
Die COVID-19-Impfung soll sowohl vor schweren Krankheitsverläufen schützen als auch die Übertragung von SARS-CoV-2 verhindern. Einige Menschen stecken sich trotz vollständiger Grundimmunisierung mit dem Coronavirus an, werden PCR-positiv getestet und können die infektiöse Viren ausscheiden. In welchem Maß eine COVID-19-Impfung die Weitergabe von SARS-CoV-2 reduziert, kann derzeit nicht genau quantifiziert werden.
Das Ausmaß der Übertragungswahrscheinlichkeit hängt vermutlich von den Virusvarianten ab. Dies ist Thema einer Vorabveröffentlichung, die auf dem Preprint-Server medRxiv publiziert wurde. Deren Bestätigung durch ein Peer-Review-Verfahren steht noch aus.
Fragestellung
Mithilfe einer multivariablen logistischen Regression untersuchten Eyre, D. W und Kollegen den Einfluss der Coronimpfung auf die Virusübertragung von Indexfällen zu Kontaktpersonen, die Bedeutung von Alpha- und Delta-Varianten (klassifiziert nach S-Gen-Nachweis/Kalendertrends) sowie den zeitlichen Zusammenhang nach der zweiten Impfung. Als Impfstoffe kamen Comirnaty von BioNTech/Pfizer und Vaxzevria von AstraZeneca zum Einsatz.
Methodik
Die Arbeitsgruppe erstellte eine retrospektive Kohortenstudie über Kontaktpersonen von SARS-CoV-2-infizierten Indexfällen, die zwischen dem 02. Januar 2021 und dem 02. August 2021 getestet wurden. Alle Daten stammen vom nationalen Kontaktermittlungs- und Testdienst „NHS Test and Trace“ in Großbritannien. Das Alter der Indexfälle betrug im Schnitt 34 und das der Kontaktpersonen 43 Jahre. 51 Prozent der Indexfälle und 57 Prozent der Kontaktpersonen waren weiblich. Die Kontakte fanden überwiegend im Haushalt statt (66%), ferner bei Hausbesuchen (11%), Veranstaltungen/Aktivitäten (11%) und der Arbeit/Ausbildung (11%).
Ergebnisse
Bei vollständig geimpften Personen, die zwei Dosen Comirnaty bzw. Vaxzevria erhielten und in Kontakt zu Patienten standen, die sich mit der Alpha-Variante infiziert hatten, fiel die PCR-Positivität impfstoffunabhängig am geringsten aus (bereinigtes Ratenverhältnis im Vergleich zu Ungeimpften [aRR] = 0,32; 95%-KI: 0,21–0,48 bzw. 0,48; 95%-KI: 0,30–0,78]).
Die Delta-Variante schwächte die mit dem Impfstoff assoziierte Übertragungsverringerung jedoch ab. Dieser Effekt war nach zwei Dosen Vaxzevria (aRR = 0,76; 95%-KI: 0,70-0,82) stärker ausgeprägt als nach zwei Impfungen mit Comirnaty (aRR = 0,50; 95%-KI: 0,39–0,65).
Viruslast
Niedrigere Ct-Werte (höhere Viruslasten) waren sowohl bei Alpha als auch bei Delta unabhängig voneinander mit einer erhöhten Übertragung assoziiert – wobei bei der Alpha-Variante die Virusweitergabe bei abnehmender Viruslast (und anteigendem Ct-Wert) durch eine Impfung stärker verringert wurde als bei Delta.
Variationen der Ct-Werte erklärten allerdings nur 7 bis 23 Prozent des Rückgangs des impfvermittelten Übertragungsschutzes.
