Die Tonsillitis ist eine über den physiologischen Rahmen hinausgehende Entzündung der Gaumenmandeln, deren Auslöser meist viraler und seltener bakterieller Herkunft sind. Häufig tritt sie gemeinsam mit einer Pharyngitis auf.
Die Gaumenmandeln sind Teil des Waldeyerschen Rachenrings, dessen lymphatisches Gewebe nach der Geburt fortwährend gegenüber Antigenen exponiert ist. Dieser Kontakt führt zu Immunreaktionen, sodass physiologisches Tonsillengewebe regelhafte Entzündungszeichen aufweist. Von einer Tonsillitis ist die Rede, wenn zu diesen physiologischen und lokalen Entzündungen klinische Symptome, wie Halsschmerzen und Schluckbeschwerden, sowie systemische Entzündungszeichen, wie Fieber, hinzukommen [1].
Epidemiologie
Die Tonsillitis tritt gehäuft im Kindes- und Schulalter auf; selten in den ersten zwei Lebensjahren. Bakterielle Tonsillitis ist typischerweise bei Kindern und Jugendlichen im Alter von fünf bis 15 Jahren zu beobachten, während jüngere Kinder häufiger von einer viralen Tonsillitis betroffen sind. In 50-80% der Fälle liegt ein grippaler viraler Infekt mit akuter Tonsillopharyngitis vor, während in 15-30% der Fälle die Erkrankung bakteriell bedingt ist. Jährlich werden ungefähr 120.000 Patienten in Deutschland aufgrund von einer Tonsillitis medizinisch behandelt [3]. In der pädiatrischen Population liegt die Inzidenz bei 15 bis 25 Fällen pro 1.000 Kindern pro Jahr [6].
Klassifikation
Man unterscheidet zwischen akuter und rezidivierender Tonsillitis. Des Weiteren wird anhand des Ausbreitungsstadiums unterteilt in [5]:
Angina catarrhalis: Die Tonsillen sind angeschwollen und gerötet.
Angina follicularis: Auf den Krypten der Tonsillen sind fibrinöse Beläge zu finden.
Angina lacunaris: Die fibrinösen Beläge sind zusammenfließend.
Ursachen
Die Tonsillitis ist entweder viraler oder bakterieller Genese. Viren, die eine Tonsillitis auslösen können, sind [1,4]:
Die Gruppe A der β-hämolysierenden-Streptokokken ist als Haupterreger der akuten bakteriellen Tonsillitis anzusehen und für 15-30% der Erkrankungen im Kindesalter und für 5-10% der Erkrankungen im Erwachsenenalter verantwortlich zu machen. Weitere bakterielle Erreger sind [1,4]:
Streptokokken der Gruppe C und G
Haemophilus influenzae
Nokardien
Corynebakterien
Neisseria gonorrhoeae
Pathogenese
Der Waldeyersche Rachenring, zu dem die Gaumenmandeln gehören, ist durch den ständigen Kontakt zu Antigenen wie Viren, Bakterien und Nahrungsbestandteilen an der Reifung des Immunsystems beteiligt. In diesem Rahmen kommt es zu einer Volumenzunahme des lymphatischen Gewebes, die nach dem zehnten Lebensjahr rückläufig ist. Auch danach befindet sich das lymphatische Gewebe weiterhin in einer Dauer-Immunreaktion, also in einem Entzündungsprozess.
Kommen systemische Entzündungszeichen und klinische Symptome hinzu, erlangen die oben beschriebenen Prozesse einen Krankheitswert. Virale Tonsillitiden führen in der Regel zu einer lymphozytären Entzündungsreaktion, während bakterielle Tonsillitiden eine granulozytäre Reaktion auslösen. Übertragen wird die Tonsillitis meist über Tröpfcheninfektion durch Erkrankte, wobei auch asymptomatische Personen Keimträger sein können. Des Weiteren sind Autoinfektionen über die normale Rachen- und Mundflora möglich. Haustiere und Gegenstände der Mundpflege können ebenfalls Keimreservoire darstellen [1].
Symptome
Typisch für die Tonsillitis sind Erkältungs- sowie Allgemeinsymptome, beispielsweise Fieber. Häufige Beschwerden sind [1,4]:
Halsschmerzen
Schmerzen beim Schlucken
Heiserkeit
Schmerzhafte Halslymphknoten
Mundgeruch
Luftnot
Fieber
Kopfschmerzen
Bauchschmerzen
Übelkeit
Anhand der klinischen Symptomatik ist es nicht möglich, auf den konkreten Erreger zu schließen.
