Neue Delta-Mutante AY.4.2 verbreitet sich weiter

Die neue Delta-Linie weist zwei Mutationen im Spike-Gen des SARS-CoV-2-Virus auf und ist möglicherweise ansteckender als die Ursprungsvariante Delta. Noch ist die Mutante aber nicht als „Variante unter Beobachtung“ oder „besorgniserregende Variante“ eingestuft worden.

Corona-Mutation

In jüngster Zeit verbreitet sich eine neue Virusform in Großbritannien: die Linie AY.4.2, eine Unterform der Deltavariante. Nachdem die Mutante erstmals im September nachgewiesen wurde, nahm die Zahl der AY.4.2-Fälle stetig zu. In den letzten 28 Tagen machte sie etwa 9 Prozent aller COVID-19-Infektionen im Vereinigten Königreich aus – Tendenz steigend.

AY.4.2 wurde auch in anderen europäischen Ländern beobachtet, unter anderem in Dänemark, Deutschland und Irland. Noch ist unklar, ob die Mutationen im Spike-Protein dem Virus einen Selektionsvorteil verschaffen [1].

Von AY.4 zu AY.4.2 – ein Überblick

Großbritannien ist eins der weltweit führenden Länder in der genomischen Beobachtung von SARS-CoV-2. Um Virusmutationen frühzeitig zu erkennen, werden deutlich mehr Genome von COVID-19-Proben sequenziert als beispielsweise in Deutschland. Das britische Konsortium detektierte auch die Variante B.1.617.2, die später von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Delta bezeichnet wurde. Von dieser Linie gehen die AY-Formen aus, von denen bislang 25 Linien identifiziert sind – jede mit zusätzlichen Mutationen in ihrem Genom. Eine dieser Linien ist AY.4, die in den letzten Monaten im Vereinigten Königreich stetig an Bedeutung gewonnen hat. Sie war in den letzten 28 Tagen für 62,43 Prozent der neuen Fälle verantwortlich [1].

Gründereffekt oder Selektionsvorteil?

Ob die Mutationen von AY.4 einen echten Vorteil darstellen oder ob die zunehmende Häufigkeit der Linie auf einen sogenannten „Gründereffekt“ zurückzuführen ist, weiß man bislang nicht sicher. Möglicherweise hat sich AY.4 bei einer Gruppe von Personen – etwa bei einem Geschäftstreffen oder auf einer Großveranstaltung – aufgrund günstiger Bedingungen ausgebreitet, ohne einen eindeutigen Vorteil gegenüber früheren Linien zu haben. Das Virus wäre dann der „Gründer“ gewesen, also das einzige Virus, das sich auf dem Ereignis verbreitet hat.

Infiziert sich eine große Anzahl von Menschen damit und steckt dann wiederum andere an, kann sich schnell eine große Menge an Viren aus demselben Ursprung gebildet haben. Manchmal muss eine bestimmte Form eines Virus nicht besser sein als andere, um zu dominieren – sie muss einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, so Bashton und Smith von der Northumbria University in einem Fachartikel der Zeitschrift „The Conversation“ [2].

Aufgrund der Dominanz der Linie könnte AY.4 durchaus einen selektiven Vorteil gehabt haben. Die entscheidende Veränderung bei AY.4 ist die Mutation A1711V, die sich auf das Nsp3-Protein des Virus auswirkt, das bei der viralen Replikation unterschiedliche Funktionen erfüllt. Die Folgen dieser Mutation sind bis heute unbekannt. Ende September wurde erstmals eine Unterlinie von AY.4 entdeckt: AY.4.2; vermutlich tauchte sie aber bereits im Juni in England auf. Die Zahl der AY.4.2-Fälle hat stetig zugenommen, sodass sie in den letzten 28 Tagen 9,26 Prozent der Fälle im Vereinigten Königreich ausmachten [1,2].

Hat AY.4.2 einen Vorteil?

AY.4.2 ist durch zwei zusätzliche genetische Mutationen gekennzeichnet, die das Spike-Protein betreffen: Y145H und A222V. Ob sie dem Virus einen Selektionsvorteil verschaffen, ist ebenfalls unklar. A222V wurde bereits im vergangenen Jahr in der B.1.177-Linie beobachtet, die wahrscheinlich in Spanien entstanden ist und dann über Nordeuropa verbreitet wurde. Damals glaubten nur wenige Wissenschaftler, dass A222V dem Coronavirus einen Vorteil verschafft. Tatsächlich scheint die Vermehrung von AY.4.2 erst nach dem Erwerb der Y145H-Mutation stattgefunden zu haben.

Diese Mutation befindet sich in einem Teil des Spike-Proteins, der häufig von Antikörpern erkannt und angegriffen wird. Dieser Abschnitt des Spike-Proteins wurde bereits einmal durch eine Mutation im genetischen Material von Delta verändert. Dies könnte ein entscheidender Grund sein, dass sich Delta den Antikörpern, die nach der Impfung gebildet werden, besser entziehen kann. Die Forschungsarbeit, die dies untersucht, befindet sich noch im Preprint. Für eine sichere Interpretation der Daten sollte man zunächst die wissenschaftliche Prüfung abwarten [3].

Fazit

Es ist theoretisch denkbar, dass die Y145H-Mutation von AY.4.2 das SARS-CoV-2-Virus für Antikörper noch schlechter erkennbar macht und ihm damit eine noch größere Fähigkeit verleiht, der Immunität zu entgehen. Als Gegenargument führen Bashton und Smith an, dass sich AY.4.2 trotz der Einführung in mehreren europäischen Ländern nicht durchsetzen konnte, etwa in Deutschland und Irland. Dies deutet darauf hin, dass die neue Unterlinie AY.4.2 die Antikörper doch nicht stärker unterwandern kann als Delta. Andererseits könnte es aber auch sein, dass in diesen Ländern nicht genug AY.4.2 ankam, um sich durchzusetzen.

Bislang kann nicht vorhergesagt werden, ob AY.4.2 der Beginn der nächsten dominanten Linie ist. Jede Fähigkeit, der Immunität zu entkommen, muss erst durch experimentelle Arbeiten bestätigt werden. Das Auftauchen der Sub-Variante zeigt jedoch, dass eine genomische Überwachung von SARS-CoV-2 weiterhin erforderlich ist.

Autor:
Stand:
27.10.2021
Quelle:
  1. COVID-19 Genomics UK Consortium (COG-UK): Variants of concern (VOC) and under investigation (VUI) and any other variant by weeks and days; abgerufen am 26. Oktober 2021.
  2. Bashton, M., Smith, D. (2021): COVID: how worried should we be about the new AY.4.2 lineage of the coronavirus? The Conversation; Stand 25. Oktober 2021; abgerufen am 26. Oktober 2021.
  3. McCallum, M. et al. (2021): Molecular basis of immune evasion by the delta and kappa SARS-CoV-2 variants. bioRxiv 2021 Aug; 2021.08.11.455956; DOI: 10.1101/2021.08.11.455956. (Preprint)
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