Tirzepatid - erfolgversprechendes Antidiabetikum

Tirzepatid ist ein GIP/GLP-1-Rezeptoragonist. Bei Diabetes mellitus Typ 2 gelang es damit in mehreren Phase-II und -III Studien, sowohl den HbA1c als auch das Körpergewicht signifikant und stärker als mit vielen anderen Antidiabetika zu reduzieren

Diabetes - Spritze

Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) ist eine Volkskrankheit. Sie gilt als vergesellschaftet mit Übergewicht und Insulinresistenz. Deshalb zielen viele Behandlungen nicht nur darauf ab, den Blutzuckerspiegel zu senken, sondern auch das Körpergewicht der Patientinnen und Patienten stabil zu halten oder zu reduzieren.

Wirkung der Inkretine

In den letzten Jahren sind dafür einige neue Wirkstoffe auf den Markt gekommen. Ein Teil von ihnen greift bei sogenannten Inkretinen an. Das sind vom Verdauungstrakt nach dem Essen freigesetzte Moleküle, die unter anderem beeinflussen, wie viel Glukagon und Insulin freigesetzt werden. Zwei solcher Moleküle sind das Glukagon-like Peptid 1, kurz GLP-1, und das Glukose-abhängige insulinotrope Polpypetid, kurz GIP. GLP-1 hemmt die Freisetzung von Glucagon, fördert die Freisetzung von Insulin, verzögert die Magenentleerung und hemmt das Hunger- und Durstgefühl. GIP stimuliert ebenfalls die Glukose-abhängige Insulinsekretion. Zusätzlich reguliert es die Glukagonfreisetzung sowohl in einer hyperglykämischen Phase als auch bei normo- oder hypoglykämischem Zustand.

Kombinationswirkstoff Tirzepatid

Der Rezeptor des GLP-1 Moleküls ist deshalb schon länger Zielstruktur einer Wirkstoffgruppe unter Antidiabetika, der GLP-1-Rezeptoragonisten. Nun werden Kombinationswirkstoffe aus GIP und GLP-1-Rezeptoragonisten erforscht. Ein solcher ist der Wirkstoff Tirzepatid der Firma Eli Lilly. Er muss nur einmal wöchentlich subkutan injiziert werden und hat eine Halbwertszeit von etwa fünf Tagen. In präklinischen Modellen reduzierte er bereits die Menge an Nahrung, die aufgenommen wurde, sowie den Energieverbrauch. Dadurch sank das Körpergewicht. In verschiedenen klinischen Studien wurde der Wirkstoff nun weiter getestet, unter anderem den SURPASS-3, SURPASS-5 und weiteren Studien des SURPASS klinischen Studien Programms. Thinzar Min und Stephen C. Bain von der Universität Swansea in Großbritannien haben nun eine Übersichtsarbeit im Journal Diabetes Therapy publiziert, in der sie sich mit der Wirksamkeit und Sicherheit von Tirzepatid in bisher gelaufenen klinischen Studien befassen und den Wirkstoff mit anderen Vergleichen [5].

Phase-I-Studien

Bereits in präklinischen Studien galt Tirzepatid als möglicherweise sehr wirksame Kombination aus GIP- und GLP-1 Rezeptoragonist. In verschiedenen randomisierten, doppelt-verblindeten und kontrollierten Phase-I-Studien zum Proof-of-Concept bestätigte sich diese erste Hoffnung: Coskun et al. (2018) konnten in einer Untersuchung mit 53 Personen mit Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) zeigen, dass der HbA1c durch eine vierwöchige Therapie mit jeweils vorab definierten Dosen von Tirzepatid signifikant sinkt. Ebenso verbesserten sich neben anderen Werten die Glukoseantwort im oralen Glukosetoleranztest und das Körpergewicht sank. Die Stärke des Effekts war dosisabhängig [1].

Eine japanische Studie um mit Ohwaki et al (2019) 48 Teilnehmenden mit T2DM konnte ebenfalls zeigen, dass ein durchschnittlicher HbA1c von 8,0% (STD 0,8%) in Gruppen mit langsamer Aufdosierung der Medikation um 1,62% (Dosis: 5 mg), 1,78% (Dosis: 10 mg) und 2,05% (Dosis 15 mg) gesenkt werden konnte. Ebenso sank das Körpergewicht um 1,9 kg, 3,6 kg oder 5,1 kg abhängig von der jeweiligen Dosis bei einem Ausgangs-BMI von 25,4 kg/m2 (STD 3,2) [6].

