
Akute Atemwegsinfektionen (akute respiratorische Infektionen, ARIs) sind weltweit ein häufiges Gesundheitsproblem bei Kindern unter fünf Jahren. Ungefähr 85% aller ARIs sind Infektionen der oberen Atemwege (Upper Respiratory Tract Infections, URTIs), von denen Pharyngitis und Tonsillitis die häufigsten sind. Kinder, die Kindertagesstätten besuchen, haben ein erhöhtes Risiko für URTIs.
Etwa 70-80% dieser Infektionen werden durch Viren verursacht, wobei das Rhinovirus, das Coronavirus und das Adenovirus 40-60% der Gesamtfälle ausmachen. Unter den bakteriellen Erregern sind Streptokokken der Gruppe A (GABHS) besonders relevant.
In den meisten Fällen erfolgt die Behandlung von URTIs ambulant. Die Infektionen sind mit erheblichen direkten und indirekten Kosten verbunden und beeinträchtigen die Lebensqualität.
Obwohl ARIs in der Regel selbstlimitierend und zu mehr als 70% viralen Ursprungs sind, ist der Einsatz von Antibiotika weltweit standardisiert. Der unangemessene Antibiotikaeinsatz begünstigt bakterielle Resistenzen, bringt das normale Gleichgewicht der menschlichen Mikrobiota durcheinander und führt zur Kolonisierung von Krankheitserregern.
Probiotika bei Infektionskrankheiten
Die Verwendung von Probiotika zur unterstützenden Behandlung oder Vorbeugung von URTIs bei Kindern wurde in mehreren Studien untersucht. Seit 2001 sind dazu etwa 45 randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) veröffentlicht worden.
Mehrere Studien haben die positive Wirkung des Milchsäurebakteriums Limosilactobacillus (Lactobacillus) reuteri zur Vorbeugung von URTIs bei Kindern gezeigt. Die L. reuteri-Stämme DSM 17938 und ATCC PTA 5289 haben antivirale und antimikrobielle Eigenschaften und wirken auf das Immunsystem und die Integrität der Schleimhäute ein. Beide Stämme sind in der Lage, die Substanz Reuterin zu produzieren. Reuterin ist sowohl antiviral als auch antimikrobiell aktiv.
L. reuteri-Stämme können zudem die Konzentration von sekretorischem Immunglobulin A (sIgA) erhöhen, das als ein wichtiger Faktor bei der Abwehr von Krankheitserregern gilt.
Zielsetzung
Das Forscherteam um den Pädiater José Alfonso Maya-Barrios vom Hospital General „Dr. Manuel Gea González“ in Mexiko-Stadt, Mexiko, wollte die Sicherheit und Wirksamkeit von L. reuteri ATCC PTA 5289 und DSM 17938 zur Verringerung der Dauer und Schwere der ARI-Symptome bei Kindern als Zusatz zu nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) prüfen.
Methodik
In die randomisierte kontrollierte Studie wurden Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren mit Pharyngitis oder Tonsillitis eigeschlossen. Die Kinder wurden in der Kindertagesstätte und der pädiatrischen Notaufnahme des Hospitals „Dr. Manuel Gea González“ in Méxiko-Stadt rekrutiert.
Primäre und sekundäre Endpunkte
Das primäre Ergebnis war die Dauer der Symptome und der Schweregrad der Halsentzündung. Daneben definierten die Wissenschaftler eine Anzahl von sekundären Ergebnissen, darunter Veränderungen von sIgA und Entzündungsmarkern. Zu den weiteren sekundären Ergebnissen zählten unter anderem die Häufigkeit von Rhinorrhoe, Hustenanfällen, Nasenverstopfung, Schlafstörungen, Tagen mit Fieber, Notwendigkeit einer Antibiotika-Behandlung, Anzahl der Besuche in der Arztpraxis oder Notaufnahme, Fehltage in der Kindertagesstätte und die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse.
Prüfpräparate
Das Verum bestand aus gefriergetrocknetem L. reuteri, suspendiert in einer Mischung aus mittelkettigen Triglyceriden und Sonnenblumenöl. Die Placebo-Tropfen enthielten die gleichen Inhaltsstoffe, waren aber frei von Bakterien. Verum und Placebo waren in Geschmack und Verpackung identisch und wurden von der Firma BioGaia AB (Stockholm, Schweden) geliefert. Um die Lebensfähigkeit der Bakterien zu gewährleisten, wurden die Produkte gekühlt gelagert (+2 bis 8 °C).
Die Tropfen wurden oral in einer täglichen Gesamtdosis von 4×108 cfu für zehn Tage verabreicht. Die Einnahme erfolgte zweimal täglich (morgens und abends). Die Kinder bekamen die Medikation als Ergänzung zu NSARs. Die Eltern wurden aufgefordert, das Prüfpräparat am Tag zehn nach der Randomisierung zurückzubringen. Die verbliebenen Tropfen wurden zur Überprüfung der Compliance gezählt.