Diagnostik
Anamnese
Neben einer ausführlichen Allgemeinanamnese mit Erfragung der oben genannten Symptomatik, sollte eine Umgebungsanamnese erfolgen und dabei erhoben werden, ob Kontakt zu Mitmenschen mit viralen Infektionen oder Streptokokkeninfekten bestanden, beispielsweise im Kindergarten oder in der Schule.
Körperliche Untersuchung
Der Allgemeinzustand sollte beurteilt werden. Im Rahmen der Palpation des Halses ist darauf zu achten, ob geschwollene und druckschmerzhafte Lymphknoten in den Kieferwinkeln und im Nacken vorhanden sind. Des Weiteren sollte die Inspektion von Mund und Rachen erfolgen. Auffälligkeiten sind die Schwierigkeit, den Mund zu öffnen, Rötungen und Schwellungen der Tonsillen und der Pharynxwand, Erosionen und Ulzerationen im Oropharynx, Petechien im Gaumenbereich sowie Fibrinbeläge und Stippchen auf den Tonsillen [1,4]. Auch ist auf den Zustand von Gebiss, Zahnfleisch und Zunge zu achten.
Risikostratifikation
Zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer diagnostischer Maßnahmen sowie zur Differenzierung zwischen einer Tonsillitis viraler Herkunft und einer durch β-hämolysierende Streptokokken verursachten Tonsillitis wird ein Scoring-System herangezogen, in der Regel der modifizierte Centor-Score/McIsaac-Score [1,2].
Centor-Score
Der Centor-Score ist anwendbar für Patienten und Patientinnen ab 15 Jahren. Er basiert auf vier gleichwertigen Parametern, deren Vorliegen jeweils einen Punkt gibt. Diese sind [1,2]:
Fieber in der Anamnese von >38°C
Abwesenheit von Husten
Zervikale Lymphknotenschwellung
Tonsillenschwellung oder Tonsillenexsudat
Modfizierter Centor/McIsaac-Score
Der modifizierte Centor/McIsaac-Score beinhaltet ferner den McIsaac-Score. Neben den Parametern des Centor-Scores bezieht dieser das Alter mit ein. Er ist ab drei Lebensjahren geeignet. Somit gibt es nach dem modifizierten Centor/McIsaac-Score für ein Alter von drei bis 14 Jahren einen Punkt, für Jugendliche und Erwachsene zwischen 15 und 44 Jahren null Punkte und ab einem Alter von >44 Jahren einen Punkt Abzug. Maximal sind somit fünf Punkte zu erreichen [1].
Je nach erreichtem Score lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer durch β-hämolysierende Streptokokken hervorgerufener Tonsillitis beurteilen [2]:
Bei einem Centor/McIsaac-Score ≤2 Punkten ist eine virale Genese der Tonsillitis wahrscheinlich. Der molekulargenetische Nachweis kann zwar mittels Rachenabstich und nachfolgender Multiplex-PCR (Multiplex-Polymerase-Ketten-Reaktion) oder spezifischer Schnelltestverfahren erfolgen, allerdings hat die Identifikation des viralen Erregers meist keine therapeutische Konsequenz.
Somit ist bei gutem Allgemeinzustand und günstigem Spontanverlauf keine weitere Diagnostik indiziert. Bei Verdacht auf eine EBV-Infektion sind jedoch die entsprechenden Laboruntersuchungen durchzuführen.
Ab einem Centor/McIsaac-Score ≥3 Punkten, der eine Indikation für Streptokokken-A-Tonsillitis darstellt, sollte ein Rachenabstich erfolgen [1].
Rachenabstrich
Der Rachenabstrich dient dem Nachweis von β-hämolysierenden Streptokokken. Hierzu wird der Streptokokken-A-Schnelltest verwendet, bei dem das Rachensekret, gemischt mit einer Reagenzlösung, auf ein Testkit aufgebracht wird. Nach einigen Minuten liegt ein ablesbares Ergebnis vor. Dieser Test ist hochspezifisch, aber wenig sensitiv. Somit stellt ein negatives Testergebnis keinen sicheren Ausschluss dar, während ein positives Ergebnis in Kombination mit klinischer Symptomatik eine Infektion bestätigt.
Eine weitere Möglichkeit der Auswertung der im Rachenabstrich gewonnen Sekrete ist die mikrobiologische Untersuchung mittels bakteriologischer Kultur. Diese ist weniger kostspielig, allerdings mit längeren Wartezeiten verbunden.
