
Forscher der technischen Universität (TU) Berlin entdeckten zusammen mit Mitarbeitern der französischen Firma DEINOVE unter Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine neuartige Spezies von antibiotisch wirksamen Verbindungen [1]. Die als Lipolanthine getaufte Gruppe an Molekülen überzeugte in Studien sogar gegen den gefürchteten Methicillin-resistenten Staphylococcuc aureus (MRSA). Zudem scheinen Lipolanthine kaum anfällig gegenüber einer raschen Resistenzbildung zu sein. Bakterien soll es nur schwer gelingen, eine Immunität gegen die Angriffsstrategie der Lipolanthine zu entwickeln.
Die Studienergebnisse ihrer Arbeit publizierten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Chemical Biology [2]. Nach Ansicht der Forschungsgruppe wird sich das Portfolio dieser neuen Antibiotika-Gruppe in naher Zukunft noch deutlich erweitern. Derzeit soll das Molekül Microvionin als Ursubstanz für ein neues Antibiotikum dienen. Möglicherweise steht damit eine Trendwende auf dem Antibiotika-Markt kurz bevor.
Aufbau von Microvionin
Eine Arbeitsgruppe des Fachgebiets Biologische Chemie der TU Berlin hat in Zusammenarbeit mit der Partnerfirma DEINOVE unter Leitung von Prof. Dr. Roderich Süßmuth das Molekül Microvionin entdeckt, ein ribosomal synthetisiertes und posttranslational modifiziertes Peptid (RiPP). Zunächst wurde die chemische Struktur des Moleküls entschlüsselt. Dabei kam Überraschendes zutage. Microvionin besteht aus einem Peptid- und einem Fettsäureanteil. Genauer weist das Molekül eine neue Triamino-Dicarbonsäure-Einheit - als Avionin bezeichnet - und eine N-terminale bismethylierte Guanidino-Fettsäure auf. Das Besondere: Drei der Aminosäuren sind so modifiziert, dass sich zwei Ringstrukturen ausbilden, das Molekül also „bizyklisch“ ist. Durch dieses charakteristische Strukturmerkmal mit einer Thioetherbrücke zählt Microvionin zu den lipidierten Lanthipeptiden.
Besonderheiten von Microvionin
Die Wissenschaftler rekonstituierten in vitro zentrale Schritte der Avionin-Biosynthese. Zudem interessierte sich die Arbeitsgruppe für die Besonderheiten der N-terminalen Guanidino-Fettsäure. Süßmuth erklärt begeistert deren ungewöhnliche Modifikation: „Hier scheinen zum ersten Mal bei ribosomal synthetisierten Peptiden zwei Biosynthesewege zusammen zu laufen, nämlich ribosomal synthetisierte Peptide und Polyketidsynthasen, deren Zusammenspiel so bisher nicht beobachtet wurde. Das ist für uns natürlich spannend und wird weiterhin intensiv erforscht.“
Weitere Verbindungen vorhanden
Bei der Analyse ausgesuchter Bakterien hinsichtlich der Synthese von antibakteriell wirksamen Molekülen rückte das Bakterium Microbacterium arborescens in den Mittelpunkt der Forscher. In einer Kultur konnte das oben beschriebene Microvionin isoliert werden. Dessen überraschende Struktur und Biosynthese veranlasste die Wissenschaftler nach ähnlichen Verbindungen in der Natur zu suchen. Und tatsächlich, die Arbeitsgruppe entdeckte beim sogenannten „Genome Mining“ eine weitverbreitete Verteilung der Biosynthese-Gencluster. Mehr als zehn potenzielle Kandidaten zeigten eine starke Aktivität gegen pathogene Bakterien, inklusive gegen den sogenannten Klinik- bzw. Krankenhauskeim Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA).
Lipolanthine - Antibiotika der Zukunft?
MRSA sind insbesondere für abwehrgeschwächte Personen wie Kinder, ältere Patienten oder chronisch Kranke gefährlich - und mitunter sogar tödlich. Sich immer weiter verbreitende Resistenzen gegen die üblichen Antibiotika verhindern oft eine effektive und wirksame Therapie. Neue Antibiotika müssen sich deshalb strukturell stark von den bisherigen, üblicherweise eingesetzten Wirkstoffen unterscheiden – und da ansetzen, wo andere versagen. Die neue Gruppe der Lipolanthine scheint diesen Anforderungen zu entsprechen. Süßmuth ist überzeugt, dass sich die Gruppe an Antibiotika in Zukunft weiter vergrößern wird. Der Grundstein dafür ist bereits gelegt und der Professor sieht optimistisch in die Zukunft: „Wir versuchen natürlich nun auch die anderen Moleküle zu isolieren und dann auch Rückschlüsse zwischen der Struktur und Bioaktivität zu ermitteln. Außerdem ist auch die Aufklärung der verbleibenden Schritte der Biosynthese für uns sehr interessant. Zu guter Letzt hoffen wir auch die Entwicklung von Microvionin zu einem nutzbaren Medikament vorantreiben zu können. Wir stehen bei diesem Projekt ja gerade erst in den Startlöchern und ich bin gespannt wie es jetzt weitergeht.“