
Webinar “Biosimilars: Optimising the Sustainability of Healthcare Systems”
In einem Webinar am 01.07.2021 stellte Murray Aitken, Senior Vice President of IQVIA und Executive Director of the IQVIA Institute for Human Data Science die wichtigsten Punkte aus einem neuen IQVIA-Bericht mit dem Titel „Biosimilars: Optimising the sustainability of healthcare systems“ vor [Link zum Artikel Teil 1]. Der Bericht umfasst die neuesten Daten und Erkenntnisse zum aktuellen Stand des Beitrags, den Biosimilars zur Zukunftsfähigkeit in mehreren europäischen Gesundheitssystemen leisten [1].
In der anschließenden virtuellen moderierten Diskussionsrunde wurden die Standpunkte von politischen Entscheidungsträgern, Kostenträgern, regulatorischen Institutionen, Patientenorganisationen und führenden Entwicklern im Biologikasektor beleuchtet. Experten sprachen über den Zugang von Patienten zu Therapien mit Biologika und Biosimilars, Bereiche mit Optimierungspotenzial und Möglichkeiten zur Gestaltung zukunftsfähiger Gesundheitssysteme.
Es diskutierten:
Murray Aitken, Senior Vice President of IQVIA und Executive Director of the IQVIA Institute for Human Data Science
Dr. Rene Anour, Senior Medical Assessor und Head of Scientific National Advice, Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
Luisa Avedano, Chief Executive Officer, European Federation of Crohn's and Ulcerative Colitis Associations (EFCCA)
Dorthe Bartels, Strategic Advisor, Negotiator und Head of the Biosimilar task force, Amgros (nationale Beschaffungsorganisation für Arzneimittel und Hörgeräte für öffentliche Kliniken und Kliniken für Hörheilkunde, Dänemark)
Ian Henshaw, Head of Global Biosimilars Unit, Biogen
Ruth Lopert, Senior Health Aconomist/ Senior Policy Analyst, Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD)
Es moderierte:
Sue Saville, Broadcast news journalist und Lay Chair of the Patient-Public Reference Group für das Board of Guy’s & St Thomas’ NHS Foundation Trust in London
Wir geben im Folgenden die Fragen und Antworten der Experten verkürzt wieder.
Welchen Nutzen haben die Biosimilars?
Anour: Patienten erhalten dadurch eher Zugang zu Therapien mit Biologika. Die Substanzen werden öfter verschrieben. Bei rheumatoider Arthritis erhalten zum Beispiel mehr Patienten mit einer nur moderaten Erkrankung eine Behandlung mit Biosimilars. Dieser Erfolg beruht auch auf einem lang etablierten regulatorischen Rahmenwerk. Wir haben inzwischen mehr als sechzig Zulassungen sicherer und wirksamer Biosimilars.
An welcher Stelle sollten die eingesparten Kosten investiert werden?
Lopert: Es sollte weiterhin der Zugang von Patienten zu Therapien mit Biologika erweitert werden, aber auch in neue Therapien investiert werden.
Avedano: Bei den Wirkstoffen zur Behandlung von IBD (inflammatory bowel disease) bestehen größere zeitliche Lücken zwischen der Zulassung in der EU und dem Zugang auf nationaler Ebene. Das erzeugt bei den Patienten Verwirrung in Frustration. Es kommt vor, dass ein Wirkstoff verfügbar ist, aber der Patient keinen Zugang dazu hat, weil der Wirkstoff in einer Klinik nicht verfügbar ist. Da sind transparente Prozesse gefragt.
Was können wir von den nordeuropäischen Staaten lernen?
Bartels: Das Wichtigste ist, dass viele Patienten Zugang zu Biosimilars haben. In den letzten Jahren ist in Dänemark der Anteil an Patienten, die mit Biosimilars behandelt wurden, um 10-15% gestiegen. Das eingesparte Geld kann für neue Krebsmedikamente verwendet werden.
Warum gibt es bei Biosimilars immer noch ein großes ungenutztes Marktpotenzial?
Henshaw: Die Situation innerhalb Europas ist sehr unterschiedlich. Es gibt viele verschiedene Gesundheitssysteme. Es sind aber überall Fortschritte zu beobachten. Es entstehen Vorgaben, Anreizsysteme und Initiativen.
Warum ist der Wettbewerb so wichtig? Warum ist es wichtig, dass die Preise nicht zu niedrig sind?
