
Mit der Einführung des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) sollen ab August 2022 Biosimilars bei der Abgabe in Apotheken automatisch substituiert werden. Sowohl aus medizinisch-pharmazeutischer als auch ökonomischer Sicht kann diese Regelung zu Problemen führen.
Was sind Biosimilars?
Biosimilars sind Biologika, die einem bereits zugelassenen biologischen Arzneimittel (Referenzarzneimittel) sehr ähnlich sind. Biologika enthalten Wirkstoffe aus einer biologischen Quelle wie lebenden Zellen oder Organismen. Meisten handelt es sich dabei um Proteine wie Insulin, Wachstumshormone oder monoklonale Antikörper. Biosimilars ähneln dem Referenzarzneimittel in Struktur, biologischer Aktivität, Sicherheit und Immunogenität. Zugelassen werden sie zentral über die EMA (European Medicines Agency).
Biosimilars sind keine Generika
Biosimilars sink keine generischen Biologika, da aufgrund der natürlichen Variabilität sowie der komplexen Herstellung biologischer Arzneimittel keine exakte Kopie des Referenzarzneimittels möglich ist. Im Vergleich zu Generika sind Entwicklung und Zulassung von Biosimilars daher zeit- und kostenintensiver, im Vergleich zum Original ist der Aufwand jedoch geringer.
Arzneimittelpreise steigen
Das Ausmaß der jährlichen Ausgabensteigerung für Arzneimittel nimmt seit einigen Jahren immer weiter zu. Laut Arzneimittelreport der Barmer-Krankenkasse stiegen die Ausgaben in 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 8,5%. Dabei seien etwa 60% auf höhere Arzneimittelpreise (Kosten pro Tagesdosis) und 40% auf vermehrte Verordnungen zurückzuführen. Biologika zählen zu den umsatzstärksten Arzneimitteln, angeführt wird diese Liste vom TNFα-Antikörper Adalimumab (Humira).
Hohes Einsparungspotential
Laut der Barmer sei mit einer ausschließlichen Verordnung preisgünstiger Biosimilars im Jahr 2019 eine Einsparung von 80,1 Millionen Euro möglich gewesen. Im Jahr 2018 lag dieser Wert bei 43 Millionen Euro. Die verschiedenen Wirkstoffe unterscheiden sich allerdings im berechneten Einsparpotenzial aufgrund der Preisunterschiede zwischen Referenzprodukt und Biosimilar sowie der Anzahl verordneter Tagesdosen erheblich. Dennoch wird die ökonomische Bedeutung von Biosimilars immer stärker und betrifft zunehmend verschiedene Erkrankungen, insbesondere im Bereich der Onkologie.
GSAV: automatische Substitution wird kommen
Da Biosimilars zum Referenzarzneimittel zwar pharmazeutisch äquivalent, aber nicht identisch sind, ist die automatische Substitution (aut-idem) in Apotheken bisher nicht zulässig. Im August 2019 trat das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung in Kraft, dessen Ziel es ist, die Qualität und Sicherheit der Versorgung zu verbessern, auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit. Das Gesetz sieht unter anderem die automatische Substitution von Biologika im Rahmen der Abgabe in Apotheken ab August 2022 vor. Damit wird der Weg zu Rabattverträgen mit den gesetzlichen Krankenkassen geebnet. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat daher im vergangenen Jahr Hinweise für die ärztliche Verordnung zur Austauschbarkeit biologischer Referenzarzneimittel in Bezug auf ihre therapeutische Vergleichbarkeit veröffentlicht.
Wirtschaftliche ärztliche Verordnung
Der behandelnde Arzt soll demnach bei der Vorordnung von Biologika dem Wirtschaftlichkeitsgebot dadurch entsprechen, dass Patienten auf ein preisgünstiges Arzneimittel eingestellt bzw. umgestellt werden. Dies gilt sowohl für den Austausch eines Referenzarzneimittels durch ein Biosimilar als auch für Biosimilars untereinander. Zu bevorzugen sind dabei Arzneimittel, für die Rabattverträge mit der jeweiligen Krankenkasse des Patienten bestehen.
