
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) plant, die Höchstmengenregelung in Bezug auf Betäubungsmittel-Rezepte zu streichen. Das geht aus einem Referentenentwurf zur Vierten Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) hervor. Zudem soll künftig eine Take-Home-Verschreibung eines Vorrats für eine Woche möglich sein.
In der Begründung zu dem Entwurf heißt es, die Anwendungspraxis der BtMVV habe gezeigt, dass Regelungen wie die Vorgabe ärztlicher Höchstverschreibungsmengen und Verschreibungszeiträume nicht mehr dem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und der ärztlichen Praxis entsprechen und zudem zu vermeidbarem bürokratischen Mehraufwand für Praxen und Apotheken führe. Auch hätten die Erfahrungen mit den befristeten Ausnahmeregelungen der SARS-CoV2-Arzneimittelversorgungsverordnung (SARS-CoV-2-AMVV) gezeigt, dass mehr Flexibilität in den Behandlungsabläufen die erfolgreiche Durchführung einer Substitutionstherapie begünstigen könne, ohne dass es zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs käme.
Streichung der Höchstmengenverschreibungsregelung
Die bisherige Höchstverschreibungsmengenregelung und der Verschreibungszeitraum (eine Verordnung innerhalb von 30 Tagen) in §§2 bis 4 BtMVV werden gestrichen. Damit entfällt auch die Rezeptkennzeichnung „A“, die eine Abweichung von Höchstmengen oder der vorgegebenen Zahl der verschriebenen Betäubungsmittel in begründeten Einzelfällen beschreibt.
Höchstmengen als Kontrollinstrument entbehrlich
Laut BMG kam es in der Praxis in Einzelfällen zu Retaxierungen und Regressanforderungen insbesondere in Bezug auf Generika und die Verwendung unterschiedlicher Salze desselben Betäubungsmittels, da trotz zulassungsrechtlicher Verschreibungsmengen die Höchstmengen für den Zeitraum von 30 Tagen überschritten wurden. Die Höchstmengen gelten zudem unabhängig von der Darreichungsform. So sei beispielsweise die Höchstverschreibungsmenge für ein Fentanyl-Pflaster zutreffen, für ein Fentanyl-Injektionspräparat jedoch um ein Vielfaches zu hoch.
In solchen Fällen kann die Höchstmengenregelung wissenschaftlich nicht begründet werden. Laut BMG sind mit der Streichung der betäubungsmittelrechtlichen Höchstverschreibungsmengen keine gesundheitlichen Risiken verbunden. Die Höchstmengen seien als zusätzliches Kontrollinstrument entbehrlich. Die Regelungen des §13 Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), die eine medizinisch begründete Indikationsstellung im Kontext mit einer ärztlichen Subsidiaritätsprüfung bei der Anwendung von Betäubungsmitteln vorsehen sowie arzneimittelrechtliche Zulassungsvorschriften seien ausreichend.
Reduktion des Bürokratieaufwands
Durch die Streichung der Höchstmengenregelung werde verzichtbarer Bürokratieaufwand verringert, was neben Praxen und Apotheken auch die Überwachungsbehörden der Länder entlaste und eine vereinfachte Abrechnung ermögliche. Zudem werde die notwendige Versorgung der Patienten mit Betäubungsmitteln gestärkt.
Mehr Flexibilität bei Take-Home-Substitutionstherapie
Mit der SARS-CoV-2-Arzneimittelverschreibungsverordnung wurden unter anderem Regelungen der BtMVV in Bezug auf Take-Home-Verschreibungen befristet gelockert. Die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Anwendung von Betäubungsmitteln wurde von Verschreibungen für 2 Tage bzw. über ein Wochenende oder Feiertage (inkl. Brückentage, max. 5 Tage) auf grundsätzlich 7 Tage verlängert. Diese Regelung soll verstetigt werden. Voraussetzung dafür bleiben weiterhin bestimmte Kriterien, wie z.B. der Ausschluss einer Eigen- oder Fremdgefährdung. Das BMG weist darauf hin, dass die Verschreibung nur für aufeinanderfolgende Tage gilt, also nicht 7 Sonntage oder ähnliches. Außerdem entfällt die Regelung des bisherigen §5 Absatz 8 Satz 3 BtMVV zur Aushändigung höchstens einer Verschreibung pro Kalenderwoche.
