
Hintergrund
Bei Patienten mit Rückenschmerzen zeigen sich in der bildgebenden Diagnostik relativ oft auffällige Befunde, die jedoch nicht mit den Schmerzen in Zusammenhang stehen. Man spricht von Zufallsbefunden, die sich häufig als altersbedingte degenerative Veränderungen zeigen. Weiterhin werden ähnliche Befunde auch bei Menschen diagnostiziert, die nicht unter Rückenschmerzen leiden. Nicht selten folgen trotzdem weitere Diagnostik und Therapie.
In kleineren Beobachtungsstudien konnten mehrere Studiengruppen zeigen, dass weitere Interventionen weniger wahrscheinlich waren, wenn die Befunde der bildgebenden Diagnostik in den Befundberichten hingehend ihrer Prävalenz und Bedeutung als Zufallsbefunde eingeordnet wurden. Diese Resultate legen nahe, dass die Einordnung der Befunde sowohl Ärzte als auch Patienten beruhigen und somit zu weniger anschließenden – möglicherweise unnötigen – Interventionen führen.
Diese Beobachtungen unterstreichen die nicht unerhebliche Rolle, welche die Psyche bei Rückenschmerzen, gerade im chronischen Stadium, spielt [1].
Zielsetzung
Ein Team um Jeffrey Jarvik von der University of Washington in Seattle untersuchte den Einfluss von Hinweisen zur Prävalenz und Einordnung der Befunde in den Befundberichten zur spinalen Bildgebung auf die weitere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und die Verschreibung von Opioiden [1].
Methodik
In dieser randomisierten klinischen Studie wurden 250.401 erwachsene Patienten mit Rückenschmerzen aus 98 Einrichtungen zu medizinischen Primärversorgung in den USA gescreent. Die Teilnehmer hatten in den Jahren zwischen 2013 und 2016 eine bildgebende Diagnostik erhalten. Weiterhin hatte bei allen Teilnehmern im Jahr davor keine spinale Bildgebung stattgefunden. Analysiert wurden die Daten in den Jahren 2018 und 2019.
Der primäre Endpunkt war die Beanspruchung der Gesundheitsversorgung, welche als RVU (spine-related relative value units) über ein Jahr gemessen wurde. Der sekundäre Endpunkt war die Rate der Verschreibungen von opioidhaltigen Schmerzmitteln durch Ärzte der Primärversorgung.
Ergebnisse
Von den 250.401 Teilnehmern erfüllten 238.886 (95,4%) die Einschlusskriterien. 57,5% der Teilnehmer waren weiblich und 44,2% männlich. Das Alter der Studienteilnehmer lag bei über 60 Jahren. Insgesamt wurden 117.455 Teilnehmer (49,2%) der Kontrollgruppe zugeteilt und 121.431 Teilnehmer (50,8%) der Interventionsgruppe. Die Patienten der Kontrollgruppe erhielten einen „normalen“ Befundbericht, während die Befundberichte für die Patienten der Interventionsgruppe um Angaben zur Prävalenz von altersbedingten degenerativen Veränderungen und altersbedingten Anomalien der Wirbelsäule sowie zum Auftreten solcher Veränderungen bei asymptomatischen Patienten ergänzt wurden.
Primärer Endpunkt
Bezüglich des primären Endpunktes zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen über den Beobachtungszeitraum von einem Jahr. Der adjustierte mediane RVU-Wert lag in der Kontrollgruppe bei 3,65 (2,71-5,12) und in der Interventionsgruppe bei 3,53 (2,68-5,08). Die Differenz betrug somit -0,7% (95% Konfidenzintervall [CI] -2,9%-1,5%; p = 0,54). Die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht, wenn man spezifische klinische Befunde in den Befundberichten betrachtet, aber im Hinblick auf die Art der durchgeführten bildgebenden Diagnostik (CT: Differenz -29,3%; 95% CI -42,1% bis -13,5%; MRT: Differenz -3,4%; 95% CI -8,3% bis 1,8%).
Sekundärer Endpunkt: Weniger Opioide in Interventionsgruppe
Ein geringer, aber signifikanter Unterschied zeigte sich zwischen beiden Gruppen beim sekundären Endpunkt. In der Interventionsgruppe war die Wahrscheinlichkeit einer Opioidverschreibung innerhalb eines Jahres nach der Bildgebung geringer als in der Kontrollgruppe (Odds Ratio 0,95; 95% CI 0,91-1,00; p = 0,04).
Fazit
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Informationen zur Prävalenz und Bedeutung von Befunden einer spinalen Bildgebung im Befundbericht keinen Einfluss auf die weitere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen haben. Allerdings benötigten Patienten in der Studie seltener Opioide, wenn ihr Befundbericht diese einordnenden Kommentare enthielt.
„Schmerztherapeutisch ist das gut nachvollziehbar“, erklärt Professor Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), [3]. „Patienten, die wissen, dass eine bestimmte in der Bildgebung sichtbare Abnutzungserscheinung allgemein häufig ist und nicht in einem kausalen Zusammenhang mit dem Schmerz stehen oder gar gefährlich sind, sind entspannter, was sich dann wiederum positiv auf das Schmerzempfinden und die Psyche auswirkt. Daher ist die Patientenedukation bereits eine wesentliche Säule der multimodalen Therapie bei Patienten mit chronischen Schmerzen. Denn Wissen hilft gegen Schmerzen.“