Aitken: Unternehmen engagieren sich da, wo sie als Antwort auf Investitionen auch Gewinne erzielen können. Die Anzahl an Konkurrenten wird im Laufe der Zeit sinken und sich auf etwa drei bis fünf pro Markt einpendeln.
Für die Zulassung ist eine gewisse Datenlage notwendig. Die britische Arzneimittelbehörde MHRA hat die Anforderungen an die klinischen Daten für die Zulassung von Biosimilars reduziert [2]. Ist das eine positive Entwicklung?
Lopert: Es ist eine interessante Entwicklung. Es können weniger Vergleichsstudien gemacht werden und Entscheidungen werden fallweise getroffen. Es wird interessant sein zu sehen, ob andere Zulassungsbehörden sich dieser Entwicklung anschließen werden. Auf jeden Fall ist es sehr wichtig, dass es hier Fortschritte gibt.
Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die europäische Arzneimittelbehörde EMA der MHRA anschließend wird, was die fallweisen Entscheidungen angeht?
Anour: Dazu wurde kürzlich ein Leitfaden entwickelt. Es ist tatsächlich so, dass Vergleichbarkeitsstudien keinen Nutzen haben, aber wenn es diese Studien nicht gäbe, könnte man keine Aussage darüber treffen, ob es auf der klinischen Ebene Unterschiede zwischen Originator- und Nachahmerpräparaten gibt. Wir bieten wissenschaftliche Beratung an. Firmen können uns ihre Datensammlungen vorlegen, und wir schauen uns an, ob diese ausreichend sind, um auf der klinischen Ebene weniger Anforderungen zu stellen. Aber wir werden nicht komplett auf klinische Studien verzichten. Es kommt immer auf die Qualität der Daten an und auf plausible Argumentationen.
Es ist Aufklärungsarbeit über die gesetzlichen Rahmenbedingungen nötig, um die Bedenken von Patienten und Verschreibern zu zerstreuen. Wie soll das aussehen?
Avedano: Die meisten Bedenken und Verwirrung entstehen aus einem Informationsdefizit, schon die Bezeichnung Biosimilar ist nicht ganz günstig gewählt. Außerdem ist die Bereitschaft, Informationen über Wirkstoffe aufzunehmen von Adressat zu Adressat und von Situation zu Situation unterschiedlich. Es sollten mehr Informationen zur Verfügung gestellt werden und nicht nur auf die finanzielle Seite fokussiert werden. Auch die Wahl des richtigen Zeitpunkts ist entscheidend.
Gibt es auf Patientenseite oft die Befürchtung, einfach nur das billigere, eventuell nicht so gute Präparat zu erhalten?
Bartels: Es braucht Zeit, Menschen zu überzeugen, Ärzte, Pflegepersonal und Patienten. Wenn Ärzte sagen, ein Präparat ist gleichwertig, dann wird es in die Behandlungsleitlinien aufgenommen. Wenn ein Arzt sagt, Sie können das nehmen, dann ist es für den Patienten in Ordnung. Öffentlich verfügbare Information, zum Beispiel im Internet, sind sehr wichtig.
Wie sieht die Industrieperspektive aus? Welche Strategien gibt es? Welche Bedeutung haben Biosimilars?
Henshaw: Wir stehen den Biosimilars positiv gegenüber. Wir schauen auf alle Akteure, werden ein nachhaltiges Umfeld generieren, an dem alle Akteure teilhaben. Aufklärung wird der Schlüssel zu einem verbesserten Zugang zu Biosimilars sein.
Ist das regulatorische Umfeld für eine weitere Durchsetzung von Biosimilars ausreichend geeignet?
Anour: Ja und nein. Wissenschaft entwickelt sich ständig weiter und wir müssen damit Schritt halten. Die regulatorischen Hürden, Biosimilars auf den Markt zu bringen, werden zunehmend weniger werden. Das ist ein fließender Prozess. Es wird herauszufinden sein, was Unterschiede in der Qualität bedeuten, ob sie sich in der Klinik abbilden. Man kann sehen, dass regulatorische Stellen sich bemühen, das regulatorische Umfeld weiterzuentwickeln.
Kann man sich vorstellen, Biosimilars EU-weit zu beschaffen? Ist eine gemeinsame Beschaffung eine gute Idee?
Lopert: Es gibt schon Initiativen in Richtung gemeinsamer Beschaffung. Das funktioniert für andere Medikamente auch. Aus ökonomischer Sicht macht es Sinn. Aber das ist nicht das dringendste Thema. Viel wichtiger ist Aufklärung, Verschreiber zu sensibilisieren, analog zu Generika. Es sind immer noch viele Verschreiber, die die Gleichwertigkeit der Biosimilars nicht verstehen, und so lange die Verschreiber kein Vertrauen in die Produkte haben, werden es die Patienten auch nicht haben.