Phase-II-Studien

Auch in klinischen Phase-II-Studien bestätigte sich der vorher gemessene Effekt. In einer doppelt-verblindeten, randomisierten und placebokontrollierten Studie von dem Team um Frias et al. (2018) mit 318 Personen mit T2DM konnten sowohl HbA1c als auch Nüchternblutzucker und Körpergewicht reduziert werden. Wie auch in den klinischen Phase-I-Studien verwendeten sie unterschiedliche Dosierungen von 1 mg über 5 mg und 10 mg bis hin zu 15 mg in den verschiedenen Patientengruppen. Von einem durchschnittlichen Ausgangs-HbA1c von 8,1% (STD 1%) und einem BMI von durchschnittlich 32,6 kg/m2 (STD 5,9) gelang innerhalb von 26 Wochen eine Reduktion des HbA1c um 0,7% bei einer Dosis von 1 mg, um 1,6% bei 5 mg, um 2,0% bei 10 mg und um 2,4% bei 15 mg. Das Gewicht sank um durchschnittlich 0,9 kg, 4,8k g, 8,7 kg und 11,3 kg. Während des Studienzeitraums konnnten 71% der Teilnehmenden ihr Gewicht um mehr als 5% senken, 39% um mehr als 10% und 25% sogar um mehr als 15%. Als Vergleichsgruppe dienten sowohl eine Placebogruppe als auch eine Gruppe, die den etablierten Wirkstoff Dulaglutid erhielt. In allen Bereichen erzielten die Tirzepatidgruppen signifikant größere Erfolge [2].

Auch eine spätere Phase-II-Studie von einem Team um Frias et al (2020) berichtet von ähnlichen Ergebnissen: Hier wurde mit Dosierungen von 12 mg, zweimal 15 mg  in unterschiedlichen Aufdosierungsregimes gearbeitet. Nach 12 Wochen waren der HbA1c mit -1,7% bis -2,0% signifikant gesunken und das Körpergewicht um 5,3 kg bis 5,7 kg gefallen [3].

Dosisabhängige Nebenwirkungen

An Nebenwirkungen berichteten die Teilnehmenden vor allem dosisabhängige Symptome des Gastrointestinaltrakts. Je höher die Dosis, umso stärker waren die jeweiligen Nebenwirkungen und auch die Quote der Studienabbrecher. In Bezug auf die Schwere wurden die Symptome von mild bis moderat eingestuft. Am zweithäufigsten zeigte sich ein reduzierter Appetit.
Die gefürchtete Hypoglykämie, die unter manch anderen Antidiabetika für T2DM beobachtet wird, war bei Tirzepatid selten und dosisabhängig. In der 26-wöchigen Studie erlitten 9,8% mit 10mg eine Hypoglykämie, 7,5% bei 15mg. Bei der 12-wöchigen Studie waren es 6,9% bei 12mg und 17,9% bei den beiden 15mg-Gruppen. Weitere Nebenwirkungen waren Pankreatitiden, Cholezystitiden, lokale Reaktionen an der Einstichstelle, Hypersensitivitäten und Antikörperbildung. Insgesamt unterschieden sich die Nebenwirkungen jedoch weder in Schwere noch in Häufigkeit von denen, die bereits unter Dulaglutid beobachtet worden waren [2,3].

Phase-III-Studien – SURPASS Programm

Nach den erfolgreichen vorangegangenen Studien wurde Tirzepatid in klinischen Studien der PhaseIII eingesetzt. Diese sind Teil des SURPASS-Studienprogramms. Es werden hier Wirksamkeit und Sicherheit von Tirzepatid untersucht. In dem Programm sind mehr als 13.000 Patientinnen und Patienten in zehn klinischen Studien eingeschlossen. Das Programm begann bereits 2018 und soll noch dieses Jahr weitere Ergebnisse liefern.

Bereits jetzt gibt es erste Daten zu den Studien SURPASS-3, einer 52-wöchigen, multizentrischen, randomisierten, Open-Label Studie, und SURPASS-5, einer 40-wöchigen multizentrischen, randomisierten, doppelverblindeten Studie.

SURPASS-3

SURPASS-3 schloss 1.444 Patientinnen und Patienten ein und untersuchte, wie sicher und wirksam Dosierungen von 5 mg, 10 mg und 15 mg Tirzepatid für Erwachsene mit T2DM sind. Alle Teilnehmenden waren bisher nur mit Lebensstilanpassungen und oralen Antidiabetika wie Metformin behandelt worden. Verglichen wurden sie mit einer Placebogruppe und einer Gruppe, die Insulin degludec erhielt. Durchschnittlich hatten die Teilnehmenden einen HbA1c-Wert von 8,17% zu Beginn der Studie und ein Startgewicht von 94,3 kg.

Auch in dieser Studie sank bei allen Teilnehmenden der Tirzepatid-Gruppen sowohl der HbA1c als auch das Körpergewicht signifikant. Mit 92,6% erreichte die große Mehrzahl der Teilnehmenden einen HbA1c-Wert von weniger als 7% bis zum Ende des Studienzeitraums - der primäre Endpunkt. Knapp die Hälfte (48,4%) konnte sogar einen Wert kleiner 5,7% erzielen - einer der sekundären Hauptendpunkte. Das Körpergewicht wurde im Schnitt um 13,9% (12,9 kg) reduziert.
Auch das Auftreten von Hypoglykämien (Blutglukose-Konzentration <54 mg/dL) war mit 1,4% (5 mg), 1,1% (10 mg) und 2,2% (15 mg) gering. Andere Nebenwirkungen blieben ebenso vergleichbar zu den in Phase I und II berichteten unerwünschten anderen Wirkungen von Tirzepatid.

