
Alle verfügbaren Corona-Impfstoffe zeigen ein hohes Schutzniveau gegen schwere COVID-19-Verläufe. Durchbruchinfektionen werden jedoch nur mäßig effektiv verhindert. Bisher gibt es keine Informationen darüber, ob sich aus dem Antikörperspiegel nach einer Auffrischungsimpfung ein potenzielles Risiko für eine Durchbruchsinfektion abschätzen lässt. Dies untersuchte ein Forscherteam um Dr. Birte Möhlendick vom Institut für Pharmakogenetik am Universitätsklinikum Essen. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Frontiers in Immunology“ publiziert [1].
Zielsetzung
Die Arbeitsgruppe wollte ermitteln, ob sich routinemäßige Tests von Anti-SARS-CoV-2-IgG-Antikörper-Titern und der Virusneutralisierungskapazität der Seren nutzen lassen, um das Risiko für eine Durchbruchsinfektion abzuleiten.
Methodik
Das Team bestimmte die Anti-SARS-CoV-2-IgG-Antikörper-Titer und die Neutralisierungskapazität gegen Omikron in Serumproben von 1391 Mitarbeitern des Gesundheitswesens am Universitätsklinikum Essen. Hierfür wurde den Studienteilnehmern nach der ersten Impfung sowie einen und sechs Monate nach der zweiten und schließlich einen Monat nach der dritten (Auffrischungs-)Impfung gegen COVID-19 Serumproben entnommen.
Anschließend verglichen die Wissenschaftler die demographischen Daten, die jeweiligen Impfschemata, die ermittelten Antikörpertiter vor einer Durchbruchsinfektion und die Neutralisierungskapazitäten zwischen Personen mit und ohne Durchbruchsinfektion. Alle Personen wurden gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfstoffkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) geimpft.
Ergebnisse
Zwischen dem 29. November 2021 und dem 5. März 2022 übermittelten insgesamt 102 Teilnehmer (7,3%) eine per PCR-bestätigte SARS-CoV-2-Infektion. Die Omikron-Variante wurde bei 16 Personen (15,7%) sequenziert. Aufgrund des Untersuchungszeitraums und der weiten Verbreitung dieser Sublinie gehen die Studienautoren davon aus, dass Omikron auch für die anderen Durchbruchinfektionen verantwortlich war. Die Teilnehmer infizierten sich im Schnitt 52 Tage (10–127) nach der Booster-Impfung.
Mit Ausnahme eines geringfügig, aber signifikant jüngeren Alters (37 vs. 41 Jahre, p = 0,004) der mit SARS-CoV-2 infizierten Teilnehmer gab es hinsichtlich Impfschema, Geschlecht, BMI, Raucherstatus oder anderer Vorerkrankungen keine Unterschiede zu den nicht infizierten Probanden. Alle Infektionen wurden als leichte bis mittelschwere erkältungsähnliche Symptomatik beschrieben.
Keine Person musste stationär aufgenommen werden. Im Durchschnitt dauerten die Symptome sechs Tage (0–22) an, wobei Schnupfen (53,9%), Halsschmerzen (52,9%), Kopfschmerzen oder Husten (beide 45,1%) und Müdigkeit (34,3%) die häufigsten Symptome waren. Andere für COVID-19 typische Beschwerden wie Fieber (21,6%), Dyspnoe (15,7%), Dysosmie (9,8%) und Dysgeusie (6,9%) wurden nur selten beobachtet. Zehn Personen (9,8%) blieben asymptomatisch.
Anti-Spike-Antikörpertiter und Virusneutralisierungskapazität
Nach der ersten sowie einen und sechs Monate nach der zweiten Impfung unterschieden sich die Anti-Spike-Antikörpertiter und Virusneutralisierungskapazität kaum zwischen Personen mit und ohne spätere Omikron-Infektion. Signifikante Abweichungen gab es hingegen nach der Auffrischungsimpfung (Booster) bzw. vor der Durchbruchinfektion.
Bei den infizierten Teilnehmern lagen die Titer an neutralisierenden Antikörpern (nAB) vor der Infektion bei durchschnittlich 3477 BAU/ml, bei denjenigen ohne Durchbruchsinfektion bei circa 4733 BAU/ml. Probanden mit Anti-Spike-Antikörpertiter-Konzentrationen von ≤2816 BAU/ml hatten ein zweifach erhöhtes Risiko, an einer Durchbruchsinfektion zu erkranken – im Vergleich zu Personen mit Antikörperspiegeln über diesem Schwellenwert.
Des Weiteren gab es Auffälligkeiten bei der virusspezifischen Hemmungsaktivität in Neutralisationsassays. Diese war in der Gruppe der Personen mit einer Durchbruchsinfektion deutlich niedriger als bei den Nichtinfizierten (77,1% vs. 88,5%). Bei einer Neutralisationskapazität der Seren gegen Omikron von ≤ 65,9 Prozent bestand ein 3,6-fach erhöhtes Risiko für eine Durchbruchinfektion.
Fazit
Nach Berechnungen der Studienautoren weisen Menschen mit niedrigen Anti-Spike-Antikörpern vor der Infektion (≤ 2641 BAU/ml) und einer schwachen Neutralisierungskapazität (≤ 65,9%) gegen Omikron einen Monat nach der Auffrischungsimpfung ein zehnfach erhöhtes Risiko für eine Durchbruchsinfektion auf als Personen mit Werten oberhalb dieser Grenze (p=0,001; 95%-KI: 2,36–47,55).
Demzufolge würde eine routinemäßige Bestimmung von Anti-SARS-CoV-2-IgG-Antikörpern in Kombination mit der Virusneutralisierungskapazität helfen, Menschen mit einem erhöhten Risiko für eine Durchbruchsinfektion zu identifizieren