
Bei Einführung der bivalenten Formulierungen der ursprünglichen mRNA-Covid-19-Impfstoffe von Moderna und BioNTech/Pfizer gegen die Omikron-Subvarianten BA.4/5 sah man von einer ausführlichen klinischen Prüfung ab. Sicherheitsbedenken gab es keine, ein zusätzlicher Schutz vor BA.4/5 erschien biologisch plausibel. Die Schutzwirkung entspricht aber wohl nicht den Erwartungen. Das ergaben zwei im »New England Journal of Medicine« (NEJM) publizierte Laborstudien [1,2].
Studie Team Ho
In der ersten Studie untersuchten Forschende um David Ho von der Columbia University in New York den Effekt der bivalenten Impfstoffverstärker hinsichtlich der beim Menschen ausgelösten Antikörperreaktionen. Dafür entnahmen sie Seren von verschiedenen klinischen Kohorten, und zwar von Personen:
- die drei oder vier Dosen der ursprünglichen monovalenten mRNA-Impfstoffe erhalten hatten
- die als vierte Dosis mit einem neuen bivalenten Impfstoff geimpft worden waren
- die eine BA.4/BA.5-Durchbruchsinfektion nach einer mRNA-Impfung erlitten hatten
Mithilfe von Pseudovirus-Neutralisationstests wurden die Seren auf Neutralisierung gegen einen SARS-CoV-2-Stamm, mehrere Omikron-Sublinien und mehrere verwandte Sarbecoviren getestet [1].
Ergebnisse
Zu erwarten gewesen wäre, dass die vierte BA.4/5 spezifische Dosis die neutralisierende Wirkung verstärkt. Dies war nicht der Fall. Eine vierte Dosis des bivalenten mRNA-Impfstoffs löste im getesteten Zeitraum keine besseren neutralisierenden Antikörperreaktionen aus als die ursprüngliche monovalente Impfstoffformulierung.
Über alle Kohorten hinweg wurden die höchsten Serum-Virusneutralisationstiter (ID50) gegen den Wildtyp-Stamm D614G ermittelt. Die ID50 gegen drei verwandte Sarbecoviren (SARS-CoV, GD-Pangolin und WIV1) waren bei Personen, die eine vierte Dosis eines monovalenten Impfstoffs erhalten hatten, leicht, aber signifikant höher als bei denjenigen mit einer bivalenten Auffrischungsdosis [1].
Phänomen der immunologischen Prägung
Die Ergebnisse lassen auf das Phänomen der immunologischen Prägung (Immune imprinting) schließen [1]. Die nach einer ersten Infektion oder Impfung entstandenen Gedächtniszellen veranlassen bei erneutem Erregerkontakt (Infektion/Impfung) zwar die Bildung von Antikörpern gegen die bereits bekannten Epitope des ursprünglichen Erregers, neue Epitope mutierter SARS-CoV-2-Viren werden aber weitestgehend ignoriert.
Studie Team Barouch
Eine am Tag darauf veröffentlichte Studie (ebenfalls NEJM) kam zu ähnlichen Ergebnissen. Das Team um Dan Barouch vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston untersuchte die Immunreaktionen von Menschen mit einer monovalenten und bivalenten mRNA-Auffrischungsimpfung [2].
Ergebnisse
Sowohl die monovalenten als auch die bivalenten mRNA-Booster verstärkten die neutralisierende Wirkung. Allerdings waren die BA.5-NAb-Titer in beiden Gruppen vergleichbar – wenn auch mit einem leichten, nicht signifikanten Trend zugunsten der bivalenten Auffrischungsdosis [2].
Wie in der Ho-Studie wiesen alle vier Gruppen die höchsten neutralisierenden Antikörpertiter gegen den D614G-Stamm auf [2].
Spike-spezifische CD8+ und CD4+ T-Zell-Antworten nahmen nach monovalenten und bivalenten Boosterungen nur geringfügig zu. Ein Vorteil der bivalenten Auffrischungsdosis war nicht erkennbar [2].
Fazit
Die Daten zeigen, dass sowohl monovalente als auch bivalente mRNA-Booster die Antikörperreaktionen deutlich erhöhen, die T-Zellantworten jedoch nicht wesentlich steigern, so das Fazit der Studienautoren. Ihre Ergebnisse lassen befürchten, dass die immunologische Prägung durch eine frühere Antigenexposition eine größere Herausforderung für die Induktion einer robusten Immunität gegen SARS-CoV-2-Varianten darstellen könnte, als derzeit angenommen wird [2].