutschland sind Psychotherapien ohne vorherigen direkten persönlichen Kontakt mit einem Psychotherapeuten/Arzt nicht erlaubt. Nicht therapeutengestützte, auf der KVT basierende Interventionen mithilfe von Büchern, Audiomaterial, Applikationen, Computern oder Internet dürfen daher nicht als Monotherapie angeboten werden. Als Anleitung zur Selbsthilfe können sie jedoch hilfreich sein, um die Zeit bis zum Therapiebeginn zu überbrücken [1].
Psychodynamische Psychotherapie
Eine psychodynamische Psychotherapie kann bei Panikstörung/Agoraphobie helfen, wenn eine KVT nicht wirksam oder nicht verfügbar war, ebenso auf speziellen Patientenwunsch [1].
Pharmakotherapie
Für die Behandlung der Panikstörung/Agoraphobie empfiehlt die Leitlinie die Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Citalopram, Escitalopram, Paroxetin und Sertralin oder den Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)Venlafaxin. Sollten diese nicht wirksam sein oder nicht vertragen werden, kann ein Therapieversuch mit dem trizyklischen Antidepressivum (TZA)Clomipramin folgen. Benzodiazepine gehören nicht zu den Standardmitteln bei Panikstörungen/Agoraphobie. Ihr Einsatz ist nur in Ausnahmefällen, zeitlich befristet und nach sorgfältiger Bewertung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses zu erwägen (zum Beispiel im Rahmen einer akuten Panikattacke).
Kann mit den aufgeführten Wirkstoffen kein Behandlungserfolg erzielt werden, ist ein Wechsel zu Nicht-Standard-Medikamenten möglich. Dazu gehören Arzneimittel:
die nicht für Angststörungen zugelassen sind, aber ihre Wirksamkeit in randomisierten kontrollierten Studien gezeigt haben: Mirtazapin, Quetiapin, Valproat und Inositol sowie Phenelzin (nur übers Ausland beziehbar, zum Beispiel aus Spanien, Belgien, England oder Irland)
die in offenen Studien wirksam waren: Kombination eines SSRI und TZA, Olanzapin als Monotherapie, Kombination eines SSRI mit Olanzapin oder TZA, Augmentation eines SSRI mit Pindolol, Kombination von Valproat und Clonazepam; bei therapieresistenten Fällen Olanzapin, die zusätzliche Gabe von Fluoxetin zu einem TZA, die Zugabe eines TZA zu Fluoxetin und die Zugabe von Olanzapin zu einem SSRI
die in Einzelfallberichten hilfreich waren: bei Therapieresistenz Zugabe von Lithium zu Clomipramin oder die Kombination von Valproat und Clonazepam [1]
Sport
Ergänzend zu den genannten Therapieformen kann sportliche Betätigung (zum Beispiel Ausdauertraining) den Krankheitsverlauf von Panikstörungen mit oder ohne Agoraphobie positiv beeinflussen [1].
Selbsthilfegruppen
Betroffene sollten über eine mögliche Teilnahme an Selbsthilfe- und Angehörigengruppen informiert und ggf. zu einem Besuch ermuntert werden [1].
Generalisierte Angststörung
Psychotherapie
Als wirksame Psychotherapien haben sich die kognitive Verhaltenstherapie, ggf. mit einer Applied Relaxation als zusätzliches Therapiemodul, bewährt. Eine psychodynamische Psychotherapie sollte angeboten werden, wenn eine KVT nicht wirksam oder nicht verfügbar war oder ausdrücklich vom Patienten gewünscht wird.
Zum Überbrücken einer Wartezeit bis zum Beginn einer KVT können verhaltenstherapeutische Online-Selbsthilfeprogramme angeboten werden [1].
Pharmakotherapie
Für die medikamentöse Therapie eignen sich die Wirkstoffe Escitalopram, Paroxetin, Venlafaxin oder Duloxetin. Patienten ohne Polytoxikomanie sollte auch eine Behandlung mit Pregabalin angeboten werden. Führen diese Wirkstoffe nicht zum gewünschten Erfolg, ist ein Therapieversuch mit Buspiron oder Opipramol möglich. In Ausnahmefällen können Benzodiazepine nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung zeitlich befristet eingesetzt werden.
