
Düstere Prognosen
„Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekommen nicht die Beachtung, nicht die Therapie und nicht die präventiven Maßnahmen, die sie in Anbetracht der so düsteren Prognose, die diese Patienten haben, verdient hätten“, erklärte Prof. Dr. Stephan Baldus vom Herzzentrum der Universität zu Köln in seinem Vortrag „Entwicklung einer Nationalen Herz-Kreislaufstrategie (NHKS)“ im Rahmen der Pressekonferenz „Highlights aus der Kardiologie - Was jetzt für die Patientenversorgung wichtig ist“ anlässlich der DGK Herztage vom 29.09. bis 1.10.2022 in Bonn und Digital [1].
Lasst Zahlen sprechen
Dabei stellt sich die Prognose für die kardiovaskulären Krankheiten nicht nur für den einzelnen Patienten, sondern auch gesamtgesellschaftlich düster dar, wie Baldus anhand von Statistiken aufzeigte. Nach den Erhebungen des Statistischen Bundeamtes führen kardiovaskuläre Krankheiten mit 34,3% der Todesfälle nach wie vor die Liste der häufigsten Todesursachen in Deutschland 2020 an. Die bösartigen Neubildungen mit 23,5% und die Krankheiten des Atmungsapparats mit 6,2% folgen mit Abstand.
Auch in Zukunft werden die Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit hoher Wahrscheinlichkeit Spitzenplätze hinsichtlich der Häufigkeit belegen. Gegenüber dem Jahr 2007 prognostiziert das Portal Statista für das Jahr 2050 bei den Herzinfarkten einen Anstieg um 75%. Die Zahl der Schlaganfälle soll gegenüber 2007 im Jahr 2050 um 62% ansteigen. Dagegen sehen die Steigerungsprognosen von Diabetes mellitus mit 22 % und Krebs mit 27 % von 2007 bis 2050 geradezu moderat aus [2,3].
Früherkennungsmanko in der Kardiologie
Die Ursachen für die erwarteten ansteigende Zahl der kardiovaskulären Erkrankungen liegen in der demographischen Entwicklung: Die Zahl der Personen ≥67 Jahre betrug im Jahr 2020 16 Millionen und wird im Jahr 2035 auf 20 Millionen ansteigen. Es wäre also höchste Zeit sowohl auf politscher Ebene als auch auf Seiten der Fachgesellschaften präventive Maßnahmen zu planen. Erfolgreiche Beispiele gibt es, wie zum Beispiel die etablierten Krebs-Früherkennungsprogramme.
Baldus beklagte, dass solche Screening-Programme für kardiovaskuläre Erkrankungen fehlen, obwohl sie möglicherweise noch effektiver als die Krebsfrüherkennung wären, weil, wie er erklärte, die „Number to screen“ um einen Todesfall im 5-Jahreszeitraum zu verhindern bei Screenings auf Hypercholesterinämie und Hypertonie um ein Vielfaches kleiner wäre als bei entsprechenden Screenings auf Kolon- und Mammakarzinom.
Ziele der Nationalen Herz-Kreislauf-Strategie
Angesichts dieser Lage haben die kardiologischen Fachgesellschaften ein Thesenpapier zu einer Nationalen Herz-Kreislauf-Strategie (NHKS) verfasst. Die NHKS soll folgende Ziele verfolgen:
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Netzwerke über Fächergrenzen hinweg
- Versorgung: Digitalisierung und intersektionale Zusammenarbeit
- Forschung: Intensivierung von Grundlagen- und translationaler Forschung
- Kommunikation: Nationale Initiative Prävention/Früherkennung
Um die zwei ersten Projekte im Rahmen der NHKS anzuschieben, stellt die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie aus ihrem eigenen Budget einen siebenstelligen Betrag zur Verfügung. Eines dieser Projekte, nämlich die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) dient der Früherkennung von Herz-Kreislaufrisiken bei Kindern.
Familiäre Hypercholesterinämie
Die Familiäre Hypercholesterinämie ist mit einer Prävalenz von 1/250 -1/500 eine der häufigsten autosomal-dominanten Erbkrankheiten und beinhaltet über die Entwicklung einer Arteriosklerose ein hohes kardiovaskuläres Risiko. In einer Metaanalyse von 104 Studien mit insgesamt 10,9 Millionen Teilnehmern wurde bei einer Prävalenz der FH 1/313 ein 10x erhöhtes Risiko für eine Koronare Herzerkrankung (KHK) der Betroffenen ermittelt. Die Betroffenen erleiden häufig bereits im frühen Erwachsenenalter ihr erstes ischämische Ereignis. [4]
Das Screening Projekt Vroni
Das könnte vermieden werden, wenn die Betroffenen bereits im Kindes- oder Jugendalter mit Cholesterinsenkern behandelt würden. Doch dazu müsste die FH frühzeitig erkannt werden. Tatsächlich gehört Deutschland im europäischen Vergleich zu den Schlusslichtern in Bezug auf die Diagnose der FH. Daher wurde im Rahmen der NHKS in Bayern ein flächendeckendes Screening auf Familiäre Hypercholesterinämie bei Kindern unter dem Namen Vroni etabliert.
In einem ersten Schritt wird im Rahmen der üblichen Vorsorgeuntersuchung das Blut der Kinder auf erhöhte Cholesterinwerte untersucht. Bei erhöhten Werten wird eine genetische Untersuchung durchgeführt. Kinder, bei denen die genetische Untersuchung eine FH ergibt, werden dann zur weiteren Diagnostik und Therapie in die Kinderkardiologie überwiesen.
Früherkennung der asymptomatischen Herzinsuffizienz
Das zweite Projekt der NHKS befasst sich mit der Früherkennung der asymptomatischen Herzinsuffizienz. Das Projekt beinhaltet ein Screening auf asymptomatische Herzinsuffizienz mittels NT-proBNP-Messung bei Patienten >60 Jahre und Patienten >50 Jahre mit einem zusätzlichen Risikofaktor mit einem Follow up nach 6 und 12 Monaten. Derzeit ist das Projekt auf Baden-Württemberg, Saarland und Nordrhein Westfalen und 10.00 Versicherte begrenzt. Im Rahmen des Projektes können Hausärzte den Marker kostenlos bei einer ohnehin geplanten Blutuntersuchung bestimmen. Falls der NT-proBNP erhöht ist, wird den Patienten ein entsprechendes Diagnostik- und Therapie-Angebot gemacht.
Fazit
Die Nationale Herz-Kreislauf-Strategie steht unter der Schirmherrschaft des Bundesgesundheitsministeriums. Mit den beiden angelaufenen Projekten trägt sie entscheidend bei zur Optimierung der Prävention und Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie und der asymptomatischen Herzinsuffizienz bei. Damit können nicht nur vorzeitige Todesfälle, sondern auch zahlreiche in Krankheit verbrachte Lebensjahre vermieden und so eine gute Lebensqualität der Betroffenen länger erhalten werden.