
Seit März 2017 sind verschiedene Cannabinoide durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattungsfähig. Angewendet wird medizinales Cannabis bei schwerstkranken Patienten, beispielsweise in der Schmerztherapie oder bei Multipler Sklerose. Die Therapie erfolgt individuell, symptombasiert und adjuvant. Nicht zuletzt aufgrund fehlender Evidenz ist die Unsicherheit im Umgang mit Cannabinoiden bei einigen Heilberuflern und Patienten noch immer groß. Auf der expopharm 2022 gab Tobias Fister, Gesundheitsexperte Pharmaconsultant & Apotheker der Helios Apotheke Wolfratshausen, Antworten auf die von Patienten am häufigsten gestellten Fragen zu Medizinalcannabis. Er betonte dabei, dass der Austausch zwischen Arzt, Apotheker und Patient bei dieser Therapie von besonderer Wichtigkeit sei.
Nebenwirkungen
Zu den am meisten gestellten Fragen von Patienten zu Medizinalcannabis gehören solche zu Nebenwirkungen und dem Abhängigkeitspotenzial der Therapie. Fister betonte, dass die Devise „start slow, go low, stay low“ gelte – also eine niedrige Initialdosis, eine langsame Steigerung bzw. Anpassung der Therapie und eine möglichst geringe Erhaltungsdosis. Unerwünschte Wirkungen seien bei einschleichender Dosierung im medizinischen Bereich selten. Die häufigsten Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Benommenheit, Mundtrockenheit und Übelkeit verschwinden laut des Experten mit der Zeit. Die Erhaltungsdosis sei in der Regel gut und lange wirksam.
Abhängigkeit
Bisherige Studien geben keinen Hinweis auf Abhängigkeitserscheinungen bei Dosierungen im medizinischen Bereich. Mit den im Rahmen des Freizeitkonsums konsumierten deutlich höheren Mengen sei dies nicht zu vergleichen.
Wechselwirkungen
Cannabinoide weisen einige Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln auf, wie Antikoagulantien, Sedativa, Antidepressiva und Opioiden. Ein Medikationscheck ist daher laut Fister vor dem Beginn einer Cannabinoid-Therapie unerlässlich. Insbesondere sei auch der Metabolismus von Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) über das Cytochrom-P450-Enzymsystem (v.a. CYP2C, CYP3A) zu beachten.
Auswahl der Darreichungsform
Die Auswahl der Darreichungsform ist abhängig von der individuellen Situation des Patienten. Ist ein schneller Wirkeintritt gewünscht, können laut Fister Cannabisblüten zum Vaporisieren verwendet werden. Die große Sortenauswahl mit unterschiedlichen THC- und CBD-Gehalten sowie Terpenprofilen ermöglichen eine höchst individuelle Therapie. Bei Cannabisextrakten tritt die Wirkung langsamer ein. Sie sind für eine Langzeittherapie geeignet.
Konsum in der Öffentlichkeit
Patienten, die medizinisches Cannabis anwenden, stellen häufig die Frage, ob ein Konsum der Arzneimittel in der Öffentlichkeit erlaubt ist. Verboten ist dies nicht, wird jedoch generell nicht empfohlen. Gerade bei Rauchern bestehe die Gefahr der Stigmatisierung, so Fister. Außenstehende können nicht erkennen, ob es sich um einen legalen oder illegalen Konsum handelt. Der Apotheker rät nicht nur in diesem Zusammenhang zum Mitführen einer Kopie des Originalrezeptes oder eines medizinischen Passes.
Verkehrstüchtigkeit
In Anbetracht der Wirkungen und Nebenwirkungen von Cannabinoiden tritt die Frage nach der Verkehrsfähigkeit unter einer solchen Therapie immer wieder auf. Fister erklärte, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr von der individuellen Wirkung der Behandlung auf den Patienten abhänge. In der Eingewöhnungsphase und im Rahmen der Dosierungsfindung wird von einer aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abgeraten. Es empfehle sich bei gegebener Verkehrstüchtigkeit eine entsprechende Tüchtigkeitsbescheinigung des verschreibenden Arztes mitzuführen, sowie auch für diesen Fall zumindest eine Kopie des Originalrezeptes oder einen medizinischen Pass.
Vorteile gegenüber Opioiden
Zuletzt griff Fister den Vergleich von Opioiden mit Medizinalcannabis auf. Er erklärte, dass Cannabinoide im gerade Bereich der unerwünschten Effekte Vorteile aufwiesen. Neben geringer ausgeprägten Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Gangunsicherheit sei auch das Abhängigkeitspotenzial deutlich geringer. Ebenso könnten Cannabisarzneimittel nicht so leicht überdosiert werden und wenn, sei im Gegensatz zu Opioiden nicht mit gefährlichen Nebenwirkungen wie einer Atemdepression zu rechnen. Medizinisches Cannabis wird oft als Add-On-Therapie zu Opioiden genutzt. Hierbei könne die Opioid-Dosis deutlich reduziert werden, auch sei ein sukzessiver Umstieg möglich.