Schwangere mit Diabetes in der COVID-19-Pandemie

In einer aktuellen Publikation stellen zwei Experten Vorschläge für temporäre Änderungen der Empfehlungen zur Diagnostik und Betreuung Schwangerer mit Diabetes unter Bedingungen der COVID-19-Pandemie vor.

Schwangere COVID-19

Hintergrund

Der Anteil an Frauen mit Diabetes an allen Geburten in Deutschland kann aktuell auf 1% präexistenten Diabetes mellitus (Typ 1 [T1D] und Typ 2 [T2D]) sowie 6 bis 7% Gestationsdiabetes mellitus (GDM) geschätzt werden. Das sind etwa 63.000 Fälle pro Jahr.

Im Mai 2020 publizierte Dr. Helmut Kleinwechter von der Diabetes-Schwerpunktpraxis und dem Schulungszentrum im Diabetologikum Kiel, eine kurze Übersicht zu den aktuellen Erkenntnissen zur Coronaviruserkrankung 2019 (coronavirus disease [COVID-19) bei Schwangeren [1]. Mit Stand 30.03.2020 waren 116 Fälle von infizierten Schwangeren bekannt.

Daraus ergaben sich die folgenden Erkenntnisse:

  • Schwangere stellen für eine Infektion mit dem hochkontagiösen SARS CoV-2 keine besondere Risikogruppe dar.
  • Die bisherigen Fälle bei Schwangeren verliefen mild bis mittelschwer, nur in ein Fall wurde bislang maschinell beatmet.
  • Es gibt keine definitiven Beweise für eine intrauterine Infektion des Kindes (vertikale Transmission) und keinen Nachweis für einen Virustransfer in und durch die Muttermilch.
  • Postnatale Infektionen von Neugeborenen einer infizierten Mutter sind belegt.
  • Bei Diabetes als Komorbidität können adipöse Frauen mit T2D, auch Frauen mit GDM, und weiteren Komorbiditäten, wie Bluthochdruck oder Schlafapnoe-Syndrom, und Frauen mit länger bestehendem T1D, Folgekomplikationen und Neigung zu Ketoazidosen als potenziell besonders gefährdet angesehen werden.

Kleinwechter leitete folgende Empfehlungen ab:

  • Selbstmonitoring der kapillaren Blutglukosewerte ist der Goldstandard bei Schwangeren.
  • Bei Verwendung subkutaner Glukosesensoren sollte die „time in range“ (TIR) > 70% in dem Bereich 63 - 140 mg/dl (3,5 - 7,8 mmol/l) so früh wie möglich erreicht werden.
  • Bei präexistentem Diabetes besteht bei Kindern mit einer Wachstumsrestriktion ein hohes Risiko für Totgeburten.
  • Mangels nachgewiesener Verbesserung relevanter Endpunkte sollten pharmakologische Therapien bei Schwangeren mit frühem GDM < 24 + 0 Schwangerschaftswochen besonders kritisch abgewogen werden.
  • Präkonzeptionell adipöse Frauen sollten bis zur Geburt nicht mehr als 6 kg zunehmen.
  • Nach bariatrisch-metabolischer Chirurgie bestehen neben Vorteilen für die Mütter erhöhte Risiken für Neugeborene, zum Beispiel eine erhöhte Rate an für ihr Gestationsalter kleinen Säuglingen nach Roux-en-Y-Magenbypass.

Neue Erkenntnisse

In einem aktuell publizierten Addendum beschreiben der Heftherausgeber Werner Scherbaum vom Universitätsklinikum Düsseldorf und Autor Kleinwechter die neuen, weltweit an großen Zahlen infizierter Schwangerer gesammelten Erkenntnisse (Stichtag 31.07.2020) und legen Vorschläge für eine temporäre Änderung der Diagnostik und Betreuung von Schwangeren mit Diabetes vor [2].

