
Hintergrund
In Deutschland können Ärzte ab sofort Gesundheits-Apps und webbasierte Gesundheits-Programme auf Rezept verordnen. Diese sollen helfen, Krankheiten zu erkennen, zu überwachen, zu behandeln oder zu lindern. Bevor die gesetzliche Krankenkasse (GKV) die Kosten übernimmt, müssen die Applikationen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft und ins Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) aufgenommen werden [1].
Was sind DiGA?
DiGA sind erstattungsfähige Medizinprodukte niedriger Risikoklassen. Die Anwendungen können als Apps mit dem Smartphone oder Tablet sowie als webbasierte Anwendung, die über einen Internetbrowser läuft, genutzt werden. Vor der Zulassung prüft das BfArM bestimmte Produkteigenschaften wie Benutzerfreundlichkeit, Datensicherheit und Datenschutz. Für eine dauerhafte Aufnahme im DiGA-Verzeichnis müssen die Hersteller spätestens nach zwei Jahren positive Versorgungseffekte nachweisen.
Velibra und Kalmeda
Derzeit (Oktober 2020) sind im DiGA-Verzeichnis zwei Produkte gelistet: Die App Kalmeda und die Webanwendung Velibra. Kalmeda (mynoise GmbH) bietet Patienten mit chronischer Tinnitusbelastung eine leitlinienbasierte, verhaltenstherapeutische Therapie. Velibra (GAIA AG) vermittelt etablierte Methoden und Übungen der Kognitiven Verhaltenstherapie zur Selbsthilfe bei einer generalisierten oder sozialen Angststörung sowie bei einer Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie.
21 DiGA im Prüfverfahren
Zukünftig ist mit weiteren Gesundheits-Apps zu rechnen, die als Kassenleistung zur Verfügung stehen werden. Momentan durchlaufen 21 DiGA das Prüfverfahren; mehr als 70 Anwendungen waren bereits Gegenstand von Beratungsgesprächen zwischen BfArM und den Herstellern.
Denkbare Anwendungen sind unter anderem:
- Apps zur Linderung von Verspannungen, Menstruationsbeschwerden, Kopf- und Rückenschmerzen
- Meditations- und Einschlafhilfen
- Motivationsmaßnahmen zu mehr Bewegung und Abbau von Übergewicht
- Übungen zum Umgang mit Stress und psychischen Erkrankungen
- Apps, die das Einnehmen von Medikamenten erleichtern
- digitale Tagebücher für Asthmatiker, Bluthochdruckpatienten und Diabetiker
- Ratgeber für Schwangere und Stillende
- etc.
Verordnungshinweise
Sofern ein Arzt oder Psychotherapeut eine erstattungsfähige Gesundheits-App oder Webanwendung als medizinisch sinnvoll erachtet, kann er diese regulär verordnen. Auf dem Arzneimittelrezept (Formular 16) muss die Bezeichnung der DiGA, die Pharmazentralnummer (PZN) und die Verordnungsdauer angegeben werden. Der Patient reicht sein Rezept innerhalb von vier Wochen nach Erhalt bei der Krankenkasse ein.
Alternativ kann der Versicherte bei seiner Krankenkasse direkt einen Antrag auf Kostenübernahme einer DiGA stellen. Die Bewilligung erfolgt bei entsprechender Indikation, die sich aus den vorliegenden Behandlungsunterlagen ergibt. Arzt oder Psychotherapeut müssen hierfür keinen gesonderten Nachweis erbringen.
In beiden Fällen erhält der Patient einen von der Krankenkasse generierten Zugangscode. Die Anwendung lädt er im App-Store von Apple oder bei Google-Play herunter. Nach Eingabe des Codes wird der Zugang zur App freigeschaltet. Eine Zuzahlung muss nicht geleistet werden.
Datenschutz und Qualitätskriterien
Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) haben Versicherte einen Anspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bewarb das DiGA-Verzeichnis schon 2019 als Weltneuheit: „Digitale Lösungen können den Patientenalltag konkret verbessern. Darum gibt es ab 2020 gesunde Apps auf Rezept. Das ist Weltpremiere. Deutschland ist das erste Land, in dem digitale Anwendungen verschrieben werden können. Mit diesem Gesetz machen wir die Versorgung digitaler – und besser.“
Sicherheit und Nutzung der DiGA sind jedoch nicht unumstritten. So warnt beispielsweise die Verbraucherzentrale, dass es zurzeit keine einheitlichen Qualitätskriterien für Gesundheits-Apps, deren Inhalt, Funktionen und dem Schutz der Daten gibt. [3]. Kritik gibt es ebenso vom Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). „Eine Gesundheits-App ist eine medizinische Maßnahme und kein Spielzeug“, warnt KBV-Vizechef Dr. Stephan Hofmeister. Deshalb müssten dafür ähnlich hohe Anforderungen gelten wie bei anderen verordnungsfähigen Leistungen. Dies sei bislang aber nicht gewährleistet [4].
Kosten
Ein weiterer Diskussionspunkt sind die anfallenden Kosten. „Die Krankenkassen werden für solche Apps künftig viel Geld ausgeben, obwohl der Nutzen nicht ausreichend belegt ist“, so der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen. Das Ausgabenpotenzial sei allein für die ersten zwei digitalen Gesundheitsanwendungen beträchtlich. Die Tinnitus-App kostet 116,97 Euro pro Patient im Quartal, die Anwendung zur Angststörung 476 Euro. Dies müssten die Krankenkassen bezahlen – unabhängig davon, ob der Versicherte die App tatsächlich nutzt oder nicht. Überdies ist von einem hohen Mehraufwand für Ärzte und Psychotherapeuten auszugehen, der erstattet werden muss [4].