
Antikörper werden sowohl nach einer Impfung als auch nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion gebildet. Die Menge und vor allem die Vielfalt unterscheiden sich jedoch erheblich zwischen Geimpften und Genesenen. Das liegt vor allem an der Form des Spike-Proteins (S-Protein) bzw. seiner Konformation.
So verhält sich das Spike-Protein bei einer SARS-CoV-2-Infektion
Die Konformation des natürlich vorkommenden Proteins verändert sich durch Kontakt mit dem Wirtszellrezeptor. Zur Veranschaulichung: Das Spike-Protein besteht aus zwei Hauptdomänen (S1 und S2). Die S1-Untereinheit ist weiter unterteilt in die N-terminale Domäne (NTD) und die Rezeptorbindungsdomäne (RBD). Die RBD bindet an den Zellrezeptor ACE2 (Angiotensin Converting Enzyme 2) auf Wirtszellen. Hierbei ändert sich die räumliche Struktur des S-Proteins zur sogenannten Präfusionskonformation. Dies bereitet den nächsten Schritt der Zellinfektion vor; Virusoberfläche und Zellmembran fusionieren und das Virus gelangt in die Zelle. Nach der proteolytischen Spaltung zwischen der S1- und S2-Domäne durch die zelluläre Protease Furin dissoziiert die N-terminale Domäne (S1). Anschließend faltet sich die S2-Domäne zurück in die sogenannte Postfusionskonformation.
Stabilisiertes Spike-Protein bei Corona-Impfstoffen
Die meisten zugelassenen Corona-Impfstoffe verwenden eine vor der Fusion stabilisierte Form des S-Proteins des Coronavirus SARS-CoV-2, also eine Präfusionskonformation. Um diese Form zu erhalten, werden zwei Mutationen in den Bauplan des Spike-Proteins eingeführt. Die starre Variante wurde gewählt, um das Risiko infektionsverstärkender Antikörper bei Geimpften zu minimieren.
Studie zur Immunantwort
Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), der Universitätsklinik Aachen und der Main-Kinzig-Kliniken untersuchten, ob sich die Impf-induzierte Immunantwort von derjenigen unterscheidet, die durch native Spike-Proteine im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion ausgelöst wird. Hierfür analysierte die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Eberhard Hildt, Leiter der virologischen Abteilung des PEI, die Bindung von gegen das SpikeProtein gerichtete Antikörper in Seren von geimpften Personen (Comirnaty von BioNTech/Pfizer) und im Serum von COVID-19-Rekonvaleszenten. Die Ergebnisse wurden bereits als Preprint veröffentlicht.
Zielsetzung
Das Immunsystem bildet Antikörper gegen äußere und von außen erreichbare Antigen-Strukturen. Diese Oberflächenmerkmale werden als Epitope bezeichnet. Sie unterscheiden sich zwischen der natürlichen und der in der Präfusionskonformation stabilisierten Form des Spike-Proteins. Die Studie sollte zeigen, ob die nach einer SARS-CoV-2-Infektion gegen die natürliche Form des Spike-Proteins gebildeten Antikörper andere Epitope erkennen als die nach einer Impfung gegen die Präfusionsform des Spike-Proteins gebildeten Antikörper.
Methodik
Die Forschungsgruppe analysierte zwischen März und August 2020 Blutseren von 60 Personen (31 von SARS-CoV-2-Rekonvaleszenten, 25 von mit Comirnaty Geimpften und vier naive Kontrollproben). Zur Darstellung der IgG-Antikörper wurde eine vergleichende Epitop-Kartierung durchgeführt. Schwerpunkt waren Antikörper gegen lineare Epitope, die aus hintereinander gereihten Aminosäuren bestehen; nicht aber Antikörper gegen räumliche Strukturen des S-Proteins, die aus mehreren, nicht hintereinander liegenden Aminosäuren bestehen. Zur Identifizierung wurden Peptidarrays verwendet, die 253 Spike-spezifische Peptide umfassten. Die Mengenbestimmung der Antikörper gegen die Spike-Protein-RBD erfolgte mit dem ELISA-Assay.
Ergebnisse
Der Anti-RBD-ELISA ergab, dass die Genesenen zwar einen niedrigeren Antikörpertiter aufwiesen als die Geimpften, jedoch eine höhere Antikörpervielfalt.
Die Forschenden identifizierten 37 lineare Epitope. 26 davon wurden ausschließlich von Antikörpern in Rekonvaleszentenseren erkannt; lediglich ein signifikantes Epitop alleinig von Antikörpern in den geimpften Seren. Die anderen 10 Peptide erkannten beide Serumtypen. Die Zuordnung der 26 Epitope zu den Spike-Protein-Strukturen ergab, dass die Mehrzahl der Epitope in der Präfusionskonformation verborgen bzw. maskiert ist – und somit unerreichbar für Antikörper. Darüber hinaus identifizierten die Forschenden in einem konservierten zentralen Abschnitt (zentrale Helix) drei Epitope, die nur in der Postfusionskonformation des Spike-Proteins zugänglich sind – also der Struktur nach der Fusion von Virus- und Zellmembran.
Fazit
Obwohl der Antikörpertiter der Comirnaty-geimpften Seren höher war als der Titer der Proben von genesenen Patienten, wiesen die Rekonvaleszenten eine größere Vielfalt Spike-spezifischer Antikörper auf. Das könnte darauf zurückzuführen zu sein, dass Comirnaty als Antigen-Zielstruktur eine stabilisierte Variante des Spike-Proteins nutzt. Ob und wie sich die Antikörperdiversität auf die Breite der Spike-spezifischen Immunantwort auswirkt, lässt sich auf Basis der derzeit verfügbaren Daten aber noch nicht beantworten.