Gefährliche SARS-CoV-2-Mutationen durch Molnupiravir?

Das Virostatikum Molnupiravir (Lagevrio) soll SARS-CoV-2 durch Mutationen im viralen Genom so schädigen, dass sich das Virus nicht weiter vermehren kann. In diesem Zusammenhang könnten aber auch neuartige, vermehrungsfähige Coronavirus-Varianten entstehen.

Coronavirusmutationen

Molnupiravir (Lagevrio) des Pharmaherstellers Merck Sharp & Dohme (MSD) soll bei rechtzeitiger Anwendung den Ausbruch von Covid-19 verhindern oder zumindest abmildern. Das Nukleosidanalogon ist so konzipiert, dass es das Virus abtötet, indem es Mutationen im viralen Genom hervorruft. Hierbei kommt es zu sehr spezifischen Nukleotid-Substitutionen in der viralen RNA, bei denen ein Guanin durch Adenin (G➝A) oder ein Cytosin durch Uracil (C➝U) ausgewechselt wird. Infolge werden die virale Replikation reduziert und die Viruslast verringert.

Doch nicht alle WissenschaftlerInnen sind von dem Virostatikum überzeugt. Zunehmend wird diskutiert, ob das Arzneimittel nicht sogar die Evolution von SARS-CoV-2 beschleunigen könnte. So sei es denkbar, dass einige mit Molnupiravir behandelte Patienten SARS-CoV-2-Infektionen nicht vollständig ausheilen und die mutierten Viren übertragen. Darauf deuten jetzt auch Daten, die als Preprint auf dem Server „MedRxiv“ veröffentlicht wurden [1].

Hobbyforscher als Studieninitiator

Auslöser der Studie war ein Twitter-Post von Ryan Hisner, Mittelschullehrer für Naturwissenschaften und Mathematik in Monroe, Indiana. Der Hobbyforscher begann im August 2022 mit der Katalogisierung verdächtiger SARS-CoV-2-Varianten und fand schnell Dutzende von Sequenzen, die eine Häufung der Molnupiravir-charakteristischen Substitutionen aufwiesen. Diese Entdeckung postete er auf dem Online-Nachrichtendienst, wodurch ein Kontakt mit Thomas Peacock, einem Virologen vom Imperial College London, zustande kam. Gemeinsam mit anderen Kollegen gingen sie Hisners Beobachtung nach.

Auffällige Sequenzen nach Molnupiravir-Einführung

Die Forschenden scannten systematisch mehr als 13 Millionen SARS-CoV-2-Sequenzen globaler Sequenzdatenbanken nach verdächtigen Virusvarianten ab. Dabei verwendeten sie eine Signatur mit Clustern von mehr als 20 Mutationen, die auf eine durch Molnupiravir induzierte Mutagenese hindeuten.

Das Team identifizierte tatsächlich eine bestimmte Klasse von langen phylogenetischen Stämmen, die fast ausschließlich in Sequenzen aus dem Jahr 2022 auftraten – also nach der Einführung von Molnupiravir. Die Signaturcluster fanden sich vor allem in Sequenzen von Virusisolaten aus Ländern wie den USA, Australien und Großbritannien, in denen das Arzneimittel relativ häufig zur Anwendung kommt. Bis zu 100-mal seltener waren sie hingegen in Isolaten aus Ländern wie Frankreich und Kanada, in denen Molnupiravir weniger oft verordnet wird.

Mutationen breiten sich lokal aus

Außerdem stellten die Forschenden fest, dass sich einige der mutierten Stämme lokal ausbreiteten. „Hier passiert eindeutig etwas“, sagte Peacock in einem Artikel im Wissenschaftsmagazin „Science“. Es sei klar ersichtlich, dass vermehrungsfähige mutierte SARS-CoV-2-Viren die Behandlung mit Molnupiravir überleben und mit bestehenden Varianten konkurrieren können, ergänzt William Haseltine, Virologe und Vorsitzender von ACCESS Health International. Haseltine hatte bereits zuvor wiederholt Bedenken gegenüber dem Wirkstoff geäußert [2].