Die Aufklärung der Verschreiber ist fundamental?
Aitken: Es gibt eine enorme Vielfalt innerhalb der EU. Teilweise werde schon Originatormedikamente nicht verwendet. Wo diese nicht zur Verfügung stehen, werden Biosimilars auch nicht genutzt. Beispiel Polen: Dort ist die Anwendungsrate von Biosimilars pro Kopf niedriger als in der Gesamt-EU. Gründe dafür sind budgetärer Natur, regulatorische Hürden, aber vor allem die Tatsache, dass die Verschreiber nicht gewohnt sind, auf Biologika zurückzugreifen. In einigen Teilen von Europa wird noch ein langer Weg zu gehen sein.
Welche Rolle spielen reisende Patienten in Europa?
Avedano: Hier können Verbände eine wichtige Rolle spielen, indem sie zum Beispiel in Kontakt mit Behandlungszentren treten, die Verfügbarkeit von Präparaten klären, auf Gefahren hinweisen und die Kostenübernahme durch die Gesundheitssysteme klären.
Wie könnte ein ideales Erstattungsmodell aussehen?
Bartels: In Dänemark werden Biosimilars nur in der Klinik angewendet, das heißt, die Kosten werden zu hundert Prozent übernommen, solange die Präparate entsprechend den Leitlinien angewendet werden. Ein Anreiz für die Abteilungen, Biosimilars zu verwenden, besteht darin, dass diese mehr neue Behandlungsoptionen anwenden dürfen, wenn sie durch die Anwendung von Biosimilars Kosten einsparen. Die Patienten sind über die Kosten informiert. Es ist für alle Interessengruppen wichtig zu wissen, für was Geld ausgegeben wird.
In der Fragerunde wurden noch weitere Aspekte angesprochen:
Kann eine volumenbasierte Beschaffung, wie sie in China praktiziert wird, ein Weg weg von der Niedrigstpreispolitik sein?
Bartels hielt dies für eine gute Idee. Es sollten immer mehrere Akteure aktiv sein, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Außerdem ist ein Dialog mit der Pharmaindustrie nötig, um das richtige Beschaffungsprozedere für ein bestimmtes Produkt zu klären. Das werde für jedes Produkt spezifisch zu überlegen sein.
Ist die Substitution ein guter Weg, die Marktdurchdringung von Biosimilars zu verbessern?
Henshaw meinte, es wäre zunächst wichtig, die Arzt-Patienten-Zusammenarbeit zu etablieren. Wegen möglichen Immunogenitätseffekten sei bei der Substitution Vorsicht angebracht.
In einigen EU Ländern, werden dieselben Preise für Originator- und Biosimilar-Produkte vorgeschrieben. Macht dies das Geschäftsrisiko für neue Anbieter zu groß?
Lopert: Prinzipiell wäre es nicht gut, von einem einzigen Lieferanten abhängig zu sein. Damit gäbe es keinen Wettbewerb. Substitution wurde in einigen Ländern praktiziert, hat sich aber nicht als gutes Verfahren bewährt. Lopert ist überzeugt, dass Wettbewerb notwendig ist, um die Rolle von Biosimilars zu stärken.
Zusammenfassend sehen die Experten folgenden Handlungsbedarf:
- Entwickler sollten die Diskussion mit den Behörden suchen.
- Systeme für die Einführung der zahlreichen neuen Produkte, die in den kommenden Jahren zu erwarten sind, sollten etabliert werden.
- Verschreiber und Patienten sollten gut informiert und beteiligt werden.
- Für Patienten sind Wahlmöglichkeit und Zugänglichkeit wichtig.
- Um Gesundheitssysteme zukunftsfähig zu halten, ist eine angemessene Preisgestaltung wichtig und sollte von allen Interessengruppen berücksichtigt werden.
Organisator des Webinars
IQVIA ist ein führender, globaler Anbieter von zukunftsweisender Analytik, Technologielösungen und klinischer Auftragsforschung. IQVIA unterstützt Life Science Unternehmen, Verbände, Institutionen, Kostenträger und weitere Akteure im Gesundheitswesen darin, bessere Ergebnisse in der Gesundheitsversorgung zu erzielen.
Sponsor:
Biogen