Tessiner Apotheken vergeben abgezählte Antibiotika

Apotheker aus dem Schweizer Kanton Tessin geben ihren Kunden im Rahmen einer Pilotstudie nur noch so viele Antibiotika-Tabletten mit, wie laut ärztlicher Verordnung tatsächlich eingenommen werden sollten. Ziel dieser Maßnahme ist die Verringerung von Resistenzentwicklungen.

Blister

Im Südschweizer Kanton Tessin startete auf Initiative des Kantonsapothekers Giovan Maria Zanini und nach Zustimmung des Bundes ein Pilotprojekt, um die immer größere Gefahr von Erreger-Resistenzen gegen Antibiotika einzudämmen. Bei der freiwilligen Aktion geben Tessiner Kantonsapotheker ihren Kunden nur noch exakt so viele Tabletten des rezeptierten Antibiotikums mit, dass diese genau für die Einnahmedauer der vom Arzt verordneten Anwendung ausreichen. Dafür werden der Packung die übrigen Tabletten entnommen und in der Apotheke aufbewahrt. Verlängert der Arzt die Anwendungsdauer, erhält der Patient die restlichen Tabletten. Nach abgeschlossener Behandlung wird die zurück behaltene Menge verworfen.

Hintergrund der Aktion sind vermehrte Resistenzen

Die Aktion zur Einzelausgabe von antibiotisch wirksamen Tabletten hat einen bedeutsamen Hintergrund: Immer mehr Krankheitserreger bilden Resistenzen gegen gängige Antibiotika. Neben einer mitunter zu raschen und unsachgemäßen ärztlichen Verordnung kann auch eine falsche, patienteninitiierte Einnahme dazu führen, dass Bakterien resistent gegen Antibiotika werden. In diesem Zusammenhang bergen übrig gebliebene Antibiotika-Tabletten ein großes Risiko. Werden beispielsweise nur sechs Tabletten aus einer Zehner-Schachtel eingenommen, verbleiben vier Tabletten in der Packung. Diese werden häufig nicht – wie empfohlen – entsorgt, sondern vielmehr bei den nächsten, ähnlichen gesundheitlichen Beschwerden in Eigeninitiative und ohne ärztlichen Rat eingenommen. Mitunter werden die Tabletten auch an Kinder, Freunde oder Nachbarn weitergegeben, ohne jedoch die Folgen zu kennen. Diese Situationen können verhindert werden, wenn Patienten aus der Apotheke nur so viele Tabletten bekommen, wie sie auch tatsächlich benötigen.

Einzelentnahmen im Beispiel

Ein Arzt verordnet seinem Patienten ein Antibiotikum für beispielsweise drei Tage. Dieses soll zwei Mal täglich eingenommen werden. Der Patient benötigt also effektiv sechs Tabletten. Eine solche Packungsgröße ist aber nicht im Handel erhältlich. Also entnimmt der Kantonsapotheker im Rahmen des Pilotprojekts die vier übrigen Tabletten. Der Patient bekommt die rezeptierte Antibiotikumdosis, bezahlt aber die gesamte Packung. Die restlichen Tabletten werden in der Apotheke für den Fall verwahrt, dass die Behandlung verlängert werden muss. Dann holt der Patient diese mit einer Folgeverordnung ab. Sobald fest steht, dass die Therapie erfolgreich abgeschlossen ist, werden die zurückbehaltenen Tabletten entsorgt.