Ablauf der Studie
Jedes teilnehmende Kind wurde nach dem Zufallsprinzip der Probiotikagruppe oder der Kontrollgruppe zugeteilt. Verblindung und Randomisierung erfolgten durch den Sponsor, BioGaia AB (Stockholm
Schweden), mit Hilfe der Website randomisation.com
Zu Beginn und zehn Tage nach der Randomisierung wurden nasopharyngeale Proben und Speichelproben genommen und auf sIgA und Entzündungsmarker untersucht. Die Eltern oder Erziehungsberechtigten wurden angeleitet, täglich die Symptome in einem Tagebuch zu erfassen. Während des Behandlungszeitraums rief ein Prüfer alle 48 Stunden an, um den Krankheitsverlauf, das Auftreten von unerwünschten Ereignissen und andere für die Studie relevante Informationen zu sammeln.
Wenn eine Antibiotikabehandlung erforderlich war, wurde diese mit Amoxicillin + Clavulanat 45 mg/kg/Tag oder Clarithromycin 7,5 mg/kg/Tag zweimal täglich für einen Zeitraum von sieben Tagen durchgeführt. Die Antibiotika-Einnahme wurde im Tagebuch und im elektronischen Fallberichtsformular (e-CRF) aufgezeichnet.
Die Kosten pro Kind (USD) für notwendige Behandlungen und Medikamente wurden zusammengefasst und in die Ergebnisanalyse für jede Gruppe einbezogen.
Statistische Analysen
Es wurde der statistische Ansatz „Intention-to-treat“ (ITT) verwendet.
Randomisierte Probanden, die mindestens drei Tage das Prüfpräparat erhalten hatten und von denen Daten für die primären Ergebnisse nach der Randomisierung vorlagen, wurden in die ITT-Analyse einbezogen. Die Parameter, die für die Endpunkte ermittelt wurden, verglichen die Forscher in den beiden Gruppen mittels t-Test.
Die Häufigkeiten der unerwünschten Ereignisse und der identifizierten viralen oder bakteriellen Erreger in jeder Gruppe wurden mit Chi-Quadrat- oder Fisher-Tests verglichen. In allen Hypothesenanalysen wurden Unterschiede als signifikant bewertet, wenn der p-Wert <0,05 war. Für die statistischen Analysen wurde Stata 15.0 für Mac verwendet.
Ergebnisse
Es wurden siebzig Kinder auf die Gruppen L. reuteri (n=35) oder Placebo (n=35) randomisiert. Das Alter der Kinder betrug 2,1±0,8 Jahre in der L. reuteri Gruppe und 2,4±1,1 Jahre in der Placebogruppe (p-Wert nicht signifikant).
Am Ende der Studie wurden signifikante Unterschiede in Bezug auf die Dauer der respiratorischen Symptome (3,1±0,8 Tage vs. 5,2±1,4 Tage, p<0,05), Tage mit Fieber (1,8±0,4 vs. 3,6±0,6, p<0,05), Schweregrad der Halsschmerzen (FLACC-Score 5±1,2 vs. 8±3,4, p<0,05), laufende Nase, Nasenverstopfung, Tage mit ungeplanten Besuchen in der Arztpraxis oder Notaufnahme und die damit verbundenen Kosten zu Gunsten der L. reuteri-Gruppe festgestellt.
In der L. reuteri-Gruppe trat an Tag zwei und den folgenden Tagen kein Fieber auf (37,3±0,5 °C gegenüber 38,6 ±0,3 °C, p<0,05). Signifikante Unterschiede wurden auch für TNF-α (Tumornekrosefaktor alpha) zugunsten der L. reuteri-Gruppe (3,8±0,7 pg/ml vs. 5,9±0,4 pg/ml, p<0,05) festgestellt. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied beim Einsatz von Antibiotika.
Die Häufigkeit der unerwünschten Ereignisse war in beiden Gruppen vergleichbar. Die Compliance lag bei 98% in der L. reuteri-Gruppe und bei 97% in der Placebo-Gruppe.
Fazit
Die Proof-of-Concept (PoC)-Studie zeigt, dass das Produkt mit der Kombination aus zwei Stämmen von L. reuteri (ATCC PTA 5289 und DSM 17938) nicht nur die Anzahl der Fieber- und Rachenschmerztage reduzieren konnte, sondern sich auch auf andere Atemwegssymptome lindernd auswirkte. Dadurch ließen sich die mit der Erkrankung verbundenen Kosten senken.
Die Wissenschaftler schließen auf einen erheblichen Mehrwert für die öffentliche Gesundheit und die individuelle Lebensqualität, da ARIs bei Kindern im Alter von unter fünf Jahren häufig sind.
Limitationen
Als Einschränkung weisen die Studienautoren auf die kleine Stichprobengröße hin. Diese schränke die Extrapolierbarkeit der Ergebnisse auf andere Populationen ein.
Obwohl sie signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen festgestellt haben, sei es nach Ansicht der Wissenschaftler ratsam, die Ergebnisse in einer weiteren klinischen Studie mit einer größeren Stichprobengröße zu bestätigen.
Als Ergebnis ihrer Studie vermerkten die Forscher, dass L. reuteri ATCC PTA 5289 in Kombination mit L. reuteri DSM 17938 geeignet sei, die Dauer und den Schweregrad der klinischen Symptome bei Kindern mit Pharyngitis oder Tonsillitis zu reduzieren.
Die Studie wurde bei ClinicalsTrials.gov registriert: ID NCT03377374