
Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) empfehlen eine zweite Auffrischungsdosis eines mRNA-COVID-19-Impfstoffs für über 60-Jährige sowie für Menschen mit Erkrankungen, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Infektion aufweisen [1]. Bislang hatten die europäischen Gesundheitsbehörden eine zweite Auffrischungsimpfung nur für über 80-Jährige und gefährdete Gruppen angeraten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bewertet die Empfehlung einer vierten Impfung für über 60-Jährige als „sinnvoll und überfällig“ [2].
Keine Zeit zu verlieren
Die derzeitige Welle von Corona-Infektionen lässt die Zahl der Einweisungen in Krankenhäuser und auf Intensivstationen wieder steigen. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass Menschen zwischen 60 und 79 Jahren sowie gefährdete Personen jeden Alters das Angebot einer zweiten Auffrischungsimpfung erhalten. „Es ist keine Zeit zu verlieren“, mahnt Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Sie fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, betroffene Gruppen so schnell wie möglich ein zweites Mal zu boostern. „Nur so können wir uns selbst, unsere Angehörigen und gefährdete Bevölkerungsgruppen schützen“, so die europäische Gesundheitskommissarin. Der zweite Booster könne mindestens vier Monate nach der ersten Auffrischung gegeben werden; Personen, deren letzte Auffrischung mehr als sechs Monate zurückliegt, seien allerdings zu bevorzugen.
Betroffene sensibilisieren
Die momentan steigende Rate von COVID-19-Erkrankungsfällen und der zunehmende Hospitalisierungstrend in mehreren europäischen Ländern seien vor allem auf die Omikron-Subvariante BA.5 zurückzuführen, erklärt Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC. „Das signalisiert den Beginn einer neuen, weit verbreiteten COVID-19-Welle in der Europäischen Union“, führt die ehemalige Leiterin der Abteilung Epidemiologie von Infektionskrankheiten am Robert Koch-Institut (RKI) weiter aus. Ammon zufolge gibt es immer noch zu viele Menschen, die dem Risiko einer schweren COVID-19-Infektion ausgesetzt sind und so schnell wie möglich geschützt werden müssen. Die Menschen müssten daran erinnert werden, wie wichtig die Impfung sei, von der ersten Grundimmunisierung bis zur zweiten Auffrischungsimpfung. Menschen über 60 und medizinisch anfällige Bevölkerungsgruppen seien diejenigen mit dem höchsten Risiko schwerwiegender Erkrankungen. Ein zweiter Booster würde eine erhebliche Zahl an Krankenhauseinweisungen und Todesfällen abwenden. „Wir haben mehrere sichere und wirksame Impfstoffe zur Verfügung, und jede einzelne COVID-19-Infektion, die jetzt verhindert wird, ist ein potenziell gerettetes Leben“, so die deutsche Ärztin.
Zweite Auffrischungsimpfungen in der breiten Bevölkerung
Derzeit gibt es keine eindeutigen Beweise für den Nutzen einer zweiten Auffrischungsimpfung bei Menschen unter 60 Jahren ohne ein erhöhtes Risiko für eine schwere Erkrankung. Ebenso wenig gibt es Belege für eine frühzeitige zweite Auffrischungsimpfung für Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegewesen – es sei denn, sie gehören einer Risikogruppe an. Bei Bewohnern von Langzeitpflegeeinrichtungen sollte eine Auffrischungsimpfung entsprechend den nationalen Empfehlungen in Betracht gezogen werden. Hier sei nach Angaben der europäischen Gesundheitsbehörden von einem sehr wahrscheinlich erhöhten Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf auszugehen.
Das ECDC und die EMA haben die Gesundheitsbehörden in der gesamten EU dazu aufgerufen, für die Herbst- und Wintersaison zusätzliche Auffrischungsimpfungen für besonders stark gefährdete Menschen zu planen und dabei möglicherweise COVID-19-Impfungen mit denen gegen Influenza zu kombinieren.
Angepasste Impfstoffe
Die jüngsten Empfehlungen des ECDC und der EMA kommen inmitten der Arbeiten zur Anpassung von Impfstoffen für die besorgniserregenden Omikron-Varianten. Die Behörden arbeiten darauf hin, dass „die angepassten Impfstoffe im September zugelassen werden können“, sagte die Exekutivdirektorin der EMA, Emer Cooke. Weiter prüfe der Ausschuss für Humanarzneimittel die Daten für zwei angepasste Impfstoffe. In der Zwischenzeit sind die derzeit zugelassenen Vakzine als zweite Auffrischungsimpfung die beste Wahl. Diese verhindern nach wie vor wirksam COVID-19 assoziierte Krankenhausaufenthalte, schwere Erkrankungen und Todesfälle – auch im Zusammenhang mit neu auftretenden SARS-CoV-2-Varianten, so Cooke.
STIKO-Empfehlung für Menschen ab 70 Jahren
Die Ständige Impfkommission (STIKO) des RKI empfiehlt die zweite Auffrischungsimpfung Menschen ab 70 und bestimmten Risikogruppen mit den bisherigen mRNA-Impfstoffen von BioNTech oder Moderna. Außerdem gilt die Empfehlung für Beschäftigte von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Menschen mit gesundheitlicher Gefährdung sollen den zweiten Booster frühestens drei Monate nach dem ersten erhalten, bei medizinischem und pflegerischem Personal ist ein mindestens sechsmonatiger Abstand einzuhalten. Menschen, die nach ihrer ersten Auffrischungsimpfung eine Corona-Infektion durchgemacht haben, wird keine weitere Auffrischungsimpfung empfohlen [3].