Die Europäische Kommission hat am 14. Januar 2022 in der Verordnung (EU) 2022/63 ein Verbot für die Verwendung von Titandioxid in Lebensmitteln erlassen. Demnach darf die Lebensmittelindustrie sechs Monate nach Inkrafttreten der Verordnung keine Titandioxid-haltigen Nahrungsmittel mehr in den Verkehr bringen. Innerhalb dieser Übergangszeit können Lebensmittel gemäß ihres Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatums noch vermarktet werden.
Was ist Titandioxid?
Titandioxid (TiO2) ist ein weißes Pigment, das in vielen Produkten des täglichen Lebens enthalten ist. Es trägt laut der Liste für Lebensmittelzusatzstoffe innerhalb der EU die Kurzbezeichnung E171. Titandioxid wird darüber hinaus in vielen festen und halbfesten Arzneimitteln als Lichtschutz und Farbstoff verwendet. Daneben dient es als Aufheller und Farbpigment in vielen Kosmetika und Lebensmitteln.
Hintergrund des Verbotes
Im Rahmen einer neuen Risikobewertung für Lebensmittelzusatzstoffe, die vor dem 20. Januar 2009 bereits als solche zugelassen waren, hat sich für Titandioxid ein bisher nicht einschätzbares Genotoxizitätsrisiko ergeben. Nach Aussage von Professor Maged Younes, Vorsitzender des Sachverständigengremiums für Lebensmittelzusatzstoffe und Aromastoffe der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), „kam das Gremium zu dem Schluss, dass Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr als sicher angesehen werden kann.“ Darüber hinaus machte die EU-Kommissarin für Gesundheit, Stella Kyriakides, in einer Pressemitteilung deutlich, „dass die Lebensmittelgesundheit und Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger nicht verhandelbar [sind].“
Sicherheitsrisiko durch Nanopartikel
Bereits 2016 wurde von der EFSA empfohlen, weitere toxikologische Untersuchungen von Titandioxid durchzuführen, um eine maximale, tägliche Aufnahmemenge festzulegen. Zudem sollte der Nanopartikelanteil in E171 untersucht werden, um zu erfahren, inwiefern die Partikelgröße Einfluss auf das toxische Potenzial von Titandioxid haben könnte. Eine Studie an Ratten deutete darauf hin, dass resorbierte Titandioxid-Nanopartikel Darmentzündungen verstärken können. Ebenso wird ein kanzerogenes Potenzial von inhaliertem Titandioxid kontrovers diskutiert. Hier fehlen zur Klärung allerdings weitere Studien.
EFSA veröffentlicht aktualisierten Sicherheitsreport
Im Mai 2021 veröffentlichte die EFSA einen aktuellen Sicherheitsreport zur Verwendung von Titandioxid in Nahrungsmitteln. Darin hielt die Behörde fest, dass der Nanopartikelanteil (Partikeldurchmesser <100 nm) weniger als 50% beträgt und derjenige mit <30 nm Durchmesser weniger als 1%. Zudem gibt es keine Hinweise auf eine generelle oder organspezifische Toxizität bei täglichen Gaben von bis zu 100 mg/kg Körpergewicht (Partikeldurchmesser >30 nm). Trotz einer nur geringen gastrointestinalen Resorption könnten sich die Partikel im Gewebe anreichern. Das Expertengremium kam zu dem Schluss, dass Titandioxidpartikel durchaus in der Lage seien, DNA-Strangbrüche und Chromosomenschäden zu verursachen. Ausgeschlossen seien allerdings Titandioxid-induzierte Genmutationen.
Unklar bleibt aber, inwiefern die physikochemischen Eigenschaften von Titandioxidpartikeln in-vitro und in-vivo-Studienergebnisse zur Genotoxizität beeinflusst haben könnten. Der genaue Pathomechanismus ist ebenso nicht geklärt.
Konsequenzen für Pharmaunternehmen
Die Verordnung weist auch auf den zukünftigen Umgang von Titandioxid als Hilfsstoff in Arzneimitteln hin. Im Vergleich zur Verwendung von Titandioxid in Lebensmitteln ist die EU-Kommission hier weniger streng. Titandioxid verbleibt zunächst auf der Liste für zugelassene Zusatzstoffe, wird aber gleichzeitig auch „in die Liste derjenigen Farbstoffe aufgenommen, die nicht direkt an Verbraucher verkauft werden dürfen“, so die EU-Verordnung. Damit soll möglichen Lieferengpässen vorgebeugt und eine sichere Arzneimittelherstellung gewährleistet werden.
Ausblick
Innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung verpflichtet sich die die EU-Kommission zur Prüfung, ob Titandioxid auf der Liste der Lebensmittelzusatzstoffe „zur ausschließlichen Verwendung als Farbstoff in Arzneimitteln“ verbleiben darf oder davon zu streichen ist. Hierbei sollen neue Erkenntnisse zu Alternativen die Entscheidungsgrundlage sein. Die EU-Kommission forderte von der pharmazeutischen Industrie großen Einsatz in der Erforschung und Entwicklung dieser Alternativen.