Polyzystische Nierenerkrankung

Polyzystische Nierenerkrankungen sind ein Sammelbegriff für vorrangig genetisch bedingte Zystennieren. Dazu zählen unter anderem die ADPKD und die ARPKD.

Polyzystische Nierenerkrankung

Definition

Die polyzystische Nierenerkrankung (polycystic kidney disease [PKD]) ist ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen, die die Nieren betreffen und als gemeinsames Merkmal Zystennieren haben.

Sie sind alle chronisch. Es kann nur eine Niere oder beide betroffen sein. Der Großteil der polyzystischen Nierenerkrankungen ist vererbt, es gibt jedoch auch nicht genetisch verursachte PKDs.

Klassifiziert werden die Erkrankungen entweder anhand der älteren Potter-Klassifikation oder nach genetisch bedingten und nicht genetisch bedingten PKDs. Was genau zu den polyzystischen Nierenerkrankungen zählt, wird in der Fachliteratur unterschiedlich definiert. Dieser Artikel fokussiert sich auf die zwei großen polyzystischen Nierenerkrankungen, die autosomal rezessiv vererbbare polyzystische Nierenerkrankungen (ARPKD) und die autosomal dominant vererbbare polyzystische Nierenerkrankungen (ADPKD). Der Vollständigkeit halber werden hier alle anderen polyzystischen Erkrankungen, die, je nach Klassifikation ebenfalls zu den PKDs gerechnet werden, aufgezählt:

Zu den genetischen Erkrankungen können auch gezählt werden:

  • (juvenile) Nephronophthise
  • medulläre zystische Erkrankungen
  • das kongenitale Nephrose-Syndrom
  • familiäre hypoplastische glomerulozystische Nierenerkrankungen
  • Fehlbildungssyndrome wie das Von-Hippel-Lindau-Syndrom oder die tuberöse Hirnsklerose

Nicht genetische polyzystische Nierenerkrankungen können weiter unterteilt werden in angeborene und erworbene Erkrankungen. Erworbene Erkrankungen sind einfache Nierenzysten und Zysten nach Dialyse. Zu den angeborenen nicht genetischen polyzystischen Nierenerkrankungen gehören je nach Definition:

  • Markschwammnieren
  • Nierendysplasien
  • Dysplasien als Folge einer Harntraktobstruktion
  • segmentale und fokale Dysplasien
  • multilokuläre Zysten, auch multilokuläres zystisches Nephrom genannt
  • Kelchzysten bzw. Kelchdivertikel

Die Potter-Klassifikation unterscheidet nach anatomischen Gegebenheiten und lässt genetische Komponenten außer Acht:

  • Potter I: autosomal rezessiv vererbbare polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)
  • Potter IIa: multizystische Nierendysplasie mit vergrößerter Niere
  • Potter IIb: mulizystische Nierendysplasie mit verkleinerter Niere
  • Potter II: autosomal dominant vererbbare polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)
  • Potter IV: zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts

Seltenere Formen, die sich in keiner der beiden Klassifikationen wiederfinden, sind das Bardet-Biedl-Syndrom, das Meckel-Gruber-Syndrom und das Jeune-Syndrom, bei denen bei allen ein syndromales Erscheinungsbild auftritt.

Epidemiologie

Polyzystische Nierenerkrankungen sind häufig. In den USA betreffen PKDs etwa 500.000 Menschen. Genaue Fallzahlen sind für Deutschland schwierig zu ermitteln, weil die Erkrankungen nicht meldepflichtig sind. Am häufigsten treten die ADPKD, die ARPKD und die Nephronophthisen auf.

Die ADPKD ist eine der häufigsten autosomal-dominant vererbten Erkrankungen. Weltweit hat sie eine Prävalenz von 1/400 bis 1/2.000 Menschen und ist verantwortlich für etwa 5-10% der Dialysefälle bei Erwachsenen. Männer und Frauen sind gleichhäufig betroffen. Bei etwa 30% der Fälle ist die Familienanamnese unauffällig. Die Inzidenz der ARPKD schwankt und liegt zwischen 1/6.000 bis 14.000 Geburten und 1/20.000 Kindern.

Ursachen

Die ADPKD und die ARPKD haben beide genetische Ursachen. Die ADPKD wird autosomal dominant vererbt. 85% der Fälle sind dem Typ ADPKD1 zu zuordnen. Dieser wird durch eine Mutation im Polycystic breakpoint Gene, dem PKD1-Gen 16q13.3, verursacht. Betroffen ist das Genprodukt Polyzystin 1. 15% der Patienten haben eine Mutation im PKD2-Gen 4q21-q23, dass für Polyzystin 2 kodiert.

Der ARPKD liegt ebenfalls eine Mutation zugrunde, allerdings im PKHD1-Gen 6p21.1-p12. Betroffen ist davon das Fibrozystin.

Pathogenese

Sowohl die ADPKD als auch die ARPKD sind genetische Erkrankungen. Bei der ADPKD sind zwei verschiedene Defekte hauptsächlich verantwortlich dafür, dass Zysten in den Nieren entstehen, PKD1 und PKD2. Sie kodieren für Polyzystin 1 und 2. Diese Genprodukte sind Membranproteine, die wichtig für Zell-Zell-Kontakte sind. Polyzystin 1 ist beteiligt an Membranjunctions, Tight Junctions, Desmosomen, fokalen Adhäsionen, apikalen Vesikeln und primären Cilien; Polyzystin 2 am endoplasmatischen Retikulum, der basolateralen Membran, den Lamellopodien, primären Cilien und mitotischen Spindeln. Sie kommen, grob gesagt, in allen Organen vor, in denen sich bei ADPKD Zysten bilden können.

Durch die Mutationen kommt es zu einer übermäßigen Bildung von Epithel im Sammelrohr. Zysten entstehen.

Die ARPKD wird ebenfalls durch einen Gendefekt ausgelöst. Im Gegensatz zur ADPKD wird dieser jedoch meist bereits vor der Geburt manifest. Hier wir übermäßig viel Epithel im Tubulus und im Sammelrohr der Nieren gebildet. Dadurch entstehen meist bereits vor der Geburt viele kleine Zysten. Die Nieren arbeiten intrauterin nicht ausreichend. Es wird zu wenig Fruchtwasser gebildet und der intrauterine Druck ist erhöht.

Symptome

Die ADPKD manifestiert sich meist erst im Erwachsenenalter. Die Symptome können vielfältig sein. Häufig ist die Hypertonie wegweisend. Dazu zählen:

  • Zysten in den Nieren und häufig auch der Leber. In ca. 10% der Fälle auch an Hirnbasisarterien (Hirnarterienaneurysma)
    ◦ selten Pankreas-, Milz, Ovarial- oder Hodenzysten
  • enale Hypertonie
  • Nierensteine
  • Rückenschmerzen
  • terminale Niereninsuffizienz
  • Harnwegsinfekte
  • Nierenabszess
  • Hämaturie (Blut im Urin) mit Erythrozyturie (rote Blutkörperchen im Urin)
  • Proteinurie (Eiweiße im Urin, die sich als schäumender Urin bemerkbar machen)
  • teilweise Flankenschmerz
  • Herzklappenfehler
  • arterielle Hypertonie
  • linksventrikuläre Hypertrophie
  • Dickdarmdivertikel
  • Hernien
  • Oligohydramnion in der Schwangerschaft

Die ARPKD wird meist bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter diagnostiziert. Zu den Symptomen zählen:

  • vergrößerte Nieren mit multiplen Zysten
  • Hämaturie (Blut im Urin)
  • Proteinurie (Eiweiße im Urin)
  • Leberzysten
  • Leberfibrose, häufig mit Leberinsuffizienz und portaler Hypertension (Bluthochdruck)
  • Herzinsuffizienz
  • ausladendes Abdomen
  • hochstehende Zwerchfelle
  • Lungenhypoplasie
  • respiratorische Insuffizienz mit Atemnot
  • Gesichtsdysplasien
  • Klumpfüße

Diagnostik

Kern der Diagnostik bei ADPKD und ARPKD sind die Anamnese und die Bildgebung. Der Fokus der Anamnese liegt besonders auf der Familienanamnese. 70% der Betroffenen haben eine positive Familienanamnese mit bereits erkrankten Angehörigen, nicht selten dialysepflichtig, nierentransplantiert oder an der Nierenerkrankung verstorben.

In der körperlichen Untersuchung fällt häufig der erhöhte Blutdruck auf, der über eine Langzeitblutdruckmessung verifiziert werden sollte. In der Labordiagnostik können die Nierenwerte auffällig sein, müssen jedoch besonders bei der ADPKD noch nicht auffällig sein.

Bildgebung

Die Sonographie ist der Goldstandard, um eine ADPKD oder eine ARPKD zu diagnostizieren. Bei der ADPKD zeigen sich vergrößerte Nieren mit vielen echofreien, unterschiedlich großen Raumforderungen, den multiplen Zysten. Häufig finden sich auch in der Leber Zysten, teilweise auch an Hirnbasisarterien. Bei Kindern reicht hier bereits eine Zyste bei positiver Familienanamnese, um den Anfangsverdacht zu stellen.

Die ARPKD beginnt bereits im Neugeborenen- oder Kindesalter. Im Ultraschall fällt hier eine diffus verstärkte Echogenität auf, die durch die fibröse Bekapselung der vielen kleinen Zysten verursacht wird.

Einzelne Zysten sind aufgrund der geringen Nierengröße häufig nicht erkennbar.

Liefert die Sonographie keine eindeutigen Ergebnisse, kann zusätzlich eine Computertomographie durchgeführt werden. Aufgrund der Strahlenbelastung sollte sie jedoch nur erfolgen, wenn sich daraus ein tatsächlicher Mehrwert ergibt. Im CT zeigen sich bei der ARPKD stark vergrößerte, scharf begrenzte Nieren. Das Parenchym ist hypodens. Auch die ADPKD weist stark vergrößerte Nieren auf. Die Zysten zeigen sich als hypodense Strukturen mit scharfer Begrenzung und unterschiedlicher Größe. Sind einzelne Zysten stärker verdichtet, spricht dies für Einblutungen.

Eine genetische Untersuchung ist nicht zwingend notwendig. Sowohl bei der ADPKD als auch bei der ARPKD sind die Klinik und die Bildgebung entscheidend. Tritt eine Häufung innerhalb einer Familie auf, sollte aber eine genetische Beratung erfolgen, auch um das Risiko anderer Familienmitglieder abschätzen zu können.

Therapie

Eine kausale Therapie für polyzystische Nierenerkrankungen gibt es nicht – sie sind nicht heilbar. Behandelt werden bei beiden Formen vorrangig die Symptome.

Im Zentrum steht unter anderem die richtige Einstellung des Bluthochdrucks (Hypertonie), um zu verhindern, dass andere Organe durch den Bluthochdruck geschädigt werden. Der Zielwert ist ein Blutdruck von maximal 120/80 mmHg. Fällt die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) unter 30 ml/min, gilt ein Zielwert von maximal 140/90 mmHg. Eingesetzt werden ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker.

Bei ADPKD kann Patienten mit einem hohen Progressionsrisiko ein selektiver Vasopressin-2-Rezeptor-Antagonist, das Tolvaptan, gegeben werden. Dies darf jedoch nur bei erhaltener Nierenfunktion eingesetzt werden und kann Nebenwirkungen ausprägen.

Substanzen, die die Nieren zusätzlich schädigen können, wie NSAR (Schmerzmittel wie Ibuprofen), sollten gemieden werden. Treten extrarenale Symptome und Manifestationen auf, werden diese spezifisch behandelt. Besonders Hirnarterienaneurysmen zählen dazu.

Bei terminaler Niereninsuffizienz bleibt die Dialyse die einzige Therapieoption. Gegebenenfalls kann auch eine Nierentransplantation in Erwägung gezogen werden.

Ein Teil der Therapie sind regelmäßige und lebenslange sonographische Verlaufskontrollen. Auch die Nierenparameter müssen regelmäßig bestimmt werden, um eine Verschlechterung frühzeitig zu bemerken.

Prognose

Die Lebenserwartung bei ARPKD liegt bei zehn Jahren, wenn die Erkrankung spät beginnt und adäquat und erfolgreich behandelt werden kann. Die Hälfte der Kinder verstirbt jedoch bereits im Neugeborenenalter an der Erkrankung.

Die ADPKD wird meist erst im Laufe des Lebens symptomatisch. Erste Krankheitszeichen treten zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr auf. 50% der Betroffenen erreichen das 70. Lebensjahr, ohne dialysepflichtig zu werden. Die andere Hälfte wird häufig innerhalb von 10 bis 20 Jahren, nachdem die ersten Symptome aufgetreten sind, dialysepflichtig. Treten vor dem 30. Lebensjahr Symptome auf, schreitet die Krankheit häufig schneller voran.

Prophylaxe

Um Folgeerkrankungen zu vermeiden und frühzeitig zu erkennen, wenn die Krankheit fortschreitet, sollten regelmäßige sonographische Verlaufskontrollen und Blutuntersuchungen mit Nierenparametern durchgeführt werden.

Hinweise

  • Die Klinik ist bei der ADPKD entscheidend. Eine genetische Untersuchung ist nicht zwingend notwendig, eine genetische Beratung gerade bei familiärer Häufung oder Kinderwunsch jedoch sinnvoll.
Autor:
Stand:
27.01.2020
Quelle:
  1. AMBOSS – Fachwissen für Mediziner. Polyzystische Nierenerkrankung. [Online] 21. August 2019 [aufgerufen am 14.12.2019]
  2. Braun J. Et al. Basislehrbuch Innere Medizin. 6. Auflage. Elsevier, München 2018.
  3. Herold G. und Mitarbeiter. Innere Medizin 2018. Gerd Herold, Köln 2018.
  4. Keller CK., Geberth SK. Praxis der Nephrologie. 3. Auflage. Springer, Heidelberg 2010.
  5. Manski D. Urologielehrbuch – Autosomal rezessive polyzystische Nierenerkrankungen (ARPKD). [Online] [aufgerufen am 13.12.2019]
  6. National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases. [Online] Januar 2017. [aufgerufen am 14.12.2019]
  7. Thüroff J.W. et al. Kinderurologie in Klinik und Praxis. Thieme, Stuttgart 2000.
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