EU-Millionenförderung für Entwicklung eines Wirkstoffs gegen Strahlenkrankheit

Das in Berlin ansässige Pharmaunternehmen Myelo Therapeutics erhält 17 Millionen Euro Fördergeld aus dem Europäischen Verteidigungsfonds für die Entwicklung eines Wirkstoffs gegen Strahlenkrankheit. Der Wirkstoffkandidat soll hämatopoetische Symptome infolge eines radiologischen bzw. nuklearen Zwischenfalls oder Angriffs sowie nach Strahlen- und Chemotherapie reduzieren.

Atomkatastrophe

Hintergrund

Myelo Therapeutics, ein Tochterunternehmen der Eckert & Ziegler Strahlen- und Medizintechnik, hat Fördermittel aus dem Europäischen Verteidigungsfonds in Höhe von rund 17 Millionen Euro für die Entwicklung eines Arzneimittels gegen das akute Strahlensyndrom (ARS) erhalten. Der Fond wurde angesichts des seit Februar andauernden russischen Angriffs auf die Ukraine aufgesetzt. Er ist für militärisch-medizinische Gegenmaßnahmen (MCM) gegen chemisch-biologische, radiologische und nukleare Bedrohungen gedacht, wie sie bei Terroranschlägen, nuklearen Unfällen und Waffenentwicklungen sowie bei Epidemien durch neu oder wieder auftauchende Krankheitserreger auftreten können.

Das internationale Team von Myelo Therapeutics arbeitet mit Unterstützung vom US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) bereits seit 2019 an neuartigen MCM für den Einsatz im EU- und NATO-Gebiet. Der sich in der aktuellen Forschung befindliche Arzneimittelkandidat wird unter der Bezeichnung myelo001 geführt. Das Unternehmen hofft, den Wirkstoff innerhalb des vierjährigen Förderzeitraums bis zur Marktreife entwickeln zu können, sodass ein Zulassungsantrag gestellt werden kann.

Über myelo001

Myelo001 ist ein niedermolekularer, sich auf die Hämatogenese auswirkender oral einzunehmender Arzneistoff. Seine Anwendung wird zur Behandlung der Chemotherapie-induzierten Myelosuppression (CIM), der Strahlen-induzierten Myelosuppression (RIM) sowie des akuten Strahlensyndroms (ARS) untersucht. Gemäß Myelo Therapeutics regt er die Differenzierung unreifer myeloischer Vorläuferzellen an.

Seine Wirkung beruht sowohl auf dem Schutz unreifer granulozytärer Zellen in ihrem Frühstadium nach einer zytostatischen Behandlung und/oder Bestrahlung als auch auf einer aktiveren Reifung von Neutrophilen. Bei der Chemotherapie-induzierten Neutropenie hat myelo001 bereits die klinische Phase erreicht. In nicht klinischen Studien wird der Kandidat als prophylaktische und therapeutische Behandlung des akuten Strahlensyndroms und der strahleninduzierten Myelosuppression untersucht.

Akutes Strahlensyndrom (ARS)

Das akute Strahlensyndrom (ARS), auch bekannt als Strahlenkrankheit, ist ein Multiorgan-Geschehen, das sich in Abhängigkeit von der Strahlendosis und der betroffenen Organe/Organsysteme unterschiedlich manifestiert. Auslöser ist ionisierende Strahlung, wie sie bei einer Nuklearwaffenexplosion ausgesendet wird oder bei Unfällen von Atomkraftwerken entstehen kann. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) unterteilt folgende Erscheinungsformen:

  • Strahlenexpositionen < 1 Gy: in der Regel ohne Beschwerden
  • Dosisbereich von 1 bis 6 Gray (Gy): hämatopoetische Form mit charakteristischen Veränderungen im Blutbild
  • Dosisbereich von 5 bis 20 Gy: gastrointestinale Form mit Strahleneffekten an der Magen-Darm-Schleimhaut
  • Strahlenexpositionen > 20 Gy: zerebrovaskuläre Form durch Ausfall der zentralnervösen Regulationsmechanismen
  • ab etwa 3 Gy lokaler Dosis: (muko)kutane Form mit Strahlenschäden an Haut und Schleimhäuten

Verlauf

Ähnlich wie bei einem viralen Infekt verläuft die Strahlenkrankheit in folgenden Phasen:

  • Prodromalphase mit unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen; je höher die Dosis bzw. je schwerer das Strahlensyndrom, desto schneller treten die Symptome auf und desto länger halten sie an
  • Latenzphase (symptomlose Zeit); abnehmende Zeitspanne mit steigenden Strahlendosen
  • Manifestationsphase
    • hämatopoetische Form: Fieber, Schwäche, Infektionen, Blutungsneigung
    • gastrointestinale Form: massiver Durchfall (evtl. blutig), Schock, Infektionen, Blutungen
    • zerebrovaskuläre Form: Krämpfe, Bewusstseinsverlust mit kardiovaskulärem Schock
    • (muko)kutane Form: Haarausfall, Radiodermatitis und Schleimhautgeschwüre (Mundhöhle)
  • Restitutionsphase je nach Schwere und Ausprägung des Krankheitsbilds von unterschiedlicher Dauer

Therapie

Bei der Prophylaxe und Therapie von DNA-Schäden und der Eindämmung einer vermehrten Apoptose können Arzneimittel wie Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktoren (G-CSF), Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierende Faktoren (GM-CSF) und Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten (TRA) eine geeignete Therapieoption sein. In den USA sind diese bereits beim ARS-assoziierten hämatopoetischen Syndrom zugelassen.

Prognose

Die Prognose für Verunfallte bzw. Patienten mit akutem Strahlensyndrom hängt von mehreren Einflussfaktoren ab. Bei einer kurzzeitigen Ganzkörperexposition < 3 Gy erholen sich Betroffene in der Regel ohne Behandlung. Auch bei Strahlenexpositionen < 6 Gy sind die Heilungsaussichten – eine optimale therapeutische Unterstützung vorausgesetzt – gut. Bei Strahlenexpositionen von mehr als 15 Gy stehen die Überlebenschancen trotz bestmöglicher Patientenversorgung schlecht.

Jodtabletten bei nuklearem Notfall

Bei einem nuklearen Unfall/Angriff freigesetztes radioaktives Jod kann sich in der Schilddrüse anreichern und diese schädigen. Dies kann durch eine ausreichende Menge an nicht-radioaktivem Jod in Form einer hochdosierten Tablette (sogenannte Jodblockade) verhindert werden.

Voraussetzung für eine Wirksamkeit ist die Einnahme zum richtigen Zeitpunkt. Jodtabletten für den nuklearen Notfall dürfen daher nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden – und nur in der von den Behörden genannten Dosis.

Um die Bevölkerung in einem nuklearen Notfall zu schützen, stehen den Bundesländern 189,5 Millionen Jodtabletten zur Verfügung. Diese würden im Fall einer möglichen Notsituation verteilt. Von einer eigenmächtigen Anwendung wird dringend abgeraten.

Autor:
Stand:
10.08.2022
Quelle:
  1. Eckert & Ziegler Strahlen- und Medizintechnik, Pressemitteilung: Eckert & Ziegler Affiliate to Receive Multi-Million Euro Grant from the European Defense Fund for Development of Medical Countermeasures; 04. August 2022.
  2. Myelo Therapeutics, myelo001; abgerufen am 09. August 2022.
  3. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Kurzmeldung: Bundesländer mit neuen Jodtabletten versorgt. Stand 18. Dezember 2020; abgerufen am 09. August 2022.
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