Kritik auf Versorgerebene
Zur Einführung der automatischen Substitution für Biosimilars hatten sich sowohl Apotheker- als auch Ärzteschaft kritisch geäußert.
Nicht genug valide Daten
Den von der EMA zugelassenen Biosimilars wird eine pharmazeutische Äquivalenz bescheinigt, die sie zwar mit Referenzpräparaten austauschbar, aber nicht automatisch substituierbar mache, so AkdÄ (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) und BÄK (Bundesärztekammer). Auch die ADKA (Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e.V.) erklärt, die EMA-Zulassung lasse keine Rückschlüsse auf eine „aut-idem“-Austauschbarkeit in Apotheken zu. Zwar wurden bereits sogenannte Switch-Studien zum biosimilaren Austausch durchgeführt, die bisher keine wesentlichen Sicherheits- oder Wirksamkeitsunterschiede zeigten, allerdings fehlten für viele Biosimilars derzeit valide Daten zum (mehrfach) Switch.
Beeinträchtigung der AMTS
Ein weiterer Aspekt, der gegen die automatische Substitution von Biosimilars spreche, sei laut AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker) die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Durch den vielfältigen Austausch von Biosimilars durch Rabattverträge sei vor allem aufgrund der verschiedenen Applikationssysteme eine Häufung von Medikationsfehlern zu erwarten. Auch AkdÄ und BÄK erklären, dass der Austausch von Biosimilars die Betrachtung von Erkrankung, Darreichungsform sowie die Verfügbarkeit praxistauglicher Einzeldosisstärken beinhalten sollte, was am besten von Ärzten beurteilt werden könne.
Beeinträchtigung der Pharmakovigilanz
Die AMK führt zudem an, dass die Rückverfolgbarkeit und damit Pharmakovigilanzdaten durch den Austausch in der Apotheke beeinträchtigt würden, da dem verordnenden Arzt weder Produktname noch Charge des Arzneimittels bekannt wären.
Kritik auf ökonomischer Ebene
Die Einführung von Rabattverträgen zu Biosimilars übt einen maximalen Preisdruck auf die Anbieter aus, erklärt Prof. Dr. Uwe May, Studiendekan an der Hochschule Fresenius für den Masterstudiengang Pharmacoeconomics and Health Economics und Mitbegründer der Unternehmensberatung May und Bauer – Konzepte im Gesundheitsmarkt. Im Vergleich zu Generika befinde sich bei Biosimilars derzeit eine relativ niedrige Anbieterzahl in den Märkten. Das zu erwartende niedrige Preisniveau durch Rabattverträge könne einige Hersteller an der Markteinführung hindern, da eine Deckung der Entwicklungs- und Produktionskosten auf diese Weise erschwert werde.
Langfristig weniger Wettbewerber
Prof. Dr. May gibt zu bedenken, dass es aufgrund des sinkenden Preisniveaus zu einer Konzentration (teil)exklusiver Anbieter kommen könne. Dies berge zum einen die Gefahr von Lieferengpässen, zum anderen könne sich der erhoffte erhöhte Wettbewerb mehrerer Anbieter nicht einstellen. Die Einführung von Rabattverträgen zu Biosimilars habe daher nur eine kurzfristige Senkung der Gesundheitskosten zur Folge.
Abhilfe durch kollektiven Erstattungsbetrag und Quotenregel?
Aus diesem Grund wäre nach Meinung von Prof. Dr. May nach Patentablauf eine mehrjährige Marktphase mit kollektivvertraglich festgelegten GKV-Erstattungsbeträgen sinnvoll. Dabei wären alle Präparate unter dem festgelegten Preisniveau erstattungsfähig und stünden miteinander im Wettbewerb. Zudem sei eine Quotenregelung sinnvoll, um Ärzte zur Verordnung von Biosimilars anzuregen. Erst nach der Etablierung einer ausreichenden Anzahl Anbieter sei eine markbasierte Preisdynamik gesetzlich möglich.