Cytotec Berichterstattung – gefährliche Verunsicherung

In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe wird die Berichterstattung zum Einsatz von Cytotec in der Geburtshilfe als gefährliche Verunsicherung der Schwangeren und der Fachkräfte kritisiert.

Schwangere Wehenschreiber

Hintergrund

In der vergangenen Woche berichteten viele Medien über den Einsatz von Cytotec in der Geburtshilfe. Darunter auch die Tagesschau, die mit der reißerischen Überschrift „Kleine Tablette, großes Risiko“ vor dem Einsatz des Medikamentes bei Schwangeren warnt. Bei der Berichterstattung entstand schnell der Eindruck, dass die Anwendung ohne jegliche Evidenz erfolge und Ärzte das Medikament leichtsinnig einsetzen würden. In anderen Meldungen ist sogar von einem „Skandal“ die Rede.

Nun äußerte sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) zu der Berichterstattung über „Cytotec zur Geburtseinleitung“.

Was ist Cytotec?

Cytotec mit dem Wirkstoff Misoprostol ist ein Medikament, das zum Schutz der Magenschleimhaut zugelassen wurde. Es handelt sich um ein Prostaglandin-E1-Analogon, das neben seiner Wirkung auf die Magen- und Zwölffingerdarmschleimhaut auch zu Kontraktionen des Myometriums und einer Entspannung des Gebärmutterhalses führt. Als Folge öffnet sich der Gebärmutterhals und die Geburt wird eingeleitet. Das Medikament ist in Deutschland jedoch nicht zur Geburtseinleitung zugelassen und darf daher nur im „Off-Label-Use“ hierfür angewendet werden.

Evidenz vorhanden

Laut der DGGG ist der Wirkstoff Misoprostol - entgegen der Berichterstattung - zur Geburtseinleitung bei Experten der Geburtshilfe nicht umstritten, weshalb fast alle Perinatalzentren höchster Ordnung den Wirkstoff verwenden. Es wird allerdings nicht Cytotec verwendet, sondern ein Misoprostol-Präparat in geringerer Dosierung. In der Stellungnahme heißt es weiter, dass die Behauptung, dass sich die Ärzte hierbei lediglich auf „Erfahrungswerte und Anwendungsbeobachtungen stützen“, schlichtweg falsch sei. Mittlerweile gebe es mehr als 80 randomisiert-kontrollierte Studien zur Verwendung von oralem Misoprostol zur Geburtseinleitung und einige randomisiert-kontrollierte Studien zur vaginalen Applikation. Misoprostol sei das effektivste Medikament zur Geburtseinleitung und führt vor allem bei der oralen Anwendung zu weniger Kaiserschnitten als mit anderen Medikamenten (Dinoproston, Oxytocin), so die DGGG.

Komplikationen werden erfasst

Laut der Medienberichte hätten die US-amerikanische und die französische Gesundheitsbehörde schon lange vor Risiken gewarnt und auf eine schlechte Studienlage verwiesen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sei über viele der recherchierten Fälle gar nicht informiert worden. Die DGGG entgegnet hierzu, dass Komplikationen wie mütterliche und kindliche Todesfälle sowie peripartale Morbidität, entgegen der Behauptungen der Berichterstattungen sehr wohl im Rahmen der Qualitätserhebung erfasst und an das IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) weitergeleitet werden.

Wann darf Misoprostol nicht angewendet werden?

In den Medien war von vielen mütterlichen Todesfällen und mehreren verstorbenen Babys die Rede. Laut Stellungnahme handle es sich hierbei um Einzelfälle, die vor allem Geburten betreffen, bei denen im Vorfeld eine Operation der Gebärmutter (z. B. Kaiserschnitt, Entfernung von Myomen oder Endometriose) erfolgte. Hier bestünde unabhängig von einer Geburtseinleitung immer das Risiko, dass es zu einer Uterusruptur mit entsprechend erhöhtem Risiko für Mutter und Kind kommen kann. Unter diesen Gegebenheiten darf Misoprostol nicht zur Geburtseinleitung angewendet werden, was seit vielen Jahren auch bekannt sei und im klinischen Alltag beachtet werden muss. Prostaglandin-Präparate wie Misoprostol und Dinoproston dürfen außerdem nicht bei Wehentätigkeit gegeben werden, da dies zu einer Überstimulationen („Wehenstürmen“) führen kann.

Off-Label-Einsatz bei Schwangeren und Kindern üblich

Da Kinder und Schwangere für fast alle Zulassungsstudien ausgeschlossen werden, ist es in der Geburtshilfe und Kinderheilkunde üblich, dass Medikamente überwiegend off-label angewendet werden.

Die DGGG kritisiert, dass in der Berichterstattung nicht erwähnt wurde, dass Misoprostol in anderen Ländern zur Geburtseinleitung zugelassen ist (Angusta® oder Vagiprost®). Bis zum letzten Jahr gab es mit Misodel® sogar ein zugelassenes Misoprostol-Präparat zur Geburtseinleitung in Deutschland und Ende 2020 soll in Deutschland mit der Zulassung von Angusta® gestartet werden.

Fazit

Bei allem Verständnis für die Emotionalität, mit der das Thema Geburt behaftet ist, ist es zeitgleich wichtig eine gewisse Rationalität walten zu lassen. Gewiss müssen Themen, die auch von ARD und ZDF aufgezeigt wurden, aufgearbeitet werden: Wie die angeblich weit verbreitete Überdosierung des Wirkstoffs oder die vermeintlich oft nicht ausreichende Aufklärung der Schwangeren über Nutzen und Risiken. Die übertriebene düstere Darstellung eines wichtigen geburtseinleitenden Medikamentes wie Misoprostol ist jedoch so nicht richtig.

So urteilt auch die DGGG: „Angesichts dieser ganzen Datenlage sind wir irritiert über die aktuelle einseitige Berichterstattung, die zu einer unnötigen und gefährlichen Verunsicherung der Schwangeren und der in die Betreuung der Schwangeren eingebundenen Fachkräfte führt(e)“.

Auch Cochrane Deutschland äußert sich zu den Berichten und schreibt: „Der in den Beiträgen entstehende Eindruck, dass es zum Einsatz von Misoprostol kaum brauchbare Studiendaten gebe, ist aus unserer Sicht so nicht richtig, auch wenn eine noch breitere Datenbasis sicher wünschenswert wäre. Im Sinne einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung würde sich Cochrane Deutschland wünschen, dass in der Berichterstattung zukünftig mehr auf die tatsächliche Evidenzlage eingegangen wird.“

Autor:
Stand:
19.02.2020
Quelle:
  1. Cochrane Library https://idw-online.de/de/news731529
     
  2. Stellungnahme zur Berichterstattung über „Cytotec zur Geburtseinleitung, Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.
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