Verbesserte Versorgung und Praxistauglichkeit
Die Entscheidung begründet das Gesundheitsministerium mit vorläufigen Erkenntnissen aus der Evaluation der Dritten Verordnung zur Änderung der BtMVV (Studie EVASUNO) und Erfahrungen aus der Pandemieversorgung. Die Neuen Regelungen verbesserten den Zugang zur Versorgung von Opioid-Abhängigen mit einer Substitutionstherapie und passten die Gegebenheiten an die ärztliche Praxis an.
Weiterhin folgt das BMG mit der Überführung der Ausnahmeregelungen der SARS-CoV-2-AMVV in die Regelversorgung fachlichen Empfehlungen der „Bundeskonferenz der Vorsitzenden von Qualitätssicherungskommissionen für die substitutionsgestützte Behandlung der Opioidabhängigkeit bei den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder“ und berücksichtigt einen Beschluss des 126. Deutschen Ärztetages.
„Z“-Kennzeichnung entfällt
Bislang sind Take-Home-Verschreibungen für Ausnahmefälle zusätzlich zum Substitutions-Kennzeichen „S“ mit dem Buchstaben „Z“ zu kennzeichnen. Take-Home-Verschreibungen, die aufgrund der Einschätzung des Arztes erfolgen, dass die Überlassung des Substitutionsmittels zum unmittelbaren Verbrauch nicht mehr erforderlich ist, müssen zusätzlich mit dem Buchstaben „T“ gekennzeichnet werden.
Künftig entfällt die Verpflichtung zur Kennzeichnung von Betäubungsmittelverschreibungen in bestimmten Fällen mit dem Buchstaben „Z“. Stattdessen werden alle Verschreibungen zur eigenverantwortlichen Einnahme einheitlich mit dem Buchstaben „T“ gekennzeichnet. So entfallen gleichzeitig Prüfaufgaben bezüglich des Verschreibungszeitraumes für Apotheken.
Telemedizinische Konsultation möglich
Eine weitere Neuerung bei den Take-Home-Verschreibungen ist die Möglichkeit eine Verordnung infolge einer telemedizinischen Konsultation auszustellen. Bisher war dies nur nach persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt erlaubt. Zu beachten ist dabei jedoch, dass in einem Zeitraum von 30 Tagen mindestens eine persönliche Konsultation stattfinden muss.
Laut BMG kann diese Regelung vor allem für ländliche Gebiete mit hoher Versorgungsdichte vorteilhaft sein.
Anpassung der Substitutionsberechtigten
Als weitere Neuerung werden Justizvollzugsanstalten in die Aufzählung substituierender Einrichtungen aufgenommen. Zudem wird der Personenkreis der Substitutionsberechtigten für Personal ohne medizinischen, pharmazeutischen oder pflegerischen Hintergrund mit Tätigkeiten in bestimmten Einrichtungen wie stationären Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation, Gesundheitsämtern, Alten- und Pflegeheimen und Hospizen geöffnet. Auch diese Personen müssen die fachliche Fähigkeit sowie persönliche Vertrauenswürdigkeit besitzen und vom behandelnden Arzt eingewiesen worden sein.
Wann treten die Regelungen in Kraft?
Für die Umsetzung der Änderungen der BtMVV soll zunächst die Richtlinie der Bundesärztekammer zum allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Substitution aktualisiert werden, in der Ziele, allgemeine Voraussetzungen sowie Therapiekonzepte zusammengefasst sind. Die neue Fassung dieser Richtlinie soll dem BMG bis zum 15. März 2023 vorgelegt werden. Hintergrund der Frist ist, dass die Geltungsdauer der SARS-CoV-2- AMVV bis zum 7. April 2023 verlängert wurde und nach Auslaufen der Verordnung eine unterbrechungsfreie Fortgeltung der beschriebenen substitutionsbezogenen Vorschriften ermöglicht werden soll.
Nach einem Genehmigungsverfahren durch das BMG wird die Richtlinie der Bundesärztekammer durch Bekanntgabe im Bundesanzeiger in Kraft treten. Bis dahin bleibt die BtMVV in ihrer zuletzt geänderten Fassung gültig, da die Richtlinie die Voraussetzung für die Vollziehbarkeit der Regelungen der BtMVV darstellt.