Viren ändern sich ständig durch Mutation und das Auftreten neuer Varianten ist ein zu erwartendes Ereignis, welches zunächst einmal keinen Grund zur Besorgnis darstellt. Eine Diversifizierung von SARS-CoV-2 aufgrund von Evolutions- und Anpassungsprozessen wurde weltweit beobachtet. Die meisten dieser neu auftretenden Mutationen haben keinen signifikanten Einfluss auf die Ausbreitung des Virus.
Manche Mutationen können Viren jedoch einen selektiven Vorteil verschaffen, wie z. B.
- eine erhöhte Übertragbarkeit oder
- die Fähigkeit, sich der Immunantwort des Wirts zu entziehen
In solchen Fällen könnten diese Varianten das Risiko für die menschliche Gesundheit erhöhen, weshalb sie als besorgniserregende Varianten (variant of concern, VOC) bezeichnet werden. Nachdem Großbritannien im Südosten, Osten und im Londoner Raum einen raschen Anstieg an COVID-19-Fällen verzeichnete, war die Besorgnis groß, dass ein Zusammenhang mit der neuen SARS-CoV-2-Variante, VOC 202012, die zuvor als „VUI - 202012/01“ bezeichnet wurde, bestehen könnte.
Vorläufige Analysen zeigten, dass die neue Variante im Vergleich zu den zuvor zirkulierenden Varianten eine erhöhte Übertragbarkeit, jedoch keine Zunahme der Infektionsschwere aufweist. Mittlerweile wurde die Mutation in anderen EU-Ländern und auch weltweit nachgewiesen.
Über die Corona-Variante VOC 202012
Die neue Variante ist durch 23 Mutationen gekennzeichnet: Darunter eine Reihe von Spike-Protein-Mutationen. Dies ist eine ungewöhnlich große Anzahl von Mutationen in einem einzelnen Cluster.
Drei dieser Mutationen haben potenzielle biologische Wirkungen und bereiten Sorgen:
- Die Mutation N501Y innerhalb der Rezeptorbindungsdomäne (RBD) ist durch eine stärkere Bindungsaffinität an menschliches ACE2 charakterisiert.
- Die Deletion 69-70del zweier Aminosäuren kann die RT-PCR-Testung teilweise stören und ist auch mehrmals in Verbindung mit anderen RBD-Mutationen aufgetreten.
- Die Mutation P681H befindet sich unmittelbar neben der Furin-Spaltungsstelle, einem bekannten Ort, der nach der Bindung das weitere Eindringen des Virus in die Zelle beeinflusst.
Mögliche Auswirkungen der Spike-Variante N501Y
Übertragbarkeit
Es ist sehr wahrscheinlich, dass N501Y die Rezeptorbindungsaffinität des Spike-Proteins beeinflusst und es ist möglich, dass diese Mutation allein oder in Kombination mit der Deletion 69-70del in der N-terminalen Domäne (NTD) die Übertragbarkeit des Virus erhöht. Dies basiert auf der Position des 501-Rests in der Spike-Rezeptor-Bindungsdomäne und Daten, die zeigen, dass N501Y die Spike-Wechselwirkungen mit menschlichem ACE2 erhöht. Auf Basis einer Modellierungen schätzen die Forscher, dass VOC 202012/01 um 56 Prozent infektiöser ist [95% CrI: 0.37-0.75] als andere SARS-CoV-2-Varianten.
Antigenität
Position 501 befindet sich in der RBD, wo neutralisierende Antikörper am häufigsten wirken, so dass die Wirksamkeit der Neutralisation des Virus beeinflusst werden könnte. Von mehreren monoklonalen Antikörpern, die in verschiedenen Studien getestet wurden, zeigte einer (LYCoV016) eine verminderte Fähigkeit, SARS-CoV-2-Varianten mit Mutationen an Position 501 zu neutralisieren. Neutralisationsdaten aus polyklonalen Seren aufgrund einer natürlichen Infektion sind für N501Y nicht vorhanden.
Auswirkungen auf diagnostische Tests
Die VOC beinhaltet eine Deletion von sechs Nukleotiden im S-Gen, die zum Verlust von zwei Aminosäuren an den Positionen 69 und 70 führt (Δ69-70). In der Folge fällt in den PCR-Tests die Komponente, welche das S-Gen detektiert, negativ aus, die anderen beiden Komponenten, welche nach den Genen F und ORF1 suchen bleiben positiv. So fanden die Forscher heraus, dass in >99% der sequenzierten S-Gen-Drop-outs (Allelausfall, der dazu führen kann, dass PCR-Primer nicht binden und ein oder mehrere Allele in einem Ansatz nicht amplifiziert werden) Δ69-70 vorhanden war. Da allerdings das S-Gen erfolgreich amplifiziert werden konnte, schließen die Forscher, dass der S-Gen-Drop-out auf ein Versagen der qPCR-Sonde infolge der Δ69-70-Deletion zurückzuführen sein muss.
SARS-CoV-2-Variante aus Südafrika
Zusätzlich zu VOC 202012/01 hat Südafrika eine weitere SARS-CoV-2-Variante mit der Bezeichnung 501.V2 gemeldet, die ebenfalls von Bedeutung ist. Diese Variante wurde erstmals im Oktober beobachtet. Seitdem wurden mehr als 300 Fälle mit der 501.V2 Varianten durch vollständige Genomsequenzierung in Südafrika bestätigt, wo sie nun die dominierende Virusvariante darstellt.
Vorläufige Ergebnisse weisen darauf hin, dass auch diese Variante möglicherweise eine erhöhte Übertragbarkeit aufweist. Wie bei VOC 202012/01 gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass 501.V2 mit einer höheren Schwere der Infektion assoziiert ist. Am 22. Dezember 2020 wurden in Großbritannien zwei geografisch getrennte Fälle dieser neuen Variante 501.V2 entdeckt. Beide Fälle sind Kontakte symptomatischer Personen, die von einer Reise aus Südafrika zurückgekehrt waren. Am 28. Dezember 2020 wurde in Finnland bei einem zurückkehrenden Reisenden aus Südafrika ein weiterer Fall dieser neuen Variante festgestellt
Auswirkung auf Impfstoff-Wirksamkeit?
Wissenschaftler wie Ugur Sahin, CEO von BioNTech, und John Bell, Professor für Medizin an der Universität Oxford, haben erklärt, dass sie die Impfstoffe auf die neuen Varianten testen werden und sie in etwa sechs Wochen notwendige Verbesserungen vornehmen könnten. Hierbei könnten allerdings zusätzliche behördliche Genehmigungen erforderlich werden.