Weitere diagnostische Verfahren, darunter die Bestimmung des ASL-Titers (Antistreptolysin-Titers) und anderer Streptokokken-Antikörper-Titer, wiederholte Rachenabstiche, routinemäßige Blut- und Urinuntersuchungen sowie kardiologische Diagnostik, werden sowohl während als auch nach der Erkrankung nicht empfohlen [1].
Differentialdiagnostik
Die Tonsillitis kann klinisch Ähnlichkeiten mit anderen viral und bakteriell hervorgerufenen Erkrankungen zeigen, an die im Einzelfall bei unklarem Bild gedacht werden sollte [1,5]:
Infektiöse Mononukleose (Morbus Pfeiffer)
Scharlach
Diphterie
Agranulozytose
Herpetische Angina
Angina Plaut-Vincent
Therapie
Konservative Therapie
Bei der akuten Tonsillitis wird aufgrund des günstigen Spontanverlaufs eine medikamentöse Therapie bevorzugt. Bestehen keine individuellen Kontraindikationen, so steht die Symptomlinderung mittels NSAR im Vordergrund, unabhängig davon, ob es sich um eine virale oder bakterielle Tonsillitis handelt. Beispielsweise lbuprofen kann für zwei bis drei Tage eingesetzt werden; bei Bedarf bis zu dreimal täglich.
Auch Paracetamol kann zur Schmerzlinderung für zwei bis drei Tage angewendet werden. Besteht der Verdacht auf eine EBV-Infektion, sollte Paracetamol wegen der möglichen Hepatotoxizität nicht gegeben werden. Lokalanästhetika, wie Rachensprays oder Lutschbonbons, zeigten bisher keinen gesicherten Effekt [1].
Zu Bedenken ist, dass ungerechtfertigte Antibiotika-Gabe bei akuter Tonsillopharyngitis häufig ist und eine bedeutende Rolle bei der Entstehung bakterieller Resistenzen spielt. Eine Antibiotika-Therapie ist dann indiziert, wenn der Verdacht auf eine Streptokokken-Tonsillitis besteht oder β-hämolysierende Streptokokken der Gruppen A, C oder G nachgewiesen wurden.
Sowohl bei Kindern ab drei Jahren als auch bei Jugendlichen und Erwachsenen wird die Therapie mit Penicillin V in altersabhängiger Dosierung für einen Zeitraum von sieben bis zehn Tagen empfohlen [1,8]. Im Falle einer Penicillin-Unverträglichkeit können Makrolide, wie Erythromycin, oder Cephalosporine der ersten Generation, zum Beispiel Cefadroxil, für fünf Tage angewendet werden [1]. Nach 24-stündiger antibiotischer Therapie sind Personen mit abgeklungenen Symptomen nicht mehr kontagiös [8].
Operative Therapie
Die häufigste Indikation für die Tonsillektomie ist die mehrfach rezidivierende akute Tonsillitis. Leitliniengemäß stellt die operative Behandlung eine mögliche Therapieoption dar, wenn in den letzten zwölf Monaten über dreimal eine eitrige Tonsillitis ärztlich diagnostiziert und antibiotisch behandelt wurde [1].
Obstruierende Formen, die durch starke Tonsillenschwellung entstehen können und zu Atemproblemen beim Schlafen führen, sind die zweithäufigste Indikation für eine Operation im Kindesalter [1,9,10].
Weitere Situationen, in denen die Tonsillektomie als Therapiemöglichkeit in Frage kommt, sind der Peritonsillarabszess als Komplikation der Tonsillitis, das PFAPA-Syndrom (periodic fever, aphthous stomatits, pharyngitis and cervical adenitis), sowie Tonsillenasymmetrie [10].
Tonsillektomie
Beim Eingriff werden die Gaumenmandeln vollständig entfernt. Dabei erfolgt eine Durchtrennung der kaliberstärkeren Gefäße, die an der Außenseite der Tonsillenkapsel lokalisiert sind, mit darauffolgendem Verschluss durch Nähte und elektrochirurgische Maßnahmen. Da bei diesem Verfahren die pharyngeale Muskulatur mit den dort verlaufenden Gefäßen und Nervenendigungen freigelegt wird, kommt es zum sekundären Kontakt zum bakterien- und enzymhaltigen Speichel.
