Rote-Hand-Brief zu HES-haltigen Infusionslösungen

Die Hersteller informieren über das Ruhen der Zulassungen Hydroxyethylstärke (HES)-haltiger Infusionslösungen, da die Arzneimittel bei bestimmten Risikogruppen weiterhin entgegen den Produktinformationen, einschließlich Kontraindikationen, angewendet werden.

Rote-Hand-Brief

Die Firmen Fresenius Kabi Deutschland GmbH und B. Braun Melsungen AG informieren in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über Folgendes.

Zusammenfassung

  • Im Jahr 2013 wurde die Anwendung von Hydroxyethylstärke (HES)-haltigen Infusionslösungen wegen eines erhöhten Risikos von Nierenschäden und Sterblichkeit bei bestimmten Patientengruppen eingeschränkt.
  • Trotz Einführung weiterer umfassender Maßnahmen im Jahr 2018 zum Schutz gefährdeter Patientengruppen haben die Endergebnisse der jüngsten Arzneimittelanwendungsstudie (DUS) EU-weit gezeigt, dass die Produktinformationen, einschließlich der Kontraindikationen, weiterhin in hohem Maße nicht beachtet werden.
  • Es konnten keine zusätzlichen Maßnahmen identifiziert werden, um die Einhaltung der Vorgaben in der Produktinformation weiter zu verbessern und diese Risiken zu reduzieren, wodurch die Patienten potenziell schwerwiegenden Schäden, einschließlich einer erhöhten Sterblichkeit, ausgesetzt sind.
  • Infolgedessen wurde nun das vorläufige Ruhen der Zulassungen HES-haltiger Infusionslösungen in der EU angeordnet.
  • In Deutschland war der Anteil des nicht-bestimmungsgemäßen Gebrauchs dagegen gering. Deutschland wird daher die Anordnung des Ruhens für einen Zeitraum von 18 Monaten aufschieben. Somit werden die Zulassungen voraussichtlich zum 24. November 2023 ruhen und entsprechende Arzneimittel dürfen dann nicht mehr in den Verkehr gebracht werden, es sei denn, die Bedingungen zur Aufhebung des Ruhens der Zulassungen werden bis dahin erfüllt.
  • Angehörige der Gesundheitsberufe sollten gegebenenfalls ab diesem Zeitpunkt HES-haltige Infusionslösungen nicht mehr verwenden und andere geeignete Behandlungsalternativen gemäß den einschlägigen klinischen Leitlinien in Betracht ziehen.
  • Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass es unbedingt erforderlich ist, dass HES-haltige Infusionslösungen ausschließlich in den zugelassenen Indikationen und gemäß den Inhalten der verpflichtenden Schulungen angewendet werden.

Hintergrund zu den Sicherheitsbedenken

Hydroxyethylstärke (HES)-haltige Infusionslösungen sind künstliche Kolloide für den Volumenersatz und sind derzeit für die Behandlung von Hypovolämie aufgrund von akutem Blutverlust indiziert, wenn Kristalloide allein als nicht ausreichend angesehen werden.

Beschränkung der Anwendung

HES-haltige Arzneimittel waren über Jahre hinweg Gegenstand mehrerer europäischer Bewertungen ihres Nutzen-Risiko-Verhältnisses. Im Oktober 2013 wurde eine Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen, bei der ein erhöhtes Risiko für Nierenfunktionsstörungen und Mortalität bei Patienten mit Sepsis oder kritischen Erkrankungen in großen randomisierten klinischen Studien festgestellt wurde. Die Überprüfung ergab, dass die Verwendung von HES-haltigen Infusionslösungen auf die derzeitige Indikation beschränkt werden sollte. Die Produktinformationen wurden aktualisiert, einschließlich neuer Kontraindikationen und Warnhinweise.

Mehrfache Missachtung der Einschränkungen

Im Oktober 2017 wurde eine zusätzliche Bewertung der Ergebnisse von zwei Studien zur Arzneimittelanwendung (DUS) durchgeführt. Diese Studien gaben Anlass zur Besorgnis, da wichtige Einschränkungen in der klinischen Praxis nicht eingehalten werden und eine Anwendung in kontraindizierten Populationen stattfand.

Daraufhin wurden 2018 zusätzliche Maßnahmen eingeführt, um die Einhaltung der zugelassenen Anwendungsbedingungen zu verstärken, darunter die Beschränkung der Abgabe von HES-haltigen Infusionslösungen nur an Krankenhäuser/Zentren, in denen medizinisches Fachpersonal, das HES verschreiben oder anwenden soll, eine obligatorische Schulung zu den entsprechenden Anwendungsbedingungen absolviert hat (d. h. ein Programm mit kontrolliertem Zugang). Ferner sind seither deutlichere Warnhinweise auf der Verpackung dieser Lösungen zu finden. Den Ärzten wurde geraten, HES-haltige Infusionslösungen nicht außerhalb der in der Fachinformation aufgeführten Zulassungsbedingungen zu verwenden, da dies zu schweren Schäden bei ihren Patienten führen könnte. Die Zulassungsinhaber wurden aufgefordert, eine zusätzliche Arzneimittelanwendungsstudie durchzuführen, um die Einhaltung der Produktinformationen zu überprüfen und die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zur Risikominimierung nachzuweisen.

Im Februar 2022 bewertete der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der EMA die endgültigen Ergebnisse dieser Arzneimittelanwendungsstudie und kam zu dem Schluss, dass die Produktinformationen trotz der umfangreichen zusätzlichen Maßnahmen zur Risikominimierung, die 2018 umgesetzt wurden, EU-weit gesehen nach wie vor nicht hinreichend befolgt werden. HES-haltige Infusionslösungen werden nach wie vor bei Patienten angewendet, für die diese Arzneimittel kontraindiziert sind und bei denen ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Schäden, einschließlich Todesfälle, besteht.

EU-weites Ruhen der Zulassung

Insgesamt überwiegen grundsätzlich die Risiken der Anwendung den Nutzen von HES-haltigen Infusionslösungen. Das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel wird daher ausgesetzt werden, und es sollten therapeutische Alternativen gemäß den einschlägigen klinischen Leitlinien gewählt werden.
Die Entscheidung der Europäischen Kommission eröffnet den EU-Mitgliedsländern allerdings die Möglichkeit das Ruhen erst nach einem Übergangszeitraum von 18 Monaten wirksam werden zulassen.

Geringes Risiko in Deutschland

Die o.g. Arzneimittelanwendungsstudie hat Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsländern aufgezeigt und für Deutschland festgestellt, dass das Ziel, mit den getroffenen Maßnahmen eine sichere Anwendung von HES-haltigen Infusionslösungen zu gewährleisten, weitgehend erreicht worden ist. Daher ist in Deutschland von einer unmittelbaren Patientengefährdung durch weiter verfügbare HES-haltige Infusionslösungen nicht auszugehen.

Deutschland: Ruhen der Zulassung ab 11/2023

Deutschland wird daher unter Berücksichtigung der Anforderungen für den Patientenschutz das Ruhen der betreffenden Zulassungen vorläufig aussetzen, sofern bestimmte Bedingungen zum Schutz der Patienten weiter erfüllt und die zuvor vereinbarten Maßnahmen zur Risikominimierung beibehalten und überwacht werden. Die Zulassungen der betroffenen Arzneimittel werden somit erst ab dem 24. November 2023 voraussichtlich ruhen und die HES-haltige Arzneimittel danach im Falle des andauernden Ruhens nicht mehr verfügbar sein. Krankenhäuser/Zentren, die HES-haltige Infusionslösungen anwenden, erhalten durch diese Übergangsfrist genügend Zeit für die Überarbeitung und Anpassung von Therapieschemata.

Möglichkeiten zur Aufhebung der Maßnahme

Um das Ruhen der Zulassung aufzuheben, müssen die Zulassungsinhaber belastbare wissenschaftliche Nachweise vorlegen, die ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis in einer oder mehreren klinisch relevanten Patientenpopulationen belegen, zusammen mit einer Reihe von Maßnahmen zur Risikominimierung, die Patienten mit einem erhöhten Risiko einer ernsthaften Schädigung ausreichend vor einer Exposition gegenüber HES-haltige Infusionslösungen schützen können.

Betroffene Arzneimittel

Die folgenden Präparate des Zulassungsinhabers B. Braun Melsungen AG sind betroffen.

Die folgenden Präparate des Zulassungsinhabers Fresenius Kabi Deutschland GmbH sind betroffen.

Aufforderung zur Meldung von Nebenwirkungen

Die Meldung des Verdachts auf Nebenwirkungen nach der Zulassung ist von großer Wichtigkeit. Sie ermöglicht eine kontinuierliche Überwachung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Arzneimittels. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung an den Hersteller, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder die entsprechende Arzneimittelkommission zu melden.

PDF öffnenRote-Hand-Brief zu HES-haltigen Infusionslösungen

Autor:
Stand:
01.07.2022
Quelle:

Fresenius Kabi Deutschland GmbH, B. Braun Melsungen AG: Rote-Hand-Brief zu HES-haltigen Infusionslösungen (01.07.2022)

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