
Gerade scheint mit Lecanemab Bewegung in die seit Jahren stockenden Therapiebemühungen bei Alzheimer zu kommen. Die positiven Daten der CLARITY AD-Studie lassen hoffen. Aufgrund steigender Krankheitszahlen in einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung, sind weitere Therapie-Optionen für Alzheimer, die häufigste Form von Demenz, notwendig. Zur nicht-medikamentösen Therapie ist möglicherweise die tiefe Hirnstimulation geeignet.
Tiefe Hirnstimulation bei Neuropathien
Die tiefe Hirnstimulation wird seit den 1990er Jahren eingesetzt. Bei Parkinson gehört sie heute zur Routine in der invasiven Therapie. Das Verfahren zeigt sich wirksam im Vergleich zu Placebo und wurde in die europäische Leitlinie aufgenommen. Die tiefe Hirnstimulation findet unter anderem auch beim Tourette-Syndrom Anwendung.
Umgangssprachlich wird die Methode als „Hirnschrittmacher“ bezeichnet: Dauerhaft in das Gehirn implantierte Elektroden geben elektrische Impulse ab. Verschiedene Gehirnregionen werden dabei adressiert.
Flashback eines Patienten als Anlass für weitere Forschungen
Die Idee einer aktuellen Studie, die tiefe Hirnstimulation bei Patienten mit Alzheimer in einem bestimmten Gehirnareal einzusetzen, entstand durch das Auftreten von Flashbacks bei einem Patienten in Kanada. Die Ergebnisse der kanadisch-deutschen Studie wurden nun im Fachjournal „Nature Publications“ veröffentlicht [1].
„Die Tiefe Hirnstimulation löste bei einem Patienten, der aufgrund einer Adipositas behandelt wurde, Flashbacks – also plötzliche Erinnerungen aus Kindheit und Jugend – aus“, sagt Dr. Ana Sofía Ríos von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte und Erstautorin der Studie [2]. „Da lag die Vermutung nahe, dass sich die stimulierte Hirnregion, die sich im Bereich des sogenannten Fornix befand, womöglich auch für eine Behandlung von Alzheimer eignen könnte.“
Fornix und Alzheimer
Der Fornix cerebri ist eine C-förmige Projektionsbahn des Gehirns. Schädigungen des Fornix resultieren in anterograder Amnesie, Störungen des Langzeitgedächtnisses und der räumlichen Orientierung.
Die Wirkung der tiefen Hirnstimulation im Bereich des Fornix (Fornix Deep Brain Stimulation, fx-DBS) bei Alzheimer-Patienten wurde bereits in anderen Studien untersucht [3, 4]. Eine Studie, an der auch mehrere deutsche Kliniken beteiligt sind, läuft gerade noch (Advance II, registriert bei ClinicalTrials.gov unter der Nummer NCT03622905). Die bisherigen Beobachtungen zeigen eine unterschiedliche Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation bei Alzheimer. Worin diese Unterschiede begründet sind, ist nicht abschließend geklärt. Die Adressierung der geeigneten Hirnregion und die präzise Platzierung der Elektroden spielt in jedem Fall eine wichtige Rolle. Genau hier setzte die Studie des kanadisch-deutschen Forscherteams an.
Technische Unterstützung bei Platzierung der Elektroden
Die Forscher um Ríos werteten die Daten von 46 Patienten mit leichter Alzheimer-Demenz aus, die eine tiefe Hirnstimulation erhalten hatten. Dazu nutzten sie eine spezielle Software namens LEAD-DBS, um die MRT-Bilder der Patienten auszuwerten. Dadurch sollte der sogenannte Sweet Spot identifiziert werden, die optimale Region zur Platzierung der Elektroden. Da jedes Gehirn anders ist und schon wenige Millimeter einen großen Unterschied bewirken können, ist die Bildanalyse und Unterstützung durch Computermodelle sehr hilfreich bei der OP-Planung.
Sweet Spot zur DBS bei Alzheimer identifiziert
Im Ergebnis zeigte sich, dass bei Patienten, die einen positiven Effekt der tiefen Hirnstimulation erfuhren, die Elektroden alle in einer bestimmten Region platziert waren: „Sie liegt an einer Zweigstelle zwischen zwei Nervenfaserbündeln – dem Fornix und der Stria terminalis –, die tiefgelegene Hirnregionen miteinander verbinden. Beide Strukturen werden mit der Gedächtnisfunktion in Verbindung gebracht“, erklärt Prof. Dr. Andreas Horn, Leiter einer Forschungsgruppe zu netzwerkbasierter Hirnstimulation, die sowohl an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte als auch am Brigham & Women’s Hospital und Massachusetts General Hospital innerhalb der Harvard Medical School in Boston, USA, angesiedelt ist.
Grundlage für weitere Forschungen
Bis die tiefe Hirnstimulation bei Alzheimer Einzug in den klinischen Alltag hält, ist noch weitere Forschungsarbeit nötig. Mithilfe der Ergebnisse der aktuellen Studie, welche die optimale Lokalisation zur Implantierung der Elektroden identifiziert hat – die Zweigstelle zwischen Fornix und Stria terminalis – ist ein wichtiger Grundstein für weitere Studien gelegt.