Risiko pathogenerer Varianten unklar

Ob die Mutationen zu SARS-CoV-2-Varianten führen werden, die pathogener oder übertragbarer sind, ist unklar, heißt es im Beitrag der Science. „Wir ziehen keine Schlussfolgerung über das Risiko“, erklärt Theo Sanderson, Genetiker am Francis Crick Institute. Haseltine vergleicht die Gefahr jedoch mit der Haltung eines Löwen als Haustier. „Nur weil er dich gestern nicht gebissen hat, heißt das nicht, dass er dich heute nicht beißen wird“, so der Virologe [2].

MSD bestreitet Zusammenhang

Ein Sprecher des Molnupiravir-Herstellers MSD bestreitet, dass das Arzneimittel für die Entstehung weit verbreiteter SARS-CoV-2-Varianten verantwortlich ist. Die Verbindung zwischen den Mutationen und dem Wirkstoff sei bislang unbewiesen. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein antivirales Mittel zur Entstehung zirkulierender Varianten beigetragen hat“, äußert der MSD-Sprecher gegenüber Science [2].

Weitere Mutations-Hinweise in australischer Studie

Doch auch Forschende um Dr. Nicholas M. Fountain-Jones von der University of Tasmania in Hobart, Australien, fanden Hinweise in dieser Richtung. Laut ihrer auf dem Preprint-Server „medRxiv“ publizierten Arbeit wäre es möglich, dass eine Behandlung mit Molnupiravir bei Immunschwäche zu neuen vermehrungsfähigen Varianten führt. Da immunsupprimierte Personen nur eingeschränkt in der Lage sind, das Virus zu eliminieren, können virale Varianten mannigfaltige Mutationen aufweisen, die sich ggf. auch auf die pathologischen Eigenschaften des Virus auswirken.

Die australische Forschergruppe kommt zu dem Schluss, dass Virostatika wie Molnupiravir die virale Evolution bei immungeschwächten PatientInnen beschleunigen kann. Ein unkontrollierter Einsatz könnte neue Varianten mit einem Übertragungsvorteil hervorbringen, der die Pandemie verlängert und andere Therapien weniger wirksam macht, so die StudienautorInnen [3].

Begrenzte Wirksamkeit bei Geimpften

Professor Ravindra Gupta, klinischer Mikrobiologe an der University of Cambridge, sieht ein weiteres Problem bei der Anwendung von Molnupiravir. Selbst wenn die britischen und australischen Studien nicht beweisen, dass das Arzneimittel die Entstehung pathogenerer SARS-CoV-2-Linien verursacht, bleibt das Problem der begrenzten Wirksamkeit bei Geimpften.

Laut einer in „The Lancet“ erschienenen Arbeit zeigt Molnupiravir bei gegen Covid-19 geimpften Personen nur einen eingeschränkten Nutzen. In einer nationalen, multizentrischen, offenen, prospektiven, randomisierten, kontrollierten Multigruppen-Studie in Großbritannien werteten Professor Christopher C. Butler von der University of Oxford und Kollegen Daten von 26.411 geimpften Studienteilnehmern aus, von denen etwa die Hälfte mit Molnupiravir behandelt worden war.

Im Ergebnis reduzierte der Wirkstoff zwar die Schwere der Symptome und verkürzte die Genesungszeiten der PatientInnen, die Häufigkeit von Covid-19-assoziierten Krankenhausaufenthalten oder Todesfällen bei Erwachsenen mit hohem Risiko konnte Molnupiravir aber nicht verringern.

Ob und wie sich die beschriebenen Erkenntnisse auf die zukünftige Anwendung von Molnupiravir und den Fortgang der Pandemie auswirken werden, bleibt abzuwarten.

Autor:
Stand:
08.02.2023
Quelle:
  1. Sanderson, T. et al. (2023): Identification of a molnupiravir-associated mutational signature in SARS-CoV-2 sequencing databases. medRxiv, DOI: 10.1101/2023.01.26.23284998.
  2. Science, Artikel, 01. Februar 2023.
  3. Fountain-Jones, N. M. et al. (2022): Antiviral treatments lead to the rapid accrual of hundreds of SARS-CoV-2 mutations in immunocompromised patients. medRxiv, DOI: 10.1101/2022.12.21.22283811.
  4. Butler, C. C. et al. (2023): Molnupiravir plus usual care versus usual care alone as early treatment for adults with COVID-19 at increased risk of adverse outcomes (PANORAMIC): an open-label, platform-adaptive randomised controlled trial. The Lancet, DOI: 10.1016/S0140-6736(22)02597-1.
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