Irritierte Patienten zum Umdenken anregen

Die an der Aktion teilnehmenden Apotheken haben bislang die Erfahrung gemacht, dass die meisten Patienten mit dem Vorgehen zufrieden sind. Nur wenige fordern den Inhalt der ganzen Packung ein – mit der Begründung, dass diese von ihnen oder ihrer Krankenkassen auch tatsächlich bezahlt werden müssen. Zanini ist überzeugt, dass auch die Skeptiker den Sinn der Maßnahme verstehen, sobald sie den Hintergrund erklärt bekommen. Wird die Denkweise ein wenig verändert, sieht es folgendermaßen aus: Der Arzt hat seinem Patienten eine antibiotische Behandlung mit einer definierten Dosis über einen festgelegten Zeitraum verschrieben, nicht aber eine Packung des Arzneimittels. Und für die verordnete Behandlung bekommt der Patient auch die dafür erforderlichen Tabletten, also für die vollständige Therapie. Da die überschüssigen Tabletten entsorgt und nicht weiterverkauft werden, hat der Apotheker keinen zusätzlichen Nutzen oder Verdienst daran. Es werde lediglich dafür gesorgt, dass die übrigen Tabletten nicht anderweitig eingenommen oder an Dritte weitergegeben werden.

Kleinere Packungen als Lösung?

Möglicherweise wären auch kleinere Packungen mit einer geringen Anzahl an Tabletten eine Möglichkeit, nur so viele Tabletten auszugeben, wie benötigt werden. Zanini zufolge sind für etwa die Hälfte der Antibiotika solche Packungen erhältlich. Für die andere Hälfte gibt es aber zu viele Einsatz- und Dosiermöglichkeiten. Da Antibiotika aber zu den günstigen Arzneimitteln gehören, ist es für  Pharmafirmen kaum rentabel, ein Antibiotikum in jeder Packungsgröße anzubieten.

Pilotversuch erfolgversprechend?

Aktuell bleibt abzuwarten, ob das Pilotprojekt in der Südschweiz den Erwartungen der Initiatoren entspricht. Erst nach der Testphase ist klar, ob der vom Parlament in Auftrag gegebene Versuch, das Problem von Antibiotikaresistenzen einzudämmen, erfolgreich gelang. Zudem wird untersucht, wie sich die Teilabgabe auf Qualität, Sicherheit, Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit auswirkt.

Eine französische Studie gibt jedoch berechtigten Anlass zur Hoffnung. Die Ergebnisse zeigen einen mehrfachen potentiellen Nutzen der Einzelabgabe von 14 untersuchten Antibiotika. Die Teilabgabe verringert demnach nicht nur Antibiotikaresistenzen, sondern hilft auch gegen Arzneimittelverschwendung und Fehlgebrauch von Antibiotika. Überraschenderweise verbesserte sich im Modellversuch auch die Patienten-Compliance. So nahmen in der Kontrollgruppe (ohne Auseinzelung) nur zwei Drittel der Patienten die komplette verschriebene Dosis des rezeptierten Antibiotikums ein. In der Gruppe mit den abgezählten Tabletten lag der Anteil bei über 90 Prozent.

Autor:
Stand:
21.05.2019
Quelle:
  1. Schweizer Nationalrat. Motion 17.3942: Einzelverkauf von Medikamenten. Wagen wir den Versuch. eingereicht von Tornare Manuel. 29. September 2017. (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20173942).
  2. Schweizer Nationalrat. Amtliches Bulletin der Bundesversammlung. 11. Tagung der 50. Amtsdauer. Wintersession 2017. (https://www.parlament.ch/centers/documents/it/04-NR_5011_Annex_I.pdf).
     
  3. Fueter Oliver. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Kampf gegen Resistenzen – Tessiner Apotheken geben Antibiotika nur abgezählt mit. 03. April 2019. (https://www.srf.ch/news/schweiz/kampf-gegen-resistenzen-tessiner-apotheken-geben-antibiotika-nur-abgezaehlt-mit).
     
  4. Réponse a tout. Lancement de la vente à l’unité des médicaments. Pour la première fois en France, des pharmacies vont tester la vente d'antibiotiques à l'unité. Le but? Eviter la surconsommation de médicaments. 16. September 2014. (http://www.reponseatout.com/lancement-de-la-vente-a-lunite-des-medicaments/)
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