In diesem Rahmen können postoperative Schmerzen und Entzündungen auftreten. Bei etwa 4,5% der Eingriffe treten Nachblutungen auf, welche die häufigste Komplikation dieses Verfahrens darstellen [1]. Obwohl der Effekt der Tonsillektomie im Kindesalter auf die Lebensqualität in den ersten zwölf postoperativen Monaten tendenziell als positiv beurteilt wird, besteht weiterhin Forschungsbedarf, um eine sichere Abwägung der Vor- und Nachteile der Tonsillektomie gegenüber der konservativen Therapie bei Erwachsenen zu leisten [1].
Tonsillotomie
Seltener als die Tonsillektomie wird die Tonsillotomie durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine Teilresektion, bei der neben Teilen der Gaumenmandel auch die Kapsel belassen wird. Eine mögliche Therapieoption stellt sie, ähnlich wie die Tonsillektomie, ab drei Episoden wiederkehrender und mit Antibiotika therapierter eitriger Tonsillitis dar. Die Rate an Blutungskomplikationen ist bei diesem Verfahren geringer. Als Alternative zur Tonsillektomie bei der Behandlung der rezidivierenden Tonsillitis wird die Tonsillotomie jedoch in den internationalen Leitlinien nicht vorgestellt [1].
Komplikationen
Die Tonsillitis ist in der Regel selbstlimitierend. Trotzdem besteht das Risiko einiger teilweise schwerer Komplikationen. Das Absenken ihrer Auftrittswahrscheinlichkeit stellt ein wichtiges therapeutisches Ziel dar. Als häufigste akute Komplikation gilt der Peritonsillarabszess, der sich zwischen Tonsille und Tonsillenkapsel bildet. Als Risikofaktoren für dessen Entstehung gelten Rauchen und schlechte Mundhygiene. Je nach Ausprägung erfolgt die Behandlung mittels Antibiotika oder interventionell [1].
Des Weiteren kann die Tonsillitis durch Volumenzunahme der Tonsillen eine obstruierende Form einnehmen. Dies kann zu teilweise bedeutsamen Atemstörungen im Schlaf wie beispielsweise einer Schlafapnoe führen.
Seltener, aber schwerwiegender sind Folgeerkrankungen durch Streptokokken-Infektionen. Dazu zählen [1,4,8]:
Akutes Rheumatisches Fieber
Scharlach
Poststeptokokken-Arthritis
Akute Glomerulonephritis
PANDAS (pediatric autoimmune neuropsychiatric disorder associated with group A streptococci)
STSS (steptococci-toxic-shock-syndrome)
Eine frühzeitige Diagnose dieser Erkrankungen ist wichtig, um eine effektive gegebenenfalls intensivmedizinische Therapie zu starten.
Prognose
In den meisten Fällen ist die Tonsillitis selbstlimitierend, sodass der Spontanverlauf als günstig angesehen wird [1].
Prophylaxe
Präventiv dienen in erster Linie allgemeine Hygienemaßnahmen, zum Beispiel die Händedesinfektion, insbesondere nach dem Husten und Niesen und beim Zubereiten von Nahrung. Des Weiteren sollte das gemeinsame Nutzen von Gegenständen der Mundpflege vermieden werden. Routinemäßige Testungen und Behandlung asymptomatischer Kontaktpersonen werden nicht empfohlen [11].
S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie zur Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandel (August 2015)
Gottlieb et al. (2018): An Emergency Medicine-Focused Review of Streptococcal Pharyngitis Mimics. The Journal of Emergency Medicine, DOI: 10.1016/j.jemermed.2018.01.031
Jochen et al. (2016): Clinical practice guideline: tonsillitis I. Diagnostics and nonsurgical management, DOI: 10.1007/s00405-015-3872-6
Bartlett et al. (2015): Acute tonsillitis and its complications: an overview, DOI: 10.1136/jrnms-101-69
Uijen et al. (2011): ENT problems in Dutch children: trends in incidence rates, antibiotic prescribing and referrals 2002-2008, DOI: 10.3109/02813432.2011.569140
Fink, Haidinger (2007): Die Häufigkeit von Gesundheitsstörungen in 10 Jahren Allgemeinpraxis, DOI: 10.1055/s-2007-968157
Mitchell et al. (2019): Clinical Practice Guideline: Tonsillectomy in Children (Update)-Executive Summary, DOI: 10.1177/0194599818807917
Gysin (2013): Indications of pediatric tonsillectomy, DOI: 10.1159/000342329
Shulman et al. (2012): Clinical Practice Guideline for Diagnosis and Managment of Group A Streptococcal Pharyngitis: 2012 Update by Infectious Diseases Society of America, DOI: 10.1093/cid/cis847