Inzwischen dürfen folgende Aspekte als gut belegt angesehen werden:

  • Bei Schwangeren verläuft COVID-19 oft schwerer als bei Nichtschwangeren, und die Mortalität ist höher.
  • Es wurde der schlüssige Beweis einer transplazentaren Infektion des Fetus mit SARS-CoV-2 erbracht.
  • Adipositas und Diabetes sind etablierte Risikofaktoren für eine Infektion mit SARS-CoV-2 und schwerere Verläufe.
  • Schwangere mit Diabetes sind bei der allgemein nach den Leitlinien der DDG (Deutsche Diabetes-Gesellschaft) empfohlenen Diagnostik und Betreuung wegen der hierbei notwendigen häufigen Arztbesuche (Anreise, längere Kontaktzeiten in der Praxis bzw. Klinik) einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt.

Neue Empfehlungen

Prävention

Schwangere mit bekanntem Diabetes sollten nachdrücklich auf folgende Punkte hingewiesen werden:

  • das Abstandhalten zu Mitmenschen
  • das Meiden von Menschenansammlungen
  • das konsequente Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit
  • häufiges Händewaschen
  • das Einhalten der anderen Hygieneregeln entsprechend den offiziellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Vorgehen bei Verdacht auf COVID-19

Schwangere mit Diabetes sollten über folgende Punkte aufgeklärt werden:

  • Zum Schutz von Mutter und Kind sollten sich Schwangere bei verdächtigen Symptomen wie Fieber, Husten, Geruchs- oder Geschmacksverlust so schnell wie möglich mit einem Nasen-/Rachenabstrich testen lassen und parallel dazu die hausärztliche und gynäkologische Praxis informieren.
  • Bei Atembeschwerden sollten sie sich unmittelbar in die Klinik einweisen lassen oder direkt dorthin begeben.

Bei sozial Schwachen und bei Migranten sind einfache plakative Hinweise wie zum Beispiel Informationstafeln besonders wichtig.

 Änderung der Versorgung auf überwiegend telemedizinische Betreuung

  • Schwangere mit präexistentem T1D oder T2D sollten bis zum Ende der Pandemie überwiegend telemedizinisch betreut werden, sofern ein persönlicher Arztkontakt nicht zwingend erforderlich ist.

Diagnostik des GDM

  • Für die Diagnostik auf GDM im üblichen Zeitfenster 24 + 0 - 27 + 6 SSW kann in vielen Fällen auf einen oralen Glukosetoleranztest über 2 Stunden mit 75 g Glukose verzichtet werden, da sowieso mehr als die Hälfe aller GDM-Fälle nur mit dem Nüchternplasmaglukosewert diagnostiziert wird.
  • Für die Dauer der Pandemie sollte nach Einschätzung der Autoren der 50-g-Screeningtest ausgesetzt werden.
  • Die Diagnostik auf eine bisher unerkannten manifesten Diabetes in der Frühschwangerschaft sollte nach Einschätzung der Autoren auf wenige Situationen mit hohem Risiko, wie zum Beispiel Adipositas, Zustand nach GDM mit Insulintherapie, Alter ≥ 40 Jahre, Diabetes der Eltern oder Vorliegen diabetesassoziierter Symptome, beschränkt werden.
  • Auf die Diagnostik eines frühen GDM kann verzichtet werden.

Nachsorge bei GDM

  • Für die meisten Schwangeren kann im Rahmen der Nachsorge nach GDM bis zum Ende der Pandemie auf den oralen Glukosetoleranztest über 2 Stunden verzichtet werden.
  • Bei Verdacht auf einen manifesten Diabetes, insbesondere beim Aufreten diabetesassoziierter Symptome, können die Nüchternplasmaglukosespiegel, eine Gelegenheitsplasmaglukosebestimmung und der HbA1c-Wert (HbA1c: Glykohämoglobin Typ A1c) gemäß den Diagnostik-Empfehlungen der DDG zum Einsatz kommen. Eine neue, evidenzbasierte Alternative wäre das Angebot an die Mütter, den oralen Glukosetoleranztest am zweiten postpartalen Tag noch in der Geburtsklinik zu absolvieren.
  • Das Zeitfenster für die Nachsorge sollte vorübergehend auf sechs Wochen bis sechs Monate erweitert werden.
Quelle:
  1. Kleinwechter (2020): Diabetes und Schwangerschaft – Update 2020. Diabetologe, DOI: 10.1007/s11428-020-00629-4
  2. Kleinwechter und Scherbaum (2020): Addendum zu: Diabetes und Schwangerschaft – Update 2020. Diabetologe, DOI: 10.1007/s11428-020-00669-w
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