
Hintergrund
Männer im mittleren Alter weisen häufiger kardiovaskuläre Erkrankungen und Risikofaktoren auf als Frauen in der gleichen Altersgruppe. Verschiedenen Studien zufolge sollen Zusammenhänge zwischen kardiovaskulären Erkrankungen oder Risikofaktoren in der Lebensmitte und einem kognitiven Abbau in diesem Lebensabschnitt bestehen. Bislang gibt es jedoch nur wenige Studien, die die geschlechtsspezifischen Aspekte der Zusammenhänge zwischen dem kognitiven Abbau und Herz-Kreislauf-Krankheiten oder kardiovaskulären Risikofaktoren untersucht haben [1].
Prospektive Studie an der Mayo Klinik
Wissenschaftler um Michelle M. Mielke, PhD, Ärztin und Alzheimerspezialistin an der Mayo Klinik in Rochester, USA, haben in einer prospektiven Studie die Zusammenhänge zwischen Geschlecht, kardiovaskulärer Gesundheit und kognitivem Abbau bei fast 1.900 Menschen im mittleren Alter untersucht. Zu Beginn der Studie war keiner der Teilnehmer an Demenz erkrankt. Die Studie wurde im Journal Neurology der American Academy of Neurology (AAN) veröffentlicht [2].
Zielsetzung
Ziel der Studie war es festzustellen, ob es hinsichtlich des kognitiven Abbaus im Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Risikofaktoren Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt.
Methoden
In die Studie wurde 1.857 Menschen im Alter von 50-69 Jahren ohne Demenzdiagnose eingeschlossen. Nurse Abstractors, eine Berufsgruppe, die eine besondere Ausbildung für die Analyse medizinscher Daten absolvieren, werteten die Patientenakten der Teilnehmer hinsichtlich kardiovaskulärer Vorerkrankungen und Risikofaktoren aus. Zu den gesuchten Vorerkrankungen zählten koronare Herzkrankheit, Arrhythmien und kongestive Herzinsuffizienz und zu den Risikofaktoren Hypertonie, Diabetes, Dyslipidämie, Adipositas und Rauchen (aktuelle und Ex-Raucher).
Studienablauf
Alle 15 Monate durchliefen die Teilnehmer neurologische und neuropsychologische Testprogramme Das neuropsychologische Testprogramm enthielt insgesamt neun Tests um die globale kognitive Leistung und domänenspezifische kognitive Leistungen (z-scores) zu ermitteln. Bei den domänenspezifischen kognitiven Leistungen wurden Gedächtnis, Sprache, exekutive Funktionen und visuell-räumliche Fähigkeiten getestet.
Ergebnisse
Mindestens eine kardiovaskuläre Erkrankung oder Risikofaktor wiesen 1.465 (70,3 %) Teilnehmer auf. Männer 83,4 % waren häufiger davon betroffen als Frauen 74,5 %. Die koronare Herzkrankheit und aktuelles oder ehemaliges Rauchen waren im Durchschnitt mit einem niedrigeren z-score für die visuell-räumlichen Fähigkeiten verbunden. Im Verlauf waren verschiedene kardiovaskuläre Konditionen mit Verschlechterungen der globalen oder domänenspezifischen kognitiven Leistungen verbunden, jedoch nicht mit einer Abnahme der visuell-räumlichen Fähigkeiten.
Geschlechtsspezifische Ergebnisse
Die meisten kardiovaskulären Konditionen waren bei Frauen stärker mit kognitiven Leistungen assoziiert als bei Männern. Die koronare Herzkrankheit und andere kardiovaskuläre Konditionen waren ausschließlich bei Frauen mit dem Abbau der globalen Kognition verbunden. Darüber hinaus waren Diabetes, Dyslipidämie und koronare Herzkrankheit nur bei Frauen mit einer Abnahme der sprachlichen Fähigkeiten verbunden. Bei Männern, aber nicht bei Frauen, hingegen konnte ein Zusammenhang zwischen kongestiver Herzinsuffizienz und einem Verlust sprachlicher Fähigkeiten festgestellt werden
Fazit
Michelle Mielke fasste die Ergebnisse der Studie in einer Pressemitteilung der AAN so zusammen: „Kardiovaskuläre Krankheiten oder Risikofaktoren in der Lebensmitte können mit einem kognitiven Abbau mittleren Alter verbunden sein. Diese Assoziation ist bei Frauen stärker ausgeprägt.“ Das gelte insbesondere für Herzkrankheiten, Diabetes und Dyslipidämie. Mielke forderte eine intensivere Forschung auf dem Gebiet der geschlechtsspezifischen Zusammenhänge zwischen kardiovaskulären Gesundheitsproblemen und Erkrankungen des Gehirns. Konkret wünschte sie sich mehr Untersuchungen unter Zuhilfenahme von Biomarkern wie Hyperintensitäten der weißen Substanz, nekrotische Hirnareale und der Integrität der weißen Substanz in der Lebensmitte. „Diese könnten uns helfen, besser zu verstehen, wie geschlechtsspezifische Mechanismen bei kardiovaskulären Krankheiten und Risikofaktoren zu den kognitiven Einschränkungen sowohl bei Frauen als auch bei Männern beitragen“, erklärte Mielke.