Niedrige Cortisol-Spiegel als Indikator für Long-COVID

Personen mit Long-COVID haben nur eine etwa halb so hohe Serumcortisol-Konzentration wie Menschen ohne diese COVID-19-Folgeerscheinung. Das Phänomen niedriger Cortisolwerte wurde bereits beim chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) beobachtet.

Graph fallend

Eine SARS-CoV-2-Infektion kann nach einer akuten Erkrankung in Post COVID oder Long-COVID übergehen. Zu den typischen Anzeichen gehören anhaltende Müdigkeit, rasche Erschöpfung, verminderte Belastbarkeit sowie kognitive und autonome Dysfunktionen. Die zugrundeliegenden pathophysiologischen Mechanismen sind bislang noch nicht verstanden, evidenzbasierte Diagnoseverfahren und Therapiemethoden gibt es nicht. Eine neue explorative Querschnittstudie hat jetzt auffällige Blutwerte und Veränderungen in den Immunzellen entdeckt, die für die Diagnostik und Behandlung von Long-COVID bedeutsam sein könnten. Die Studienergebnisse wurden auf den Preprint-Server »MedRxiv« hochgeladen.

Zielsetzung

Warum manche Menschen Long-COVID entwickeln und andere nicht, ist weiterhin unklar. Von einer persistierenden SARS-CoV-2-Infektion über eine anhaltend gestörte Immunreaktion bis zu Autoimmunphänomenen durch SARS-CoV-2-Antikörper werden viele Hypothesen diskutiert. Forschende der Yale School of Medicine in New Haven und der Icahn School of Medicine in New York haben 215 Personen einer multidimensionalen Immunphänotypisierung unterzogen. Unter Einsatz von künstlicher Intelligenz für maschinelles Lernen identifizierte das Team um Akiko Iwasaki die immunologischen Schlüsselmerkmale bei Long-COVID. 

Methodik

Die Studie umfasste 99 Long-COVID-Patienten und 106 Kontrollpersonen. Letztere waren gesunde SARS-CoV-2-naive Menschen sowie ungeimpfte und geimpfte Personen, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion durchlebt hatten, aber keine Anzeichen von Long-COVID zeigten. Die meisten der Long-COVID-Betroffenen hatten sich während der ersten Infektionswelle (Anfang bis Mitte 2020) mit dem Coronavirus infiziert. Der COVID-19-Verlauf wird als leicht bis moderat beschrieben. Iwasaki und Kollegen analysierten die unterschiedlichen Abwehrzellen mittels Durchflusszytometrie. Zudem bestimmten sie die Konzentration aller Bluteiweiße und suchten nach Antikörpern gegen und Antigenen von möglichen anderen Erregern, mit denen Long-COVID assoziiert sein könnte.

Ergebnisse

Die Auswertung erbrachte mehrere ungewöhnliche Befunde. Im Long-COVID-Arm wurden signifikante Veränderungen bei den zirkulierenden Leukozyten festgestellt, darunter eine Zunahme von nicht-klassischen Monozyten, aktivierten B-Zellen, doppelt-negativen B-Zellen, erschöpften T-Zellen und IL-4/IL-6-sezernierenden CD4-T-Zellen sowie eine Abnahme von konventionellen DC1- und zentralen Gedächtnis-CD4-T-Zellen. Weiterhin gab es Hinweise auf erhöhte humorale Reaktionen gegen das SARS-CoV-2-Virus. Darüber hinaus fiel ein Anstieg von Antikörperreaktionen gegen andere virale Erreger auf, insbesondere gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV). Die Analyse der zirkulierenden Immunmediatoren und verschiedenen Hormone ergab ebenfalls signifikante Unterschiede. Am auffälligsten war ein niedriger Cortisol-Spiegel bei den Long-COVID-Patienten.

Niedrige Cortisol-Spiegel als Indikator für Long-COVID

Die Serumkonzentration von Cortisol war in der Long-COVID-Population nur etwa halb so hoch wie bei den gesunden oder rekonvaleszenten Kontrollpersonen. Niedrige Cortisolwerte werden auch bei Menschen mit chronischem Fatigue-Syndrom/ myalgischer Enzephalomyelitis (CFS/ME) gefunden. Die Symptome ähneln denen von Long-COVID. CFS/ME manifestiert sich gewöhnlich im Anschluss an eine Infektion und gilt als eigenständiges neuroimmunologisches Krankheitsbild.

Antikörper gegen EBV

Ebenfalls bedeutsam erscheint der Nachweis von Antikörpern gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV), dem Erreger des Pfeiffer’schen Drüsenfiebers. Die Seroprävalenz war mit weit über 90% in beiden Gruppen gleich. Das ist aufgrund der hohen Durchseuchung in der Allgemeinbevölkerung auch nicht verwunderlich. Die latent persistierenden Herpesviren können jedoch durch bestimmte Faktoren reaktiviert werden. Augenscheinlich ist dies bei Long-COVID der Fall. Blutproben der Long-COVID-Gruppe wiesen häufiger Antikörper gegen EBV-Antigene auf, was für einen erneuten Ausbruch der EBV-Infektion sprechen könnte.

(Auto-)Antikörper

Die Hypothese, dass es sich bei Long-COVID um eine Autoimmunerkrankung handeln könnte, wird durch die Studie nicht gestützt. Autoantikörper wurden zwar bei Patienten mit aktiver COVID-19-Erkrankung gefunden, eine Korrelation zwischen dem Grad der Autoantikörper-Reaktivität und der Neigung zu Long-COVID war allerdings nicht feststellbar.

Offenbar hält aber die Antikörperreaktion auf SARS-CoV-2 bei Long-COVID länger an als bei Personen ohne diese Folgeerscheinung. Dies muss weiter untersucht werden.

Fazit

Ein verminderter Cortisol-Spiegel war der robusteste individuelle Prädiktor für Long-COVID. Mit einem AUC-Wert von 0,96 (95%-Konfidenzintervall 0,92–0,99) ist die Diagnosesicherheit relativ hoch. Die Studie wird weitere immunologische Untersuchen initiieren und die Etablierung objektiver Biomarker von Long-COVID unterstützen, so Iwasaki.

Autor:
Stand:
19.08.2022
Quelle:

Klein, J. et al. (2022): Distinguishing features of Long-COVID identified through immune profiling. medRxiv 2022 Aug; DOI: 10.1101/2022.08.09.22278592.

 

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