Bei unzureichendem Behandlungserfolg wird eventuell mit Nicht-Standard-Medikamenten eine Besserung erzielt, zum Beispiel mit Arzneimitteln [1]:
die nicht für Angststörungen zugelassen sind, aber ihre Wirksamkeit in randomisierten kontrollierten Studien unter Beweis stellten: Quetiapin; bei Therapieresistenz Zugabe von Risperidon oder Olanzapin zu einer Antidepressiva-Behandlung
Die Teilnahme an Selbsthilfe- und Angehörigengruppen ist für Patienten mit einer generalisierten Angststörung möglicherweise hilfreich [1].
Soziale Phobie
Psychotherapie
Sozialphobischen Patienten sollte zunächst eine kognitive Verhaltenstherapie (als Einzel- und/oder Gruppensitzung) angeboten werden.
Nicht therapeutengestützte, auf der KVT basierende Interventionen mit Büchern, Audiomaterial, Applikationen, Computern oder Internetangeboten können als Anleitung zur Selbsthilfe dienen und die Zeit bis zum Therapiebeginn überbrücken [1].
Psychodynamische Psychotherapie
Eine psychodynamische Psychotherapie kann helfen, wenn eine KVT nicht wirksam oder nicht verfügbar war oder der Patient diese präferiert [1].
Pharmakotherapie
Bei sozialer Phobie empfiehlt die Leitlinie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paroxetin, Sertralin und Escitalopram oder den Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin. Sollten die Beschwerden weiter bestehen, kann ein Therapieversuch mittels Moclobemid erfolgen (Cave: inkonsistente Studienlage).
Bei Nichtansprechen oder Unverträglichkeit ist ein Wechsel zu Nicht-Standard-Medikamenten denkbar, zum Beispiel mit Arzneimitteln [1]:
- die eine Zulassung für andere Angststörungen haben: Pregabalin, Moclobemid, Opipramol und Hydroxyzin - die nicht für Angststörungen zugelassen sind, aber ihre Wirksamkeit in randomisierten kontrollierten Studien unter Beweis stellten: Mirtazapin, Gabapentin, Pregabalin und Olanzapin - die in offenen Studien wirksam waren: Levetiracetam, Topiramat, Tranylcypromin; bei Therapieresistenz Zugabe von Buspiron zu einem SSRI
Selbsthilfegruppen
Patienten und Angehörige sollen über Selbsthilfe- und Angehörigengruppen informiert und, wenn angebracht, zur Teilnahme ermuntert werden [1].
Spezifische Phobien
Bei Vorliegen einer spezifischen Phobie ist gemäß der Leitlinie eine Expositionstherapie indiziert. Diese sollte idealerweise in vivo erfolgen, kann unter Umständen aber auch als Virtuelle-Realität-Expositionstherapie (VRET) angeboten werden. In Studien wurden meist eine bis fünf Therapiesitzungen von jeweils einer bis drei Stunden durchgeführt.
Bei einer spezifischen Phobie reichen die vorliegenden Studien nicht aus, um eine medikamentöse Therapieempfehlung auszusprechen [1].
Prognose
Angststörungen weisen in der Regel einen chronischen Verlauf auf, sind mit einer adäquaten Therapie aber gut behandelbar.
Panikstörungen und generalisierten Angststörungen verursachen üblicherweise keine dauerhaften Beschwerden bzw. treten nur phasenweise auf; Patienten mit sozialen Phobien sind meist durchgehend beeinträchtigt.
Angststörungen bessern sich häufig mit dem Alter. Insbesondere nach dem 65. Lebensjahr ist eine deutliche Abnahme der Angstsymptome zu verzeichnen.
Allgemein gilt: Je früher die Angststörung erkannt und therapiert wird, umso besser ist die Prognose.
Bestimmte Faktoren können die Prognose negativ beeinflussen, zum Beispiel [1][11]:
Missbrauch von Alkohol und Drogen
weitere psychische Erkrankungen
Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung
geringer sozialer Rückhalt
Prophylaxe
Angststörungen im Kindes- und Jugendalter können ein Risikofaktor für psychische Störungen im Erwachsenenalter sein. Eine frühzeitige Behandlung hilft möglicherweise, Angsterkrankungen im Erwachsenenalter vorzubeugen. Ebenso erhöhen traumatische Kindheitserfahrungen wie Tod eines Elternteils, Trennungen der Eltern, Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch in der Familie, sexueller Missbrauch und interfamiliäre Krankheiten das Risiko, später eine Angsterkrankung zu entwickeln. Leider kann diesen Fällen kaum vorgebeugt werden.
Ferner sind ungünstige Erziehungsstile (zum Beispiel abweisende oder überprotektive Eltern) mit einem höheren Angstniveau assoziiert.
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