SURPASS-5

Diese klinische Phase-III-Studie war mit 40 Wochen kürzer als die SURPASS-3 Studie. Sie schloss 475 Patientinnen und Patienten ein. Der primäre Endpunkt war ebenfalls die Reduktion des HbA1c zum Ende der Studienphase. Teilnehmende erhielten Dosierungen von 5 mg, 10 mg oder 15 mg Tirzepatid wöchentlich als subkutane Injektion. Diese Patientinnen und Patienten erhielten jedoch alle bereits eine Insulintherapie mit Insulin glargin, entweder in Kombination mit Metformin oder als Monotherapie. Der HbA1c lag zu Studienbeginn im Schnitt bei 8,31%, das Körpergewicht bei durchschnittlich 95,2 kg und die tägliche Insulingesamtdosis bei 37,6 Einheiten.
Auch hier konnte durch Tirzepatid der HbA1c signifikant reduziert werden: 97,4% der Teilnehmenden in den Tirzepatidgruppen hatten zum Ende der 40-wöchigen Studienphase einen HbA1c von kleiner 7%. Mit der höchsten Dosierung von 15 mg erreichten 62,4% der Teilnehmenden einen HbA1c von weniger als 5,7%. Auch die durchschnittlich am Tag benötigte Gesamtdosis an Insulin war in der Tirzepatidgruppe mit 37,6 Einheiten (5 mg), 35,7 Einheiten (10 mg) und 29,4 Einheiten (15 mg) deutlich niedriger als in der Placebogruppe mit 58,8 Einheiten. Das Körpergewicht sank um 5,4 kg (5 mg), 7,5 kg (10 mg) und 8,8 kg (15 mg) in den Tirzepatidgruppen und stieg um durchschnittlich 1,6 kg in der Placebogruppe.

Hypoglykämien (Blutzuckerwert <54 mg/dL) traten bei 15,5% der Teilnehmenden in der 5 mg-Gruppe, 19,3% in der 10 mg-Gruppe und 14,2% in der 15 mg-Gruppe auf. Im Vergleich dazu erlitten 12,5% in der Placebogruppe eine Hypoglykämie.

Fazit

Tirzepatid könnte als GIP/GLP-1 Rezeptoragonist eine neue duale Form einläutender Inkretin-basierte Therapie für Diabetes mellitus Typ 2 einläuten. Der Wirkstoff konnte in mehreren klinischen Studien sowohl den HbA1c als auch das Körpergewicht von Patientinnen und Patienten mit T2DM signifikant reduzieren.

Autor:
Stand:
21.07.2021
Quelle:

Coskun T, Sloop KW, Loghin C. Et al. LY3298175, a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist for the treatment of type 2 diabetes mellitus: from discovery to clinical proof of concept. Mol Metab. 2018; 18:3-14. DOI: 10.1016/j.molmet.2018.09.009

Frias JP, Nauck MA, Van J, et al. Efficacy and safety of LY3298176, a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist, in patients with type 2 diabetes: a randomised, placebo-controlled and active comparator-controlled phase 2 trial. Lancet 2018; 392:2180-93. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)32260-8

Frias JP, Nauck MA, Van J, et al. Efficacy and tolerability of Tirzepatide, a dual glucose-dependent insulinotropic peptide and glucagon-like peptide-1 receptor agonist in patients with type 2 diabetes: a 12-week, randomized, double-blind, placebo-controlled study to evaluate different dose-escalation regimens. Diabetes Obes Metab. 2020; 22(6):938-46. DOI: 10.1111/dom.13979

Eli Lilly and Company: Pressemitteilung - Tirzepatide signifianctly reduced A1C and body weight in people with type 2 diabetes in two phase 3 trials from Lilly’s SURPASS program. vom 17. Februar 2021 [Zuletzt aufgerufen am 20. Juli 2021]

Min T., Bain SC. The role of Tirzepatide, dual GIP and GLP-1 receptor agonist, in the management of type 2 diabetes: the SURPASS clinical trials. Diabetes Therapy, 2021; 12, 143–157. DOI: 10.1007/s13300-020-00981-0

Ohwaki K, Furihata K, Mimura M, Oura T, Imaoka T. 1024-P: effect of Tirzepatide, a dual GIP and GLP-1 receptor agonist, on glymeic control and body weight in Japanese patients with T2DM. Diabetes, 2019; 68 (Supplement 1). DOI: 10.2337/db19-1024-P

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