
Seit Jahren schrecken Meldungen über multiresistente Keime Ärzte und Patienten. Vor allem Methicillin-resistente Streptokokken (MRSA) sind ein wachsendes Problem in Kliniken und Pflegeheimen. Allein im Jahr 2015 gab es in der EU rund 670.000 Infektionen durch multiresistente Erreger, an deren Folgen 33.000 Patienten starben [1].
Wirkstoff aus der Nasenflora
Dies hat die Antibiotikaforschung nach Jahren der Stagnation wieder aktiviert. Jedoch lassen die in letzter Zeit neu zugelassenen Antibiotika befürchten, dass sich gegen sie schnell neue Resistenzen bilden. Grund genug, sich nach anderen Wirkstoffen umzuschauen. Hier sind Tübinger Wissenschaftler fündig geworden: Sie konnten aus einem Bakterium der Nasenflora, Staphylococcus lugdunensis, das Peptid Lugdunin isolieren.
Transmembranspannung wird aufgehoben
Dieses Peptid untersuchten die Tübinger Wissenschaftler in einem Team mit Kollegen der Universität Göttingen sowie dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung weiter und kamen hinter den antibiotischen Wirkmechanismus, der sich von klassischen Antibiotika unterscheidet: Für Bakterienzellen ist es wichtig, dass sich die Konzentrationen elektrisch geladener Teilchen im Inneren der Zelle und im umgebenden Milieu unterscheiden. Lugdunin ist in der Lage, positiv geladene Wasserstoffionen durch die Membran zu transportieren und den Ladungsunterschied zwischen Zellinnerem und Zelläußerem aufzuheben. Dadurch kommt es zu einer Art Energiestillstand, die Bakterienzelle stirbt [2].
Präklinische Resistenzforschung
Bisher stellten sich bei allen neu zugelassenen Antibiotika über kurz oder lang Resistenzen ein. Daher wollte das Team vor dem Einstieg in die klinische Forschung wissen, wie hoch das Potential von Lugdunin ist, Resistenzen zu bilden. Dazu hat das Forschungsteam eine Vielzahl von Abkömmlingen des Lugdunins hergestellt, die sie Fibupeptide nennen. Nach und nach wurden Teile der chemischen Struktur verändert und jeweils die antibiotische Aktivität bestimmt.
Tests mit strukturellem Spiegelbild
Darüber hinaus entdeckten die Forscher, dass es keinen Unterschied in der antibiotischen Wirkung zwischen dem ursprünglichen Molekül und seinem Spiegelbild gibt. Somit konnte belegt werden, dass die Wirksamkeit von Lugdunin nicht auf einer auf einer räumlichen Interaktion beruht, was eine schnelle Resistenzentwicklung erschwert. Resistenzen gegenüber Lugdunin konnten in Laborversuchen bisher nicht erzeugt werden [3].
Weshalb „Fibupeptide“?
Die chemische Struktur des Lugdunins besteht aus einem Ring von Aminosäurebausteinen (Peptidstruktur), in den die charakteristische ringförmige Schwefel-Stickstoffverbindung Thiazolidin eingebaut ist. Dieser Thiazolidinring ist für die antibakterielle Wirkung unverzichtbar. Da im Strukturmodell dieser Ring wie einen Schmuck-Schnalle (lat. Fibula) aussieht, gaben die Forscher ihrer neuen Wirkstoffklasse den Namen Fibupeptide [2].
Klinische Studien erforderlich
Ob Lugdunin und verwandte Stoffe in Zukunft wirksam und sicher zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Keimen eingesetzt werden können, wollen die beteiligten Forscherinnen und Forscher unter anderem im Rahmen des seit Anfang 2019 laufenden Tübinger Exzellenzclusters „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ herausfinden.