Long Covid: Autoantikörper für Gedächtnisstörungen verantwortlich?

Neuronale Autoantikörper bei Post/Long-Covid sind eng mit pathologischen kognitiven Screening-Testergebnissen assoziiert, insbesondere wenn sie im Liquor gefunden werden.

Vergesslichkeit

Kognitive Defizite und Gehirnnebel („Brain Fog“) zählen zu den Symptomen, die Patienten häufig nach einer Covid-19-Erkrankung beschreiben. Über die Pathogenese von neurologischen Post/Long-Covid-Folgen weiß man bislang wenig, eine zugelassene Therapie gibt es nicht. Nun zeigte eine Studie der Charité-Universitätsmedizin und der Universität Köln eine hochsignifikante Assoziation zwischen einem pathologischen kognitivem Testergebnis und Autoantikörpern im Liquor [1]. Für diese PatientInnen könnten immuntherapeutische Ansätze gerechtfertigt sein, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Pressemitteilung [2].

Zielsetzung

Ein Forschungsteam um Dr. Christiana Franke, Oberärztin in der Neurologie der Charité am Standort Benjamin Franklin in Berlin, suchte nach autoimmunen neuronalen Mechanismen, die in Zusammenhang mit kognitiven Defiziten nach einer SARS-CoV-2-Infektion stehen könnten.

Methodik

Die prospektive Studie umfasste PatientInnen mit selbstberichteten kognitiven Einschränkungen als Hauptbeschwerde nach einer Covid-19-Erkrankung. Die Analyse wurde zwischen September 2020 und Dezember 2021 an zwei deutschen Universitätskliniken mit neurologischen Spezialambulanzen durchgeführt. In die Untersuchung flossen Daten von 50 PatientInnen sowie verfügbare Serum- und Liquorproben ein.

Mit zellbasierten Assays und indirekter Immunfluoreszenz an Hirnschnitten von Mäusen wurden Autoantikörper gegen intrazelluläre und Oberflächenantigene in Serum und Liquor nachgewiesen und auf Assoziationen mit kognitiven Screening-Testergebnissen untersucht.

Ergebnisse

Auffallend war zunächst, dass die subjektiv wahrgenommenen kognitiven Einschränkungen bei der Mehrzahl der ProbandInnen nicht bestätigt werden konnten. Zur Objektivierung wurde der Montreal-Cognitive-Assessment-Test (MoCA-Test) verwendet, bei dem die maximal erreichbare Punktzahl 30 ist. Auf eine verminderte Kognition weisen Werte ≤25 hin. Diese wurden nur bei 18 der 50 TeilnehmerInnen festgestellt. Markant war allerdings, dass die abnormen MoCA-Testergebnisse signifikant mit dem Vorhandensein von antineuronalen Antikörpern im Liquor assoziiert waren (p = 0,0004).

Antineuronale Antikörper

Die meisten Patienten (46/50) wiesen normale Routineparameter im Liquor auf. Bei 52% aller PatientInnen wurden antineuronale Autoantikörper gefunden: bei neun ausschließlich im Serum, bei drei Personen ausschließlich im Liquor und bei 14 Betroffenen in Serum und Liquor.

Die Autoantikörper richteten sich unter anderem gegen Myelin, Yo, Ma2/Ta, GAD65 und den NMDA-Rezeptor sowie gegen weitere unbestimmte Epitope auf Hirnschnitten. Dazu gehörten das zerebrale Gefäßendothel, Purkinje-Neuronen, Körnerzellen, Axonanfangssegmente, astrozytäre Proteine und Neuropil der Basalganglien oder des Hippocampus sowie ein bisher unbekanntes perinukleäres Randsaummuster.

Immuntherapie bei Long Covid?

Die Ergebnisse würden darauf hindeuten, „dass bei den Betroffenen, bei denen antineuronale Antikörper nachweisbar sind, autoimmune Mechanismen zur Entwicklung kognitiver Einschränkungen nach Covid-19 beitragen könnten“, erklärt Franke [2]. Das würde bei PatientInnen mit Autoantikörpern einen immuntherapeutischen Therapieansatz rechtfertigen, findet die Oberärztin. Allerdings wisse man zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob die Autoantikörper ursächlich für die eingeschränkte Gehirnfunktion oder lediglich eine Begleiterscheinung sind, fügt sie hinzu.

Keine Pauschaltherapie bei Long Covid

Andere diskutierte Entstehungsmechanismen von Post/Long-Covid-Beschwerden sind zum Beispiel eine Viruspersistenz, ein subklinisches Inflammationsgeschehen oder eine endotheliale Dysregulation. Hier gäbe es keine Rationale für eine Immuntherapie, so die Experten. Überdies würden verschiedene Studien zeigen, dass bei einem signifikanten Anteil der Post-Covid-Betroffenen bereits vor der Virusinfektion eine somatoforme Belastungsstörung vorlag. Bei diesen Personen könnten auch psychosomatische Aspekte eine Rolle spielen, die bei der Therapie adressiert werden müssten, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär und Pressesprecher der DGN.

Vor jeder Behandlung müssen eine umfassende Anamnese und Untersuchung erfolgen. Eine Therapie, die allen Betroffenen gleichermaßen hilft, scheint es nicht zu geben. „Solange wir keine zuverlässigen Biomarker haben, zwingt uns das dazu, in jedem einzelnen Fall eine akkurate Diagnostik durchzuführen“, so der Neurologe. Eine voreilige pathogenetische Zuordnung neurologischer Beschwerden in die eine oder andere Richtung werde weder den Betroffenen gerecht noch wäre sie sachlich korrekt.

„Bevor wir Erkrankte in eine Verhaltens- oder Psychotherapie abgeben, sollten wir sicher sein, dass keine metabolische Problematik oder chronische Entzündung vorliegt. Bevor wir eine Aussage darüber treffen, ob eine Plasmapherese hilft oder nicht, müssen wir sie kontrolliert randomisiert und verblindet untersuchen, und zwar bei Betroffenen, bei denen eine Autoimmungenese der Beschwerden wahrscheinlich ist, also bei jenen, die Autoantikörper im Liquor haben,“ betont Berlit.

Fazit

Autoantikörper gegen Hirnepitope sind bei Post/Long-Covid-PatientInnen weit verbreitet und stehen in engem Zusammenhang mit pathologischen kognitiven Screening-Tests, insbesondere wenn sie im Liquor gefunden werden. Mehrere zugrundeliegende Autoantigene müssen erst noch experimentell identifiziert werden.

Weitere Forschungsarbeiten müssen folgen, um mehr über die klinische Relevanz dieser Autoantikörper zu erfahren – einschließlich kontrollierter Studien, die die potenzielle Wirksamkeit von Immuntherapien bei Autoantikörper-positiven Betroffenen untersuchen.

Autor:
Stand:
01.02.2023
Quelle:
  1. Franke, C. et al. (2023): Association of cerebrospinal fluid brain-binding autoantibodies with cognitive impairment in post-COVID-19 syndrome. Brain Behavior and Immunity, DOI: 10.1016/j.bbi.2023.01.006.
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Pressemitteilung, 24. Januar 2023.
  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige

Orphan Disease Finder

Orphan Disease Finder

Hier können Sie seltene Erkrankungen nach Symptomen suchen:

 

Seltene Krankheiten von A-Z
Schwerpunkt Seltene Erkrankungen