Freiverkäuflicher HIV-Test aus der Apotheke

Seit Oktober 2018 werden HIV-Tests freiverkäuflich in Apotheken und Drogerien angeboten. Doch nicht jeder positiv Getestete ist auch mit dem Humanen Immundefizienzvirus infiziert. Deshalb sollte auf eine fachkundige Beratung in Apotheken und Onlineportalen gesetzt werden.

Kundin in Apotheke

„Know your status“ war das Motto des letzten Welt-AIDS-Tags am 1. Dezember 2018. Und das ist zweifelsfrei zu begrüßen. So sollen 90% aller Menschen im Jahr 2020 ihren Immunstatus kennen. Wer über seinen Immunstatus informiert ist, kann das Humanen Immundefizienzvirus (HIV) nicht unwissentlich weiter verbreiten. Zudem erhöht ein frühzeitiger Behandlungsbeginn die Therapiechancen. Doch es gibt auch Nachteile der anonymen Schnelltests. Rechnerisch gibt es eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit, trotz positivem Testergebnis HIV-frei zu sein. Darüber muss verantwortungsvoll aufgeklärt werden.

Sensitivität und Spezifität der neuen HIV-Schnelltests

Sicherheit und Wahrscheinlichkeit falsch-positiver Testergebnisse hängen von der Sensitivität und Spezifität ab. In den Gebrauchsanweisungen gängiger Tests wird eine 100-prozentige Sensitivität beschrieben, die Spezifität liegt bei 99,8%. Dabei gibt die Sensitivität die Wahrscheinlichkeit eines positiven Testergebnisses an, wenn die Testperson HIV-infiziert ist. Falsch-negative Testergebnisse sind bei einer Sensitivität von 100%% bei HIV-Infizierten nahezu ausgeschlossen.

Die Spezifität zeigt an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer falsch positiven Testung bei nicht-HIV-infizierten Personen an. Die Fehlerrate liegt nach Herstellergaben bei 0,2%.

Wissenschaftler hinterfragen Schnelltests

Mit den eben genannten Zahlen beschäftigten sich der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer. Sie hinterfragen mit ihrer publizierten „Unstatistik des Monats“ monatlich im Internet publizierte Zahlen und deren Interpretationen. Sie gehen davon aus, dass von 13 Personen mit positivem HIV-Heimtestergebnis nur eine tatsächlich infiziert ist. Dabei bemängeln sie, dass in den Gebrauchsanweisungen der Tests nicht erklärt wird, wie die Hersteller ihre Angaben zu Sensitivität und Spezifität ermittelt haben.

Rechnerisch höhere Fehlerquoten wahrscheinlich

Eine Überschlagsrechnung zeigt überraschende Ergebnisse. Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland etwa 69 Millionen Menschen, die älter als 18 Jahre sind. Von ihnen sind geschätzt etwa 11.400 infiziert, ohne darüber Bescheid zu wissen. Dividiert man 69 Millionen Menschen durch diese 11.400 unwissentlich HIV-Infizierten kommt man auf folgendes Ergebnis: Eine von je 6.000 in Deutschland lebende Personen ist HIV-positiv. Bei einem HIV-Schnelltest würde der Patient sicher ermittelt werden.  Von den übrigen 5.999 nicht-HIV-infizierten Personen sind bei einer Spezifität von 99,8% aber weitere 12 positiv HIV-Testergebnisse zu erwarten. Im Umkehrschluss besagt dies: von insgesamt 13 testenden Personen ist nur eine wirklich HIV-infiziert. Die Wahrscheinlichkeit, HIV-infiziert zu sein, liegt bei positivem Testergebnis also bei knapp 8% (100 : 13 = 7,69). Im Umkehrschluss sind 92% der positiv Getesteten HIV-frei. Diese Zahlen ändern sich nochmal, wenn man von Heterosexuellen ohne Risikoverhalten ausgeht. Bei dieser Klientel schätzen Gigerenzer und Kollegen die Wahrscheinlichkeit auf weniger als 5%, bei einem positiven HIV-Schnelltest auch wirklich das HI-Virus in sich zu tragen.

HIV-Schnelltests

Die neuen HIV-Tests sind rasch und einfach ab 20 Euro zu bekommen. Gängige Tests sind beispielsweise der „autotest VIH“ (von der Deutschen AIDS-Hilfe empfohlen), „INSTI“ und „Exacto“. Entweder geht man in die Apotheke oder Drogerie oder bestellt den Test online über einen Internetversandhandel. In Österreich sind HIV-Heimtests bereits seit Juli 2018 in Apotheken frei erhältlich. Zu Hause kann dann anonym getestet werden. Ein kleiner Stich in Fingerbeere oder Ohrläppchen und das Blut in das beigelegte Testplättchen tropfen lassen - nach 10 bis 15 Minuten erhält man das Testergebnis: HIV-positiv oder -negativ.

Mit Information und Beratung Kurzschlussreaktionen vermeiden

Ein positives HIV-Testergebnis ist für die meisten Menschen ein Schock. Bei anonymen Heim- bzw. Schnelltestes steht der Betroffene seiner möglichen Diagnose alleine und ohne fachkundige Beratung gegenüber. In dieser meist hochemotionalen Situation sind Affektivhandlungen nicht ausgeschlossen, inklusive suizidaler Aktionen. Darin besteht auch die große Gefahr der anonymen Selbsttestung. Geschulte, fachlich dezidierte Beratungsgespräche in den Verkaufsstellen der HIV-Schnelltests und aufklärende Informationstexte im Internet würden sehr wahrscheinlich dabei helfen, unnötige Kurzschlussreaktionen zu verhindern. Gigerenzer und Kollegen fordern weiterhin, vor allem auch in den Gebrauchsinformationen auf die Möglichkeit falsch-positiver Testergebnisse hinzuweisen.

Fazit

Nach einer verantwortungsvollen Aufklärung können Infizierte und Nicht-Infizierte besser mit positiven HIV-Schnelltests umgehen. Ein falsch-positives Testergebnis ist insbesondere bei heterosexuellen Personen ohne risikobehaftetes Sexualverhalten denkbar. Der anschließende Weg zum Arzt sollte ohne übermäßige Angst erfolgen. Eine HIV-Infektion kann erst nach einer weiteren Laboruntersuchung sicher bestätigt oder ausgeschlossen werden. Und selbst bei einer tatsächlichen HIV-Infektion sind übermäßige Panik und Angst unbegründet. Die Therapiemethoden haben sich in den letzten Jahren bedeutend weiter entwickelt. Bei jungen HIV-Infizierten geht man heute schon von einer nahezu normalen Lebenserwartung aus.

Autor:
Stand:
18.01.2019
Quelle:
  1. RWI-Essen, Unstatistik des Monats vom 08. Januar 2019 „Sie sind wahrscheinlich HIV-Positiv“, URL: http://www.rwi-essen.de/unstatistik/86/
  2. Deutsche AIDS-Hilfe, HIV-Test, https://www.aidshilfe.de/hiv-selbsttest
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