Schutzwirkung bei Kontaktpersonen
Die geschätzte Auswirkung des Impfstatus der Kontaktpersonen spiegelt nicht notwendigerweise die Gesamtwirksamkeit des Impfstoffs wider, da die Aufnahme in die Studie von der Tatsache abhing, dass es sich um eine getestete Kontaktperson handelte. Erwartungsgemäß steckten sich innerhalb der Studie mehr ungeimpfte Personen an als Vollimpfkontakte. Bei der Delta-Variante wurden mehr geimpfte Kontakte PCR-positiv getestet als bei der Alpha-Mutation.
Zeitfaktor
Der impfstoffassoziierte Übertragungsschutz nahm im Laufe der Zeit nach der zweiten Impfung bei den Indexfällen ab. Unabhängig vom Impfstatus der Kontaktpersonen stieg für jede Verdoppelung der Wochen ab 14 Tagen nach der zweiten Impfung die Rate der PCR-positiv getesteten Kontaktpersonen um das 1,08-fache (95%-KI: 1,05–1,11) unter Vaxzevria und um das 1,13-fache (95%-KI: 1,05-1,21) unter Comirnaty.
Bei der Alpha-Variante lag der Übertragungsschutz zwei Wochen nach der zweiten Dosis von Comirnaty bei 68 Prozent in Woche zwei und fiel in Woche zwölf auf 52 Prozent, bei Vaxzevria war eine Reduktion von 52 auf 38 Prozent beobachtbar. Bei der Delta-Variante verringerte sich der Übertragungsschutz unter Comirnaty von Woche zwei bis Woche zwölf von 50 auf 24 Prozent und von 24 auf 2 Prozent unter Vaxzevria.
Demzufolge hatten Vaxzevria-Geimpfte drei Monate nach der zweiten Impfung eine ähnliche Schutzwirkung bezüglich der Übertragung der Delta-Variante wie ungeimpfte Personen.
Fazit
Sowohl Comirnaty als auch Vaxzevria verringern die Weitergabe von SARS-CoV-2 bei Impfdurchbrüchen bzw. von Personen, die trotz Impfung infiziert sind. Bei der zirkulierenden Delta-Variante fällt dieser Effekt allerdings geringer aus als bei der Alpha-Mutation, speziell bei Infektionen mit Symptomen oder mäßiger/hoher Viruslast. Die Delta-Variante untergräbt die impfstoffbedingte Immunität, da sie sowohl die Häufigkeit einer Infektion als auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung erhöht.
Fragestellungen
Bislang ging man davon aus, dass Impfstoffe die Virus-Weiterübertragung von infizierten geimpften Personen reduzieren, indem sie die Viruslast verringern. Die Studienautoren stellten jedoch fest, dass eine erheblich Schutzwirkung auch nach Anpassung der Ct-Werte bestehen blieb. Das legt nahe, dass andere Faktoren als die PCR-gemessene Viruslast bei der Diagnose für die impfstoffbedingte Verringerung der SARS-CoV-2-Übertragung von Bedeutung sind. So könnte die Impfung eine schnellere Beseitigung lebensfähiger infektiöser Virionen bewirken. Denkbar wäre in dem Zusammenhang, dass geschädigte ineffektive Virusbestandteile zurückbleiben, die noch PCR-detektierbare RNA enthalten. Damit könnten Antigentests Vorteile bei der Vorhersage des Risikos einer Weiterübertragung bei Geimpften haben.
Ein Nachlassen des Schutzverhaltens im Laufe der Zeit ist möglicherweise auf weitere Faktoren zurückzuführen, etwa eine geringere soziale Distanzierung und/oder das Weglassen von Masken nach der Impfung. Durch den Rückgang von Antikörpertiter und Wirksamkeit des Impfstoffs im Laufe der Zeit ist eine biologische Erklärung indes wahrscheinlicher.
Darüber hinaus könnte ein Teil des beobachteten Rückgangs darauf basieren, dass die klinisch anfälligen Personen vor der Impfung ein schwächeres Immunsystem aufwiesen, so eine Theorie der Arbeitsgruppe.
All das sind bislang nur Hypothesen, die in weiteren Studien untersucht werden müssen.