In Deutschland sind mit steigender Tendenz schätzungsweise etwa 30 Millionen Menschen von allergischen Erkrankungen betroffen. Der Heuschnupfen (Pollinosis, allergische Rhinitis) zählt dabei zu den häufigsten Formen der Allergie. Im Gegensatz zu allergischen Erkrankungen im Allgemeinen und Asthma lagen bisher keine Daten zur aktuellen Entwicklungshäufigkeit von Heuschnupfen vor. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) hat daher eine Studie zur regionalen Verbreitung der allergischen Rhinitis durchgeführt.
Zielsetzung
Ziel der Studie war die Untersuchung aktueller Trends des diagnostizierten Heuschnupfens in Deutschland mit Fokus auf der altersgruppenspezifischen Entwicklung sowie regionalen Unterschieden zwischen städtischen und ländlichen Regionen.
Methodik
In der Studie wurden bundesweite pseudonymisierte, krankenkassenübergreifende vertragsärztliche Abrechnungsdaten nach §295 SGB V der Jahre 2010 bis 2019 betrachtet. Aus diesen konnten unter anderem Merkmale wie Alter, Geschlecht, Wohnort sowie Diagnose, Facharztgruppe und Praxisstandort des behandelnden Arztes erhalten werden.
Als Heuschnupfen-Fall wurden Patienten mit gesicherter ICD-10-GM-Diagnose von allergischer Rhinopathie durch Pollen (J30.1), sonstiger saisonaler allergischer Rhinopathie (J30.2) und nicht näher bezeichneter allergischer Rhinopathie (J30.4) definiert, die in mindestens einem Quartal des Kalenderjahres codiert wurden.
Diagnoseprävalenz nach Altersgruppe und Region
Die Auswertung der Diagnoseprävalenz (Anteil der Patienten mit Heuschnupfen bezogen auf alle Versicherte mit Vertragsarztkontakt im jeweiligen Jahr) erfolgte nach Geschlecht, Altersgruppe und auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte. Es wurde zwischen dem Alterssegment 0 bis 14 Jahre mit den Untergruppen 0 bis 2, 3 bis 6, 7 bis 10 und 11 bis 14 Jahre, sowie dem Alterssegment ≥15 Jahre in 5-Jahres-Altersgruppen unterschieden.
Die Untersuchung der regionalen Unterschiede erfolgte alters- und geschlechtsstandardisiert, bezogen auf die Alters- und Geschlechtsstruktur der gesetzlich Versicherten im Jahr 2010. Die Einteilung der Urbanität eines Kreises erfolgte nach der Klassifizierung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung in die vier Gruppen dünn besiedelte ländliche Kreise, ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen, städtische Kreise und kreisfreie Großstädte.
Ergebnisse
Die Prävalenz der Heuschnupfendiagnose stieg im Studienzeitraum von 2010 bis 2019 von 6,14% auf 7,06% (+15%). Das entspricht 5 Millionen Diagnosen im Jahr 2019, darunter 400.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 14 Jahren. Im Jahr 20110 waren es insgesamt 4,2 Millionen Diagnosen. Der Heuschnupfen wurde im Studienzeitraum am häufigsten von Hausärzten diagnostiziert (60,8% im Jahr 2019). Die steigende Prävalenz wurde bei beiden Geschlechtern beobachtet, allerdings wiesen Frauen im Vergleich zu Männern im Jahr 2019 eine um 5% erhöhte Prävalenz auf (Frauen 7,23% vs. Männer 6,87%).
Sinkende Prävalenz bei Kindern
Im Alterssegment 0 bis 10 Jahre sank im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz die Prävalenz von 4,11% im Jahr 2010 auf 3,01% im Jahr 2019. Insgesamt waren trotz einer steigenden Anzahl versicherter Kinder in dieser Altersgruppe 2019 knapp 60.000 Kinder weniger von einem diagnostizierten Heuschnupfen betroffen als 2010. Mit einer Reduktion um je 53% war der Rückgang bei Mädchen und Jungen zwischen 0 und 2 Jahren am stärksten ausgeprägt.
Erhöhte Prävalenz in städtischen Regionen
Die Diagnoseprävalenz war im Vergleich der städtischen zu den ländlichen Regionen erhöht (p<0,0001, df=3, n=402, Kruskal-Wallis-Test). Im Jahr 2019 war die Prävalenz in dünn besiedelten ländlichen Kreisen mit 6,55% am niedrigsten und in kreisfreien Großstädten mit 7,80% am höchsten. Es zeigte sich jedoch ausgehend vom Jahr 2010 der mit +22% stärkste Anstieg der Prävalenz von Heuschnupfen in dünn besiedelten ländlichen Kreisen. In Großstädten lag dieser Wert bei 16%.
Auf Ebene der KV-Bereiche zeigte sich in Hamburg die höchste standardisierte Prävalenz mit 8,26% und die niedrigste in Baden-Württemberg mit 6,41%.
Regionale Unterschiede altersabhängig
Betrachtet man die Altersgruppen traten die höchsten Prävalenzwerte bis zu einem Alter von 24 Jahren in ländlichen Kreisen mit Verdichtungsansätzen auf, ab einem Alter von 25 Jahren dann in Großstädten. Dabei nahm der relative Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Regionen mit dem Alter zu (Prävalenz-Ratio bei 25- bis 34-Jährige 1,08 [95%-Konfidenzintervall 1,07-1,09], bei ≥84-Jährigen 1,84 [95%-KI 1,79-1,89]).
Fazit
Für Erwachsene GKV-Versicherte konnte insgesamt eine Zunahme des diagnostizierten Heuschnupfens, im pädiatrischen Alterssegment eine Abnahme beobachtet werden. Die Gesamtpopulation zeigte eine höhere Prävalenz in Großstädten als in ländlichen Regionen, auch hier war die Erwachsenenpopulation ausschlaggebend. Bis zum 24. Lebensjahr wurde eine umgekehrte Verteilung beobachtet.
Heuschnupfen abhängig von Alter und Umweltfaktoren
Die Studienergebnisse könnten einen Hinweis auf altersabhängig unterschiedliche Risikofaktoren für Heuschnupfen geben. Die Tendenz der Gesamtpopulation zeige zudem eine wesentliche Bedeutung von Umwelteinflüssen im Kontext des Urbanitätsgrades des Wohnortes, so die Studienautoren. Als Ursache für diesen Zusammenhang kämen unter anderem eine erhöhte Luftverschmutzung in urbanen Räumen und ein protektiver Effekt einer stärkeren Exposition durch Mikroorganismen in ländlichen Lebensräumen in Betracht.
Allergien sind Volkskrankheit
Die Studie zeige die steigenden Anforderungen an das medizinische Versorgungssystem. „Wegen ihres gehäuften Auftretens und der hohen sozioökonomischen Bedeutung für die Betroffenen und das Gesundheitssystem werden Allergien oftmals als Volkskrankheit bezeichnet. (…) Unsere Ergebnisse geben Hinweise darauf, wie medizinische Versorgung darauf regional reagieren